Bildband:Der Bär, der vom Himmel fiel

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Von "Twin Peaks" bis zu "Breaking Bad" und von "Veronica Mars" bis "Lost": Ein herrlicher Bildband aus dem Taschen-Verlag würdigt in Bild und Text die besten Fernsehserien der vergangenen 25 Jahre.

Von Bernd Graff

Die Intelligenz, die ein durchschnittlicher TV-Spielfilm oder manch kriminalistische Vorabendsendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm seinen Zuschauern abverlangt, entspricht mitunter bloß der, beim Musikantenstadl im Takt mitklatschen zu können. Wie unterfordernd nicht wenige der Unterhaltungssimulationen sind, merkt man etwa daran, dass sich Online-Spießer in den Sozialmedien sogar synchron darüber lustig machen können.

Vor allem aber merkt man es, wenn man Fernsehserien der letzten 25 Jahre dagegen hält. Einem wunderbaren Bildband aus dem Taschen-Verlag ist zu danken, dass man sich diesen Überblick jetzt verschaffen kann. (Jürgen Müller: Die besten TV-Serien, 744 Seiten, Berlin 2015, 49,99 Euro.) Von den Simpsons zu True Detective, von Twin Peaks über die Sopranos zu Mad Men, Homeland, Lost, Breaking Bad, Game of Thrones, House of Cards und Orange is the new Black werden darin insgesamt 68 Serien dokumentiert, vor allem aber wird dargelegt, wie die Populärkultur im letzten Vierteljahrhundert von einem Tsunami an bild- und stoffgewaltigen Fernsehproduktionen immer massiver, immer schneller und immer stilbildender überrollt wurde.

Es sind vor allem amerikanische Serien, die Jürgen Müller, Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der TU Dresden, hier zusammengetragen hat. Er hat nun kein Familienalbum vorgelegt, in dem man nur nostalgisch seufzend herumblättern möchte. Nein, Müller und seinen Mitautoren gelingt, was in Bildbänden sonst selten ist: hier analysiert eine Expertenmannschaft auf einem Komplexitätslevel, das dem Niveau seiner Gegenstände absolut angemessen ist.

In Breaking Bad etwa wird die Allegorie jenes Teddybären untersucht, der dem Protagonisten Walter White in der zweiten Staffel aus heiterem Himmel in den Pool fällt. Bei den Mad Men erfährt unter anderem der Vorspann eine bildkritische Würdigung. Für die erste Staffel von True Detective begibt man sich in die "Matrix aus Trugbildern und Zeichen", "deren Bedeutung sich nur erahnen lässt". Die moralische Indifferenz der Figuren in Game of Thrones verdient eine Untersuchung. Und natürlich die Mutter aller Sofa-Schocker: Twin Peaks von David Lynch. Hier werden der postmoderne Genremix und die Zitatenspiele durchforstet.

Das geschieht ohne Intellektuellen-Geschwafel, das süffisant über seine Gegenstände hinausschießt. Hier will man nicht klüger sein als die Fernsehkost, die einem vorgesetzt wird. Denn die Beanspruchung der Deutungskräfte stammt von den Serien selber, die ihren Zuschauern mit jeder einzelnen Episode mehr abverlangen als so manche deutsche Vorabendserie mit einer ganzen Staffel. Vor allem aber wird klar: Noch nie war das Erzählen in bloßen Hinweisen und Charakter-Nuancen bildmächtiger als in aktuellen Fernsehserien.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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