Süddeutsche Zeitung

Björn Höcke bei Günther Jauch:58 Minuten Ratlosigkeit

Der AfD-Politiker Höcke darf bei Günther Jauch munter seine Parolen verbreiten. Gehört so jemand überhaupt auf die Gästeliste?

Ein Kommentar von Ulrike Nimz

Es beginnt mit dem Bekenntnis des Björn Höcke. Aus "tiefer Liebe zu seinem Land" sei er einst in die Politik gegangen. Wie ein Zauberkünstler auf einem Kreuzfahrtschiff zieht er die Deutschlandflagge aus den Hohlräumen seines Anzugs und hängt sie über die Lehne seines Talk-Sessels. Ganz wie Kreuzfahrt-Touristen ihr Badetuch über eine Sonnenliege werfen würden, um zu signalisieren: Hier beweg' ich mich erst mal nicht mehr weg. Hier werd' ich jetzt schön braun.

Es gibt bessere Möglichkeiten, um am Sonntag in den Schlaf zu finden, als eine von Günther Jauch moderierte Polit-Debatte. Vor allem, wenn das Motto "Pöbeln, hetzen, drohen - wird der Hass gesellschaftsfähig" lautet. Zur Erinnerung: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, AfD-Gründungsmitglied Alexander Gauland, Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel - sie alle durften hier in der Vergangenheit schon ihre streitbaren Thesen zur Flüchtlings- und Einwanderungsdebatte präsentieren. Statt am Puls der Ereignisse zu sein - das scheint ungeschriebenes Gesetz -, treibt dieses Format den Puls des Zuschauers.

Muss man so einen einladen?

Nun sitzt da also Björn Höcke, die selbsternannte "Stimme des Volkes" im Schöneberger Gasometer. Höcke, 43, ist Fraktionschef der AfD in Thüringen, ehemaliger Oberstudienrat und Mitinitiator der "Erfurter Resolution", eines Schriftstücks, das im März dieses Jahres eine konservativere Ausrichtung der konservativen Partei forderte - wörtlich eine "Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands". Seitdem bereitet Höcke sogar dem rechten Flügel seiner Partei Unbehagen und der NPD den Tisch.

Muss man so einen einladen? Einen Tag nach dem offenbar fremdenfeindlich motivierten Attentat auf die zur Kölner Oberbürgermeisterin gewählte Henriette Reker? Man kann. Was man muss, ist gegenhalten, wenn Verschwörungstheorien gemurmelt werden (Die ARD sei gleichgeschaltet), unterbrechen, wenn es völkisch wird (Der Syrer, der zu uns kommt, habe immer noch sein Syrien. Nur das Vaterland geht unter im Flüchtlingsstrom).

Jauch tat nichts davon. Nachdem ein Best-of der Höcke'schen Verbalausfälle eingespielt worden war, fiel dem Moderator nichts Besseres ein als zu fragen: "Was meinen Sie damit?" Es ist diese somnambule Art der Gesprächsführung, die Distanz zum Gegenüber, vielleicht auch Unverständnis für offen rechte Positionen ausdrücken soll, und doch nichts anderes zur Folge hat, als dass diese erneut dargelegt werden.

Nur Anja Reschke bietet Höcke Paroli

Es war Jauchs verdammtes Glück, dass Anja Reschke in dieser Runde saß. Die Innenpolitik-Chefin des Norddeutschen Rundfunks war nach einem kritischen TV-Kommentar selbst Opfer massiver Beschimpfungen geworden. Als Höcke sich besorgt um die Sicherheit deutscher Frauen zeigte, war sie es, die nach der Statistik fragte und anmerkte, dass sie sich auf dem Oktoberfest, in einem Zelt mit Hunderten betrunkenen deutschen Männern, auch unwohl fühlt. Es war Reschke, die Höcke fragte, ob es zu seiner Idee von Deutschland gehöre, dass Flüchtlingsheime brennen. Zusammengenommen war das zehnmal wirkungsvoller, als ein Heiko Maas, der Höckes Beiträge zwar als "widerlich" abtat, die meiste Zeit aber aussah, als sei er eben aus einem bösen Traum aufgewacht.

Am Ende war es ein Wortgefecht, das die ganze, 58 Minuten währende Ratlosigkeit dieser Sendung aufzeigte: Klaus Bouillon, Innenminister des Saarlandes, zu den Anforderungen in der Flüchtlingskrise: "Wir werden das schaffen." Höcke, den Ellenbogen auf der Deutschlandfahne: "Wir schaffen das nicht." Der Zuschauer war da längst geschafft.

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