Ikonisches Foto aus dem Vietnam-Krieg:Negativ 7a

Krieg in Vietnam - Kinder flüchten nach Napalm Angriff

Das Foto, das Nick Ut einen Pulitzerpreis einbrachte.

(Foto: picture alliance / AP)

Nick Ut ist zurückgekehrt, 40 Jahre nach Ende des Vietnam-Kriegs - an den Schauplatz seines berühmtesten Fotos. Über Wahrheiten, die das Bild nicht zeigt.

Von Willi Winkler

Es war kein Versehen, sagt Nick Ut, es geschah mit vollem Risiko. Zwei Bomber der südvietnamesischen Armee flogen vierzig Kilometer vor Saigon einen Angriff auf den Ort Trang Bang, den der Vietcong bereits erreicht hatte. Die Stelle, wo es den Feind aus dem Norden treffen sollte, war von einem Aufklärungsflugzeug mit einer weißen Phosphorgranate markiert worden. Südvietnamesische Soldaten kennzeichneten ihren Bereich sicherheitshalber rosa. Der Vietnamkrieg, in den USA weiterhin als Conflict kleingeredet, obwohl er bereits mehrere Zehntausend Amerikaner das Leben gekostet hatte, war längst "vietnamisiert". Sollte der westlich orientierte Süden doch selber schauen, wie er sich gegen die herandrängenden nordvietnamesischen Truppen behauptete. Napalm hatte sich dafür bewährt.

Flüchtlinge von auswärts und Bürger von Trang Bang hatten sich am 8. Juni 1972 in eine Pagode zwischen den Grenzlinien geflüchtet. Die beiden A-1 E Skyraider aus Südvietnam, altmodische Propellermaschinen, missachteten die Markierungen und bombardierten - um den Vietcong zu erwischen - auch Zivilisten und den Befehlsstand der eigenen Armee. Das Napalm, in vier Portionen ausgebracht, regnete unterschiedslos auf alles herab, gleich ob es stillstand oder sich bewegte.

Nick Ut hat das Friendly Fire am 8. Juni 1972 miterlebt, sah, wie die südvietnamesischen Flugzeuge ihre eigenen Leute unter Feuer nahmen. Vierzig Jahre nach Kriegsende ist der Fotograf für eine Reportage des US-Magazins Vanity Fair noch einmal an den Ort zurückgekehrt, an dem sein berühmtestes Bild entstanden ist.

Der Brand trieb die Bewohner aus dem Ort

"Ich bin am Morgen um sieben Uhr von Saigon losgefahren. Unterwegs kamen mir Tausende von Flüchtlingen entgegen. Ich arbeitete als Fotograf für Associated Press. An diesem Tag waren noch viele weitere Medienleute dort, darunter mehr als zehn Kameraleute. Da es bereits am Vormittag zu schweren Kämpfen gekommen war, reisten einige Reporter ab, weil sie glaubten, genug Material zu haben." Der Napalm-Angriff kam mittags um halb eins. Die längst berüchtigten Rauchwolken stiegen auf, der Brand trieb die Bewohner aus dem Ort; auch die Soldaten flohen. Auch die Reporter mussten weichen.

Ikonisches Foto aus dem Vietnam-Krieg: Ein Beschnitt, der das Foto dramatischer machte: Lange Zeit wurde das Bild von Nick Ut so gedruckt, dass Phan Thi Kim Phuc im Mittelpunkt war.

Ein Beschnitt, der das Foto dramatischer machte: Lange Zeit wurde das Bild von Nick Ut so gedruckt, dass Phan Thi Kim Phuc im Mittelpunkt war.

(Foto: Nick Ut/AP)

Nick Ut hatte vier Kameras und mehrere Farbfilme dabei, aber das entscheidende Bild schoss er mit einer Leica und schwarz-weiß. Fast jeder kennt es, denn es zeigt die Grausamkeit des Krieges: fliehende Kinder, der wie auf dem Bild von Edvard Munch aufgerissene Mund des Buben links, im Hintergrund Kriegswolken und Soldaten. In der Mitte rennt ein nacktes Mädchen um sein Leben, die Arme hilflos ausgebreitet, fleht es um Hilfe. Auch Fox Butterfield, Reporter der New York Times, hat gesehen, wie sich die neunjährige Phan Thi Kim Phuc die brennenden Kleider vom Leib riss: Ihr und den anderen "schälte sich die Haut in großen rosafarbenen und schwarzen Fetzen".

Nick Ut erhielt 1973 den Pulitzerpreis für das beste Pressefoto. Das Bild ist so ikonisch geworden, dass selbst die Folterbilder, die amerikanische Soldaten Jahrzehnte später zu ihrem sadistischen Vergnügen in Abu Ghraib anfertigten, wie Zitate dieser Kriegsgräuel wirken. Die Opfer wieder mit ausgebreiteten Armen, hilflos, verloren, wieder die Desastres de la Guerra, die Francisco de Goya zum ersten Mal vor zweihundert Jahren im spanischen Krieg gegen Napoleon anprangerte.

"Wenn sie nicht fotografiert worden wäre, dann wäre sie gestorben"

Nick Ut legt Wert darauf, dass er Phan Thi Kim Phuc, nachdem er seinen Film verschossen hatte, zu Hilfe geeilt ist, sie sofort im Auto ins Krankenhaus nach Saigon brachte und dank seines Presseausweises erzwang, dass sich sofort jemand um sie kümmerte. "Wenn sie nicht fotografiert worden wäre, dann wäre sie gestorben."

Den Film, auf dem er den Bombenangriff festgehalten hatte, brachte er ins AP-Büro, wo er in zehn Minuten entwickelt war. Die Kollegen Horst Faas und Peter Arnett wählten für die tägliche Bildübertragung, die um fünf Uhr nachmittags über Tokio lief, die Nummer 7a auf dem Kontaktabzug aus. Sofort entspann sich mit dem New Yorker Büro eine telegrafische Debatte - nicht etwa darum, ob man die Schrecken des Krieges, sondern ob man ein nacktes Mädchen zeigen dürfe. Schließlich wurde das Bild zur Veröffentlichung freigegeben, allerdings um den rechten Rand beschnitten. Dort ist die mediale Ergänzung der Kriegssituation zu erkennen: ein Reporter in Uniform, der professionell ungerührt neben den verbrennenden Kindern herläuft und seinen Film wechselt.

Das Mädchen aus Trang Bang ist inzwischen 52 Jahre alt

Erst durch den Bildausschnitt rückte Phan Thi Kim Phuc in die Mitte und wurde zum Blickfang, der die weltweite Empörung über den sinnlosen Vietnamkrieg noch steigerte. In den USA tobte im Juni 1972 bereits der Präsidentschaftswahlkampf. Richard Nixon musste um seine Wiederwahl fürchten. Er behauptete zwar, dass er keine Zeitungen lese, die inzwischen alle auf eine Beendigung des Krieges drängten. Aber im Gespräch mit seinem Berater Bob Haldeman musste er es doch zugeben, denn er äußerte den Verdacht, das Bild, das seine verheerende pazifistische Wirkung zu entfalten begann, müsse gefälscht sein.

In seinem Aufsatz über die Geschichte dieses Fotos zitiert der Bildhistoriker Gerhard Paul die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag mit dem Verdacht, "der Appetit auf Bilder, die Schmerzen leidende Leiber zeigen" sei "fast so stark wie das Verlangen nach Bildern, auf denen nackte Leiber zu sehen sind". Die New York Times jedenfalls entschied sich dafür, das Foto auf der Titelseite zu bringen, allerdings nur links unten. Die Süddeutsche Zeitung brachte es damals nicht.

Die Zeit, sagt das dämlichste aller Sprichwörter, heilt alle Wunden. Der Krieg ist lange vorbei. Am 29. April 1975 verließen die letzten amerikanischen Hubschrauber Saigon, das seit der Übernahme durch nordvietnamesische Truppen nach dem Anführer der Befreiungstruppen Ho-Chi-Minh-Stadt heißt, aber heute alles andere als kommunistisch ist. Trang Bang ist eine kleine Großstadt und nicht nur wegen des Bombardements von 1972, sondern auch durch eine Nudelsuppe bekannt.

Unstillbares Bedürfnis, der Zeit beim Heilen aller Wunden zur Hand zu gehen

Das Mädchen aus Trang Bang ist inzwischen 52 Jahre alt. Nach vielen Operationen hat Kim Phuc geheiratet und Kinder bekommen. Sie hat eine Stiftung für Kriegsopfer gegründet und reist manchmal noch als Goodwill-Botschafterin für die Unesco um die Welt.

Offenbar gibt es ein unstillbares Bedürfnis, der Zeit beim Heilen aller Wunden zur Hand zu gehen. 1996 meldete sich bei einem Veteranentreffen der amerikanische Soldat John Plummer und erklärte, er sei es gewesen, der den Befehl zum Angriff auf Trang Bang gegeben habe. Der reuige Schreibtischtäter hatte nach Vietnam und Alkohol zu Gott und Kim Phuc gefunden. Natürlich musste sie ihm da verzeihen. Die Bilder von der Versöhnung gingen um die Welt. Sie hatten nur einen Schönheitsfehler: Sie waren zwar echt, aber es gab nichts zu versöhnen. John Plummer hatte mit dem Napalm-Einsatz am 8. Juni 1972 nichts zu tun.

An dem Eingriff und seiner Planung waren nur Vietnamesen beteiligt; auch die Opfer waren Vietnamesen. Allerdings entsprach Plummers Selbstbezichtigung dem verbreiteten Bedürfnis nach Versöhnung. Nach Krieg und Leid und Tod war diese Sehnsucht so groß, dass das ZDF in einer Guido-Knopp-Sendung und in der Folge auch die Bild-Zeitung noch 1999, als der fromme Schwindel längst aufgeflogen war, die Legende weiterverbreiteten.

Vanity Fair zeigt übrigens das vollständige Bild 7a. Wenn man die Reportage allerdings ausdrucken will, ist das Bild wieder zum vertrauten Format beschnitten. Bilder lügen wie gedruckt.

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