Bildung:Warum Verlage sich von der Reform des Urheberrechts bedroht fühlen

Wer zahlt den Preis für Bildung? Presseverlage sehen durch ein geplantes Gesetz ihr Geschäftsmodell gefährdet, weil Bibliotheken ihr Archivgeschäft angreifen könnten.

Von Claudia Tieschky

Bundesjustizminister Heiko Maas hat die "aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft" im Blick bei der von ihm geplanten Urheberrechtsreform. Es geht darum, dass Lernen und Diskurs heute weitgehend mit digitalen oder digitalisierten Medien stattfinden. Dem werde das aktuelle Gesetz nicht mehr gerecht, so die Auffassung des Ministeriums, es müsse angeglichen werden.

Doch die Reform, die Ende Juni kurz vor Schluss der Legislaturperiode zur Abstimmung kommen soll, ist zum Konfliktfall geworden. Für die Reform ist die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels dagegen erwartet für Verlage teilweise existenzbedrohende finanzielle Nachteile durch die vorgesehenen digitalen Nutzungs- und Verbreitungsmöglichkeiten von Medien rund um Forschung, Lehre, Bibliotheken, Archive und Museen.

Entsteht ein steuerfinanziertes Gesamtarchiv aller Zeitungstexte?

Betroffen sind auch die Presseverlage, und auch hier regt sich Widerstand. Das Gesetz würde "Urhebern, Verlagen und sonstigen an der Produktion von Fachmedien und Publikumszeitschriften Beteiligten wirtschaftlich massiv schaden", erklärten der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger: "Es fände eine faktische Enteignung der Rechteinhaber und Verlage statt." Die Herausgeber und Geschäftsführer der FAZ appellierten in einer ganzseitigen Anzeige an die Mitglieder des Bundestages, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Das "primäre Geschäftsmodell von Zeitungen wird dadurch ernsthaft gefährdet", heißt es in der Anzeige. Auch die Geschäftsführer der Süddeutschen Zeitung baten die Abgeordneten in einem Brief, den Entwurf zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) abzulehnen.

Die Sorgen der Presseverlage haben folgenden Hintergrund: Für die kritisierten Nutzungs- und Downloadmöglichkeiten von Medien etwa in Bibliotheken sieht der Gesetzesentwurf künftig eine pauschale Vergütung der Urheber über die Verwertungsgesellschaft VG Wort vor. Diese würden, so die Befürchtung, an die Stelle individueller Verträge mit den Pressehäusern treten, die bisher etwa mit Bibliotheken und Archiven existieren, aber auch mit großen Firmen, Schulen oder kommunalen Einrichtungen. Das Problem: Der Bundesgerichtshof hat kürzlich die langjährige Ausschüttungspraxis der VG Wort gekippt. Die VG verteilt die Einnahmen nicht mehr pauschal auf Autoren und Verlage, sondern die Einnahmen aus den Texten stehen grundsätzlich voll den Autoren zu. Diese können einen Teil daraus an die Verlage abtreten. Ob und wie aber Pressehäuser bei dieser Rechtslage Geld aus den neuen Nutzungsrechten sehen, ist kaum zu kalkulieren.

Zwei Neuerungen lösen vor allem Unruhe aus. Das eine Problem stellt für die Verleger ein Paragraf über die Nutzung von Werken für Unterricht, Wissenschaft und Forschung dar. Zum Beispiel in Bibliotheken dürfen dafür künftig pro PC-Sitzung 15 Prozent eines geschützten Werkes "vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden", wie es im Entwurf heißt. Zwar beschränkt das Gesetz den Personenkreis und schreibt eine nicht kommerzielle Nutzung vor, aber ein Missbrauchsrisiko ist wohl kaum von der Hand zu weisen. Große Teile von Zeitschriften und Zeitungen würden nach diesem Szenario, fürchten die Kritiker, massenweise digital verbreitet werden können, ohne dass Erlöse dafür kämen.

Wird ein unentgeltliches, steuerfinanziertes Gesamtarchiv aller Zeitungstexte entstehen?

Viele Häuser haben allerdings den digitalen Vertrieb ihrer Produkte etwa an Bibliotheken längst zu einem eigenen Lizenzgeschäft entwickelt; rund um E-Paper, Digitalausgaben und Archivzugänge für die von Maas gemeinte Wissensgesellschaft ist ein funktionierender Markt entstanden, den die Verleger jetzt bedroht sehen.

Der andere große Kritikpunkt ist die Rolle der Deutschen Nationalbibliothek, die ein sogenanntes Web-Harvesting betreiben soll. Konkret bedeutet das, dass die Nationalbibliothek dem Entwurf zufolge künftig im Auftrag eines Nutzers Werke für die "nicht kommerzielle wissenschaftliche Forschung" kostenlos vervielfältigen und unter einer Internetadresse zugänglich machen darf - wenn diese Werke "öffentlich zugänglich sind und ihre Zugänglichkeit nicht dauerhaft gesichert ist". Für die Verlage sind damit auch alle Zeitungstexte der eigenen Webseite gemeint - auch wenn die nach einigen Tagen ins Archiv wandern und von dort gegen Geld vertrieben werden, was obsolet wäre, falls die Nationalbibliothek ein öffentliches Parallelarchiv aufbaute. Ein unentgeltliches, steuerfinanziertes Gesamtarchiv aller Zeitungstexte, die online zugänglich gewesen sind, nennen es die FAZ-Herausgeber.

Dazu muss man wissen, dass die Einnahmen aus dem Lizenzgeschäft zu den Erlösquellen gehören, mit denen Pressehäuser ein Stück Kompensation versuchen in dem großen Wandel der Branche, bei dem das klassische Geschäft mit Werbeanzeigen unter erheblichen Einbußen leidet. Die FAZ hat den befürchteten jährlichen Verlust für die eigene Zeitung auf einen siebenstelligen Betrag beziffert, in der Branche kursiert die Befürchtung, es stehe für alle Häuser insgesamt ein achtstelliger Betrag pro Jahr auf dem Spiel. Auf Nachfrage bei anderen Großverlagen erklärt etwa der Spiegel, man verfolge die Entwicklung aufmerksam und sehe durchaus eine erhöhte potenzielle Gefahr für mögliche künftige Erlösmodelle, "auch wenn unsere aktuellen Geschäftsmodelle vom UrhWissG zunächst nicht unmittelbar betroffen erscheinen".

In den Bibliotheken sieht man die Sache eher als Missverständnis

Bei den Bibliotheken selbst teilt man die Sorgen der Verlage kaum. Klaus Ceynowa, Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek, erklärt, dass "auch die Lizenzangebote der Presseverlage weiterhin ihre Berechtigung haben" werden. Auch bei der Deutschen Nationalbibliothek sieht man die Lage deutlich weniger dramatisch. Ein steuerfinanziertes Gesamtarchiv zu errichten, wie es die FAZ fürchtet, habe man nicht vor. Generaldirektorin Elisabeth Niggemann versteht den neuen Gesetzesauftrag so, dass die Bibliothek auf Antrag von Wissenschaftlern Internetseiten sichert, die etwa als digitale, aber vergängliche Quellen in Arbeiten zitiert werden. Dazu kämen Gesamtscans des deutschen Web alle ein bis zwei Jahre. Im Übrigen sei es ihre "klare, von der Gesetzesbegründung gestützte Interpretation", dass Zeitungstexte, die in kostenpflichtigen Zeitungsarchiven liegen, im Sinne des Gesetzes als "dauerhaft gesichert" gelten. Die Nationalbibliothek werde also gerade hier nicht wie von den Verlegern befürchtet aktiv. "Ich habe aber verstanden, dass man diese Befürchtung haben kann." Um diese Sorgen auszuräumen, "wäre eine Klarstellung im Gesetz vielleicht ein gangbarer Weg".

Auch aus Sicht der Verleger dürfte das eine entscheidende Frage sein: ob sich das Justizministerium die Zeit für solche Nachbesserungen nimmt.

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