Biographie "How to Murder Your Life":Die Frau, die schwarze Tränen weint

Cat Marnell

Party bis zum Ende: Auf auf ihrem Instagram-Account zelebriert Cat Marnell ihren extremen Lebensstil.

(Foto: Instagram/cat_marnell)

Cat Marnell ist süchtig. Medikamente, Speed, Bulimie. Jetzt hat die Ex-Modejournalistin ihre Memoiren veröffentlicht. Ohne klassisches Happy End.

Buchkritik von Johanna Bruckner, New York

Die wuchtigsten Sätze von Cat Marnell stehen nicht in ihrer Autobiografie, sondern in einem Nachruf auf Whitney Houston. In dem Artikel geht es um das Sterben der Sängerin, das lange vor ihrem Todestag begann, jenem 11. Februar 2012, als sie leblos in einer Hotelbadewanne gefunden wurde. Marnell, die zuvor regelmäßig für die Webseite xoJane über ihre eigene Drogensucht geschrieben hatte, wendet sich in ihrem Nachruf an jene Leser, die sie für ihre Offenheit kritisieren: "Glaubst du wirklich, dass ich keinen Job verdiene, keine Plattform, weil ich zugebe, drogensüchtig zu sein?", fragt Marnell. "Guck dir an, wie einfach es ist, wenn du Whitney Fucking Houston bist, deine Stimme verstummen zu lassen, so zu tun, als seist du ein gutes Mädchen, und nicht zu erwähnen, dass du abhängig bist. Wie einfach es ist, leise ins Wasser zu gleiten. Zu verschwinden."

Wer diese Sätze kennt, wird Marnells Autobiografie vielleicht auch als Versuch begreifen, nicht selbst in Vergessenheit zu geraten. Denn wer ein Leben lebt, wie es die heute 34-Jährige getan hat - und vielleicht wieder tun wird, das lässt sie offen -, der spielt immer auch ein Spiel mit der eigenen Sterblichkeit. Ein manchmal aufregendes und glamouröses, sehr viel häufiger aber ganz entsetzliches Spiel. Marnells Memoiren heißen passenderweise "How to Murder Your Life", nach Erscheinen in den USA schaffte es das Buch auf die renommierte Bestsellerliste der New York Times. Gewidmet ist es "allen Party-Girls", und wie bei einer sehr extremen Party sind sich das Schöne und das Hässliche ganz nah - und das nicht nur, weil Marnell mehrere Jahre als Moderedakteurin für verschiedene Zeitschriften in New York gearbeitet hat. "Meine Haut unter der falschen Bräune war 100 Prozent Leichenbraut", schreibt sie über ihre Zeit als "Associate Beauty Director" beim mittlerweile eingestellten Lucky-Magazin.

Tagsüber ist sie die strebsame Mitarbeiterin, die sich für ihren Traumjob aufarbeitet (auch das nicht ohne Hilfsmittel, bereits seit der Schulzeit dopt Marnell ihr Gehirn mit ADHS-Mitteln). In guten Nächten gibt sich die junge Frau mit den blonden Haaren und dem dauerverschmierten Make-Up ihren Süchten hin. In schlechten ergibt sie sich ihnen. Medikamente. Drogen. Bulimie. Irgendwann werden aus schlechten Nächten schlechte Tage, ihre Süchte vereinnahmen Marnells komplettes Leben. Auf Fotos aus diesen Tagen sieht ihr Puppengesicht oft so aus, als würde es schwarze Tränen weinen. Dieser dramatische Look könnte Ausdruck eines permanenten Kontrollverlusts sein - oder kalkuliert. Marnell ist eben auch eine talentierte Modejournalistin, mit Inszenierung kennt sie sich aus.

Zu Beginn klingen ihre Rauschmomente geheimnisvoll-glamourös - wie ein teurer Drogen-Porno

Eine New-York-Times-Reporterin, die Marnell im Sommer nach dem hochgelobten Houston-Nachruf traf, schrieb über sie: "Was dachte ich über diese Autorin? Ich dachte, dass sie eine begabte Memoiren-Schreiberin ist und eine Poserin, die sich selbst zum Mythos macht. Ich dachte, dass sie eine Süchtige ist, verliebt in ihre eigene Kaputtheit, und dass sie eine zutiefst gequälte Seele ist."

In Marnells Autobiografie wird der Houston-Artikel nur angerissen. Ihm verdankt sie, wie sie selbst sagt, ihren Buchvertrag. Wegen ihrer verschiedenen Suchterkrankungen dauert es von der Unterschrift bis zum Erscheinen von "How to Murder Your Life" allerdings fast vier Jahre. Wer dafür eine stringente Erzählung ohne Nebensächlichkeiten erwartet, wird enttäuscht. Aber die schwärmerischen Aufzählungen von Luxuslabels werden aufgewogen, weil Marnell auch an anderer Stelle nicht mit Details spart. Sie erzählt von aufgerissenen Handknöcheln und Hautunreinheiten am Kinn - die kleinen Wunden einer jungen Frau, die ihre Einsamkeit mit Essen füllt und es danach wieder erbricht. Sie spricht über ihre wahnhafte Angst vor Mäusen und ihre vernarbte Bikinizone, die sie, wann immer sie zugedröhnt ist, mit einer Pinzette malträtiert.

So wie im echten Leben ihre Süchte eskalierten, so eskaliert auch Marnells Schreibstil. Zu Beginn klingen ihre Rauschmomente geheimnisvoll-glamourös - wie ein teurer Drogen-Porno: "Über Wochen war ich im Job ein bisschen extra-high, obwohl das natürlich niemand wusste. Ich bewahrte die orangefarbenen Pillendosen in der Chloé-Handtasche meiner Mutter auf." Doch etwa zur Hälfte des Buches ist da nur noch tiefe Verzweiflung. Etwa als Marnell auf ihrer ersten Pressereise nach Mailand mehrmals in der Nacht beim Roomservice ordert - auf Firmenkosten. "Ich konnte nicht aufhören. Ich wusste, dass ich meinen Job kündigen müsste, wenn ich zurück in New York bin. Aber ich war so abgefuckt, dass es mir egal war. Ich hatte einen violetten Seidenslip an und zog ihn jedes Mal aus, um im Marmorbadezimmer zu kotzen."

"Mein Ritalin-Rezept war wie eine Honigfalle"

Marnell ist auf den 374 Seiten ganz bei sich. Das ist die Schwäche und zugleich die große Stärke dieses Buches. Die dysfunktionale Upperclass-Familie (die Mutter ist Psychotherapeutin, der Vater Psychiater), das Internat in Massachusetts ("I like New England guys, don't you?"), die ADHS-Medikamente (sie sei plötzlich "geil" auf Hausaufgaben gewesen, schreibt Marnell), eine Teenager-Schwangerschaft mit albtraumhaftem Abbruch, eine Essstörung, endlose Partys und Drogenexzesse in New York - das erste Drittel liest sich wie ein Klischee auf das Leben eines reichen, weißen Ostküsten-Mädchens. "Ich wollte Freunde - Party-Freunde", schreibt Marnell über ihre Zeit im Internat. "Mein Ritalin-Rezept war wie eine Honigfalle (...): Ich hatte etwas, das jeder wollte."

Ja, Marnells Autobiografie wirkt anachronistisch in einer Zeit, in der Amerika einen politischen Umbruch erlebt und einen gesellschaftlichen fürchtet. Herkunft und Hautfarbe sind als Unterscheidungsmerkmale präsenter denn je. Nichts davon spielte oder spielt eine Rolle in Marnells Leben. Ihre Autobiografie ist möglicherweise das weißeste Buch 2017. Gleichzeitig ist es aber auch eines der beeindruckendsten des noch jungen Literaturjahres. Eine Autobiografie ist immer subjektiv. Eine gute Autobiografie schafft es, trotzdem etwas über die Welt, in der sie spielt, zu erzählen. Marnell gelingt das.

So schreibt sie beispielsweise über ihre Zeit im Modejournalismus: "Wenn ein nervöser Vollblut-Condé-Nasty wie Jean (...) mit der Hermès-Peitsche knallte, war es eine Ehre zu springen. Es war eine Ehre zu fragen: 'Wie hoch?' Und wenn die Peitsche so nahekam, dass es wehtat, nun ja, geh zum Raum mit den Beauty-Produkten, schmier etwas vom 69 Dollar teuren 'Organic Pharmacy Rose Balm' auf deine offenen Wunden und dann zurück an die Arbeit, du Jammerlappen!" Die erwähnte "Jean" ist Jean Godfrey-June, früher Marnells Chefin bei Lucky, mittlerweile Mitherausgeberin der von Schauspielerin Gwyneth Paltrow gegründeten Lifestyle- und Gesundheitswebseite Goop (und damit übrigens Lichtjahre entfernt vom Lebensstil einer Cat Marnell).

Marnells Buch endet nicht mit dem Versprechen, abstinent zu leben

Marnell verliert in ihrem Buch kein schlechtes Wort über ehemalige oder noch aktuelle Arbeitgeber (in der Vergangenheit sah das schon anders aus, in einem Interview verglich sie ihre Chefin bei xoJane mit dem Monster "Slimer" aus den "Ghostbusters"-Filmen). Dabei zwingen sich kritische Nachfragen geradezu auf: Hat Marnell ihre Jobs bei Vice und xoJane nur bekommen, weil sie drogenabhängig ist - nicht obwohl? Welches Licht wirft das auf ihre Auftraggeber, die mit ihren Druff-Geschichten Geld verdienen? Marnell würde vielleicht zurückfragen: Wäre es wirklich eine Alternative, wenn ich keine Aufgabe mehr hätte? Nichts mehr, was mich im Leben der Nicht-Abhängigen hält?

Marnells Buch endet nicht mit dem Versprechen, abstinent zu leben. Es gibt kein Happy-ohne-Drogen-Ende. Gerade nehme sie nur das ADHS-Medikament Adderall und ein bisschen Speed - aber wer weiß?

Im Buch kommen drei Dinge vor, die Marnell offenkundig aufrichtig liebt: Adderall, Courtney Love und Jean Godfrey-June, die für Marnell so etwas wie die Mutter ist, die sie sich immer gewünscht hätte. (Ihre eigenen Eltern versorgten sie lange mit Rezepten. Als sich Mutter und Vater irgendwann weigerten, wurde Marnell zum "Doctor Shopper", wie sie selbst sagt.) Mit Godfrey-June hat Marnell heute keinen Kontakt mehr, im Nachwort schreibt sie: "Ich habe einen Deal mit mir selbst geschlossen, dass ich meine ehemalige Chefin erst dann und nur dann zum Mittagessen einladen würde, wenn ich drei Monate clean bin. Also habe ich sie nie wieder gesehen."

Godfrey-June hat vor einigen Tagen ein Foto des Buchcovers von "How to Murder Your Life" auf ihrem Instagram-Account gepostet. Dazu schreibt sie: "Sie werden nicht in der Lage sein, es aus der Hand zu legen, und ihr Herz wird gebrochen sein." In der Welt von Cat Marnell ist das vielleicht das schönste Happy End.

Die deutsche Ausgabe von "How to Murder Your Life" erscheint Ende April im Verlag rororo. Die englische Originalausgabe ist im Verlag Simon & Schuster erschienen und kostet knapp 27 US-Dollar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: