Süddeutsche Zeitung

Magazin "Boa":Alles außer Fußball

  • Boa soll sechsmal jährlich erscheinen und hat eine deutliche politische Botschaft.
  • Jérôme Boateng erzählt darin von rassistischen Vorfällen, die er erleben musste und noch immer erlebt.
  • Zudem gibt er Einblicke in seine Welt, in der er mit US-Promis wie LeBron James oder Jaz-Z verkehrt.

Von Benedikt Warmbrunn

Haltung kann sich manchmal in wenigen Worten ausdrücken. Zum Beispiel in einem Tweet von Jérôme Boateng von Ende Juli, eine Nacht nachdem Mesut Özil aus der deutschen Fußballnationalmannschaft zurückgetreten war. In Deutschland tobte nach Özils Rücktritt eine kurze, aber heftige Rassismusdebatte. Die meisten deutschen Nationalspieler schwiegen; Uli Hoeneß, Boatengs Präsident beim FC Bayern, schwieg nicht, eine Viertelstunde vor Boatengs Tweet sagte er, dass er froh sei, dass "der Spuk vorbei ist". Dann schrieb Boateng an Özil: "Es war mir eine Freude, Abi", dazu ein Foto der beiden bei der Feier des Weltmeisterschaftstitels 2014 in Berlin. Im Hintergrund ist das Kanzleramt zu erkennen. Es war ein Statement für Zusammenhalt, in einer überhitzten Debatte reichten dafür wenige Worte.

Manchmal braucht es mehr Raum, um eine Haltung auszudrücken. Zum Beispiel 130 Seiten, gedruckt im Magazinformat, in einer Auflage von 200 000 Exemplaren, zu einem Stückpreis von 4,90 Euro.

An diesem Samstag erscheint die erste Ausgabe von Boa, herausgebracht von der Corporate-Publishing-Agentur Territory, einer Tochter von Gruner + Jahr, die auch für die Deutsche Bahn, Miele oder die Lufthansa arbeitet. Für den Hamburger Zeitschriftenverlag ist es also mittelbar bereits die fünfte Zeitschrift mit einem prominenten Namen im Titel, nach jenen mit Barbara Schöneberger, Eckart von Hirschhausen, Joko Winterscheidt und Guido Maria Kretschmer.

Das Magazin eines Fußballers, was soll das? Es gibt 11 Freunde, es gibt Socrates, es gibt den Kicker. Doch Boa ist kein Fußballmagazin. "Boa steht für eine Haltung, für einen Blick auf die Welt", sagt Adrian Pickshaus, einer der beiden Chefredakteure, "für eine Lebenswelt, in der es egal ist, wie du aussiehst und wen du liebst - für eine aufgeklärte Lebenswelt also, die in jüngster Zeit auf absurdeste Weise in die Defensive geraten ist."

"Wie in Deutschland mit Mesut Özil umgegangen wurde, hat Jérôme nachdenklich gemacht."

Das Magazin soll sechsmal jährlich erscheinen und hat eine - gerade für einen Fußballer - deutliche politische Botschaft. In einem Interview mit dem Sänger Herbert Grönemeyer sprechen die beiden über Rassismus in Deutschland, Boateng erzählt von den vielen kleinen Vorfällen, die er erleben musste, die er noch erlebt. Wie ihn, den Sohn eines Ghanaers, als kleinen Jungen die Väter gegnerischer Spieler beleidigten. Wie er Pfiffe und Rufe gehört hat, wie er diese bis heute in manchen Stadien wahrnimmt. Entsetzt hatte er beobachtet, wie Özil nach dem Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan selbst in seiner Rolle als Fußballer angefeindet wurde. "Wie in Deutschland mit Mesut Özil umgegangen wurde, hat Jérôme nachdenklich gemacht", sagt Stephan Seiler, der zweite Chefredakteur. In Boa gehe es daher auch darum, "die Reihen zu schließen".

Die politische Haltung, das ist das eine. Das andere, das ist der Einblick in die Themen aus Boatengs Lifestyle. Der Einblick in eine Welt, in welcher der Nationalverteidiger mit Berühmtheiten wie dem Basketballer LeBron James, dem Modedesigner Virgil Abloh oder dem Musiker Jay-Z verkehrt (Jay-Z berät Boateng seit einigen Jahren in Marketingfragen; dessen Firma Roc Nation ist ebenfalls an Boa beteiligt). Es geht also auch um Mode, um Hip-Hop, um R 'n' B, um Sneakers, um Goldketten. Doch auch diese Geschichten sollen Aufsteigergeschichten sein, wie jene der Skateboard- und Kleidungsmarke "Supreme", die mit einem kleinen Shop in New York startete und deren Wert heute auf mehr als eine Milliarde US-Dollar geschätzt wird. "Haltung transportiert ja auch jeder von uns durch die Art, wie er sich kleidet", sagt Pickshaus.

Im Impressum wird Boateng als "Spielmacher" geführt

Jérôme Boateng, 30, wird immer auf dem Titel zu sehen sein, das sowieso. Dazu wird er in kleineren und größeren Geschichten Einblicke in sein Denken und Leben geben, zum Beispiel durch Interviews wie jenes mit Grönemeyer. Oder durch Rubriken wie den "Insta Dive", in dem Boateng stets einen Post und dessen Geschichte erklärt. Im Impressum wird er als "Spielmacher" geführt, über eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe ist Boateng jedoch stets über die Planung informiert. Manchmal beteiligte er sich auch an Diskussionen, gelegentlich ließ er sich die ersten Layout-Entwürfe zusenden. "Nicht jede Zeile ist approved by Jérôme Boateng", sagt Seiler, "aber das ganze Magazin atmet seinen Geist."

Indem Boateng seine Haltung nun unter eigenem Namen gleich selbst publiziert, verstärkt er auch einen Trend, der im Profisport in den vergangenen Jahren zugenommen hat: den Trend zur vollständigen Kontrolle der Sportler und Vereine über das eigene Wort und das eigene Bild. Der FC Bayern betreibt einen eigenen Fernsehkanal, in dem neue Spieler regelmäßig ihr erstes Interview geben - jener FC Bayern übrigens, der vor drei Wochen auf einer denkwürdigen Pressekonferenz die traditionellen Medien als direkte Konkurrenz um die Deutungshoheit abwatschte. Viele Sportler konzentrieren sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit bevorzugt auf ihre eigenen Social-Media-Profile. Der frühere Baseballprofi Derek Jeter gründete zudem 2014 die Plattform The Players' Tribune, auf der viele Sportler offen von prägenden Erlebnissen ihrer Karriere berichten; an ihr ist auch Gerard Piqué, Verteidiger des FC Barcelona, beteiligt, der zudem eine Produktionsfirma besitzt. Boateng sieht sein Magazin zwar nur als Ergänzung zu seiner bisherigen Medienarbeit. Es ist aber eine Ergänzung, die seine Wahrnehmung entscheidend verändern dürfte.

Als Seiler und Pickshaus mit der ersten Ausgabe fertig waren, haben sie zum Beispiel festgestellt, dass sie zwar einige Geschichten mit Fußballern im Magazin haben. Aber keine einzige, in der es auch um Fußball geht.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2018/jmau
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