Süddeutsche Zeitung

BND-Gesetz:Wo die Grenzen der Aufklärung liegen

Lehren aus dem Fall Snowden: Journalistenverbände wollen verhindern, dass der Bundesnachrichtendienst ausländische Reporter überwachen darf.

Von Ronen Steinke

Es soll Menschen geben, die das für eine ulkige Vorstellung halten: Wozu sollten Geheimdienstler sich die Mühe machen, Journalisten zu bespitzeln? Die schreiben, twittern, senden doch eh; wer wissen will, was sie denken, muss bloß am Kiosk ein paar Münzen hinlegen.

Als vor gut einem Jahr der Spiegel mit einer Recherche in eigener Sache aufmachte, war es aber sehr ernst: "Abgehört: Der Spiegel", titelte das Magazin. Bei Gesprächen zwischen Kanzleramt und US-Geheimdienstlern sei es mindestens zwei Mal um Spiegel-Recherchen gegangen. Dabei hätten die Amerikaner Informationen vorgelegt, die "nach Angaben von mehreren Quellen in Washington und Berlin aus abgehörter Kommunikation stammen".

NSA-Spionage an der Hamburger Ericusspitze? Aufgeklärt ist die Frage bis heute nicht wirklich, die Redaktion hat Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft erstattet und beim Bundeskanzleramt um Akteneinsicht ersucht. Ergebnis: Kein Ergebnis. Man wartet noch, heißt es in Hamburg auf Anfrage. Der Schaden ist trotzdem angerichtet, allein schon psychologisch. So wichtig wie das Reden ist für Journalisten auch das Schweigen. Sie hüten Geheimnisse, vor allem über die Identität ihrer Quellen - von Whistleblowern etwa, die sich nicht trauen, auf Missstände hinzuweisen, wenn sie befürchten, gleich beim Staat auf den Schirm zu geraten.

Mehrere Journalistenverbände haben eine Petition gestartet, um von der großen Koalition in Berlin zu verlangen, dass sie zumindest ihre eigenen Lauscher vom Bundesnachrichtendienst (BND) in Schranken weist. Die Organisation Reporter ohne Grenzen, der Deutsche Journalistenverband (DJV), die European Federation of Journalists (EFJ), das Netzwerk Recherche: Gemeinsam wollen sie verhindern, dass sich der BND, wenn er in anderen Ländern spioniert, dasselbe herausnimmt wie möglicherweise der NSA in Hamburg.

Geplantes BND-Gesetz verlangt für Lauschaktionen nur vage Begründungen

Bisher ist dem BND das nämlich erlaubt. Ausländische Journalisten sind "fair game" für deutsche Geheimdienstler, legitime Überwachungsziele ohne besonderen Schutz, so wie allgemein Ausländer den meisten Geheimdiensten der Welt als unbeschränkt abhörbar gelten. (Es gibt davon abweichend teils informelle Absprachen zwischen befreundeten Staaten; was die wert sind, ist eine andere Frage.)

Das alte BND-Gesetz schweigt zu der Frage, ob der deutsche Auslandsnachrichtendienst bei Journalisten zurückhaltender sein sollte. Das neue BND-Gesetz, das jüngst vom Bundeskabinett beschlossen wurde und im September in zweiter Lesung im Bundestag beraten werden soll, regelt vor allem die "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung" neu. So nennt der BND das Ausforschen von Kommunikation zwischen Ausländern im Ausland, zum Beispiel zwischen Afghanistan und Pakistan oder zwischen Russland und Syrien. Es geht um Datenströme, in die der BND einen Kamm einlegt: Mithilfe von Suchbegriffen oder IP-Adressen oder Telefonnummern filtert er Interessantes heraus. Auch nach Personen kann er gezielt suchen.

Wenn belgische oder französische Journalisten mit Informanten telefonieren, kann der BND sich auf diese Weise in ihr Gespräch einklinken. Auch weiterhin. EU-Ausländer bekämen nach dem neuen BND-Gesetz zwar erstmals ausdrücklich festgeschriebenen Schutz. Allerdings bleibt der sehr rudimentär. Der BND muss künftig nur eine Begründung parat halten für seine Lauschaktion im EU-Ausland. Der Katalog der möglichen Gründe ist nach dem geplanten BND-Gesetz lang und breit, es genügt schon: "um die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren". Besondere Rücksicht auf Journalisten oder andere Berufsgeheimnisträger müssen die Agenten nicht nehmen. Außerhalb der EU hat der BND nach wie vor noch freiere Hand.

Immer häufiger zerfließen die Grenzen zwischen Journalismus und Propaganda

Das ist nicht wirklich eine Verschlechterung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage, auch wenn es in der Petition der Journalistenverbände teilweise so klingt. Es ist aber auch kein klares Bekenntnis zum Schutz von Journalisten weltweit, wie man es sich gewünscht haben mag anlässlich der Generalüberholung des BND-Gesetzes im Jahr vier nach Snowden. Der Bundesnachrichtendienst "könnte zum Beispiel Journalisten der New York Times belauschen, wenn sie sich vertraulich mit Politikern über Außen- und Verteidigungspolitik ihres Landes austauschen", fürchtet ein Sprecher von Reporter ohne Grenzen. Das wäre dann genau das Spiegel-NSA-Szenario, nur seitenverkehrt.

Nun ist die Berufsgruppe der Journalisten diffuser als andere. Der "Islamische Staat" ist assoziiert mit einer "Nachrichtenagentur" namens Amaq. Deren Leute verfügen über Insiderwissen. Soll jeder unantastbar sein, der sich Journalist nennt? Auch in der Ostukraine zerfließen die Übergänge: Journalismus, Propaganda und Desinformation gehen immer häufiger ineinander über, wo sogenannte hybride, also halb verdeckte Kriege geführt werden. In Kreisen der großen Koalition wird darauf verwiesen, dass diese Abgrenzung für Sicherheitsbehörden oft kaum zu leisten sei.

Aus Sicht von Hendrik Zörner, dem Sprecher des Deutschen Journalistenverbands (DJV), gibt es "eine klare Unterscheidung zwischen Propagandakanälen auf der einen Seite und Medien, die der Information der Öffentlichkeit dienen, auf der anderen". Zörner sagt: "Wir können ja nicht deshalb, weil bekannt ist, dass es Propagandakanäle gibt oder Leute, die sich unter dem Deckmantel des Journalismus bewegen, dem BND einen Blankoscheck dafür erteilen, dass er alle Journalisten abhört." In der großen Koalition sehen es einige andersherum: Auch eine rechtliche Garantie, dass künftig gar keine ausländischen Journalisten oder solche, die sich so nennen, abgehört werden, wäre ja ein Blankoscheck. Mit möglicherweise schweren Folgen.

Aus Sicht der Journalistenverbände gibt es ein deutsches Gesetz, das bereits vorbildlich ist und auch für den BND neue Maßstäbe setzen könnte. In Paragraf 3 b des G-10-Gesetzes (Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses) heißt es schon heute, dass die Inlandsgeheimdienste - also die Verfassungsschutzämter - keine "zeugnisverweigerungsberechtigten" Personen abhören dürfen, also keine Reporter, Anwälte, Priester. Würde dieses Prinzip auf das internationale Geschäft übertragen, dann wären Journalisten weltweit aus der Fernmeldeaufklärung auszuklammern.

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SZ vom 16.08.2016/doer
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