Bilder von Attentätern:Wie sollen Medien über Terroristen berichten?

Significant Death Toll Feared In Paris Terror Attacks

"Diesmal ist es Krieg": Titelseite der Zeitung Le Parisien nach dem Terroranschlag in Paris im November 2015.

(Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images)

Französische Medien wollen keine Fotos von Attentätern mehr zeigen und keine Namen mehr nennen. Kann das funktionieren?

Von Joseph Hanimann

Eine schwierige Entscheidung: Sollen Medien dem Terror kein Gesicht mehr geben? Sollen sie keine Fotos von Attentätern zeigen, aus Respekt vor deren Opfern, und um sie nicht nachträglich zu Helden zu machen? In Frankreich, dem europäischen Land, das am schlimmsten vom islamistischen Terror heimgesucht wird, führt man die Debatte gerade mit großem Ernst - aber einfache Antworten gibt es nicht, wie das Beispiel von Le Monde zeigt, der großen Tageszeitung aus Paris.

Gegen eine Glorifizierung der Täter

Jérôme Fenoglio, der Herausgeber, gab nach den Attentaten von Nizza und in der Normandie in einer Leitkolumne bekannt, die Zeitung werde fortan keine Fotos von Terroristen mehr veröffentlichen, um nicht zu deren Glorifizierung unter den Sympathisanten beizutragen. Einen Tag später präzisierte er in einer internen Weisung an die Redakteure, betroffen davon seien nur Fotos, welche die Attentäter in ihrem Privatleben zeigten, vor der Tat, nicht aber solche aus Polizeiakten oder von Videoüberwachungskameras.

Die Debatte um den Umgang mit Bildern von Terroristen wird dieser Tage in vielen Ländern geführt, in Frankreich jedoch ganz anders als in Deutschland.

Nervosität besteht in Frankreich nicht nur, weil die Medien seit anderthalb Jahren immer wieder mit der Frage des richtigen Verhaltens bei spektakulären Terrorakten konfrontiert sind. Nach der blutigen Geiselnahme im jüdischen Supermarkt am Folgetag des Attentats auf die Satire-Zeitung Charlie Hebdo waren zahlreiche TV-Sender heftig in die Kritik geraten. Sie hatten während der dramatischen Ereignisse Informationen verbreitet, die den Terroristen nützlich sein konnten.

Frankreichs Medienaufsicht unterscheidet sich strukturell

Seit diesen Ereignissen wird die Debatte um Terrorberichte in Frankreich heftiger geführt - und ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland ist ein struktureller. Frankreich hat für solche Fälle, zumindest für Rundfunk und Fernsehen, eine staatliche Zentralinstanz, die einschreiten kann: den 1989 von der Regierung ins Leben gerufenen Conseil Supérieur de l'Audiovisuel (CSA), der über Meinungsvielfalt, Jugendschutz und Respektierung der Menschenwürde wacht. Er kann von Publikum und Politik bei fragwürdigen Ausstrahlungen angerufen werden - und kann die Sender bei Verstößen bestrafen.

Das Programm der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender wird von eigenen Aufsichtsgremien geprüft, den Rundfunkräten. Bei den privaten Sendern sind die Landesmedienanstalten zuständig, hier und dort ist alles föderal organisiert, eine vergleichbare zentrale Instanz gibt es nicht. In Frankreich wurde das aus acht Mitgliedern bestehende, teils vom Staats-, vom Parlaments- und vom Senatspräsidenten ernannte Gremium geschaffen, um die lange Zeit regierungshörigen Medien zumindest dem direkten Zugriff der politischen Macht zu entziehen. Durch unabhängige Schiedsurteile hat es in den vergangenen Jahren gewisses Ansehen errungen.

Nach dem Angriff auf den jüdischen Supermarkt 2015 hatte der CSA mehrere Medien gerügt. Auch nach dem Blutbad in Nizza haben Parlamentarier den CSA beauftragt, die Fernsehanstalten France 2 und TF1 wegen der Ausstrahlung von Selfies des vor der Tat grinsenden Mörders beziehungsweise wegen Szenen hassschürender Reaktionen zur Verantwortung zu ziehen. Nach Sichtung von 150 Stunden Informationsmaterial aus jener Nacht habe er die Bilder zur näheren Prüfung einem Sonderbeauftragten weitergegeben, im Allgemeinen aber keine rechtswidrigen Sequenzen gefunden, ließ der Medienaufsichtsrat vergangene Woche verlauten.

Trotzdem werden die Ereignisse der vergangenen Monate Auswirkungen auf die französische Berichterstattung haben. Der CSA wurde nach der Verlängerung des Ausnahmezustands in Frankreich von der Regierung beauftragt, neue "Verhaltensregeln zur Behandlung terroristischer Akte" durch die Medien auszuarbeiten. Seine Ergebnisse will er demnächst vorlegen.

"Ehrenwerte Absicht, falsche Konsequenz"

Auch abseits der Sender reagieren die französischen Medien schon jetzt, nicht nur Le Monde. Die Tageszeitung La Croix, der Fernsehnachrichtenkanal BFM-TV sowie die Rundfunksender RTL und Europe 1 gaben ähnliche Erklärungen ab. Der Sender Europe 1 teilte zudem mit, man werde statt der Namen nur noch die Initialen der Terroristen melden. Abgesehen vom Propagandaeffekt der manchmal direkt von den Terrororganisationen stammenden Bilder sei es ungehörig, die Mörder als freundliche Männer zu zeigen, wogegen die Opfer anonym bleiben, erklärte der Redaktionschef von BFM-TV: "Wir glauben nicht, dass die Täter durch unseren Verzicht von ihrem Vorhaben abzuhalten sind, aber wir tun es für unsere Zuschauer."

"Hüten wir uns vor einem Wettlauf der Selbstzensur"

Andere Medien sprechen sich resolut gegen solche Maßnahmen aus. "Ehrenwerte Absicht, falsche Konsequenz", sagt Laurent Joffrin, Redaktionsleiter von Libération: Die beste Antwort auf den Terrorismus sei es, wenn die Medien ihren Informationsauftrag als Bestandteil der Demokratie erfüllen wie bisher. "Hüten wir uns vor einem Wettlauf der Selbstzensur", mahnt auch Michel Field, Nachrichtenchef von France Télévisions. "Sobald Journalisten als gutes Gewissen auftreten, werden sie fragwürdig", warnt Edwy Plenel von der Internetzeitung Mediapart.

Wirkt die massive Verbreitung der Bilder von Terroristen anregend auf potenzielle Nachahmer? Ja, sagen Wissenschaftler, die sich mit dem islamischen Fanatismus beschäftigen und die Debatte in Frankreich prägen, zum Beispiel der Psychoanalytiker Fethi Benslama. In seinem Buch Un furieux désir de sacrifice ("Ein wildes Verlangen, sich zu opfern") mit dem Untertitel "Der Über-Muslim" versucht er zu zeigen, wie der Fanatismus mit dem Rausch des angeblich göttlich gewollten "Immer mehr" die oft an Geltungsmangel leidenden jungen Männer zu "religiösen Robotern" macht. Dazu gehöre auch, erklärt Benslama, das "Immer mehr" der über alle Kanäle verbreiteten Bilder von ihnen. Die beste Antwort sei, sich dem zu verweigern.

Doch was ist mit der individuellen Kommunikation über soziale Netzwerke, die nach ihren eigenen Regeln funktioniert? Wenn sich die etablierten Medien selbst disziplinieren, warnt der Medienstratege Christian Harbulot, geben sie ihren Informationsauftrag preis. Hielten sie Bilder und Nachrichten zurück, würde das nur Verschwörungstheorien befeuern.

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