"Bild"-Zeitung wird 60:Deutsche Papierkanone

Vor 60 Jahren gründete Axel Cäsar Springer "Bild", am Boden kniend, Kleber und Schere in der Hand. Seither lebt das Boulevardblatt vom vermeintlich gesunden Volksempfinden. Erregung ist erwünscht, eingeplant, eingepreist.

Tom Schimmeck

Erregung ist erwünscht, eingeplant, eingepreist. Bild lebt von der breiten Stimulation des Gefühls. Auch von der Abscheu der Gegner. Schon seit Axel Cäsar Springer vor 60 Jahren, am Boden kniend, Kleber und Schere in der Hand, sein "Massenblatt neuen Typs" bastelte. Er wollte die Stimmung der Wiederaufbau-Ära treffen: grell, schnell, bedenkenlos, konsumfreudig; für zehn Pfennige. Und gab Order, "holzschnittartig zu formulieren".

Die Bild-Zeitung im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin

Im März 2008 wurde das Logo der Bild-Zeitung an der Fassade des Axel Springer-Hochhauses in Berlin befestigt - zum Umzug der Redaktion von Hamburg in die Hauptstadt.

(Foto: dpa)

Ein Pionier? Bedingt. Das Vorbild, den Daily Mirror, gab es seit 1903. In Hamburg war just die Morgenpost auf den Plan getreten, auch für einen Groschen. Die ging dem neuen Cäsar bald "entsetzlich auf die Nerven". Das aufkommende Fernsehen weckte Phantasie und Begehrlichkeit des rasch expandierenden Verlegers. Er verdiente glänzend am Abdruck des Programms und verlangte später einen "Anteil an der neuen Maschine". Eine Schlacht übrigens, die er zäh führte und doch verlor. Seine Nachfolger schlagen sie noch heute.

Springer wusste um den Marktwert der starken Gefühle. Und ging aufs Ganze, schenkte seinem tantig-hanseatischen Hamburger Abendblatt ("Seid nett zueinander") dieses böse Schwesterlein. Bild sollte den Bauch der Nation bewegen, mit großen Bildern und fetten Lettern aller Wirklichkeit, manchmal auch der frei erfundenen, ihr maximales Erregungspotenzial entlocken: Hass und Mitleid wecken, Neid, Ekel und Begeisterung hervorkitzeln, Schaulust, Gier und Geilheit bedienen und dabei täglich die Geschmacksgrenzen ab- und gerne mal überschreiten. Kurz: ein Instrument sein, das tief in alle Saiten des menschlichen Charakters greift. Man strebe nach "Unmittelbarkeit bis zur Primitivität", erklärte Rudolf Michael, Bild-Chef in frühen Jahren, als "Korrelat zu einer großen Monotonie des modernen Lebens". "Wir wollen aufregen", sagt Bild-Chef Kai Diekmann noch heute. "Das gehört zum Markenkern."

Die Welt für einen Spottpreis

Axel Springer war ja selbst ganz Gefühl. Ein instinktsicherer Bonvivant und Charmeur, der wusste, was bewegt. Er war, wie Hausarchivar Rainer Laabs sagt, zu "sehr ausgeprägten Gefühlsäußerungen" fähig, las stets seine Horoskope. "Er ahnte, was die Menschen brauchen, was sie lesen wollen", meint sein Berater und Testamentsvollstrecker Bernhard Servatius, "und hatte deshalb sehr früh eine Vision für den Massenjournalismus."

Der gab sich Springer hin, genoss dabei den goldenen Löffel, der ihm mitgegeben war; auch die Patronage der Schwarzen wie der Roten. Hamburgs Lizenz Nr. 1 für sein Abendblatt kam vom SPD-Bürgermeister Max Brauer, einem Uralt-Freund der Familie. Die Welt fiel ihm - für einen Spottpreis - dank Konrad Adenauer zu, beraten von Springers Schulfreund Erik Blumenfeld (CDU), den Bonner Telefonistinnen später zum "schönsten Mann des Bundestages" wählten. Blumenfeld tat sich als Lobbyist des Verlages hervor und bekannte freimütig: "Ich habe Springer die Welt verschafft."

Was Axel Cäsar persönlich einbrachte, war sein tiefes Gespür für die Sehnsüchte des Nachkriegspublikums, das Heimat suchte, Frieden, Zuspruch und Zerstreuung. Nur keine grüblerische Reflexion. Weshalb er seinen Mannen flugs beibrachte, "dass der deutsche Leser eines auf keinen Fall wollte, nämlich nachdenken".

Ein Erfolgsrezept, das binnen weniger Jahre ein Medienimperium schuf. Bild, Hörzu und Co. spielten bald Millionen ein, Ende der 50er Jahre holte Springer die Ullstein-Blätter Berliner Morgenpost und BZ ins nun schon fast fertige Reich. Bild blieb das größte Wagnis, seine Innovation. "Vom Mischungsverhältnis des Inhalts her und von der leichten Fasslichkeit des Inhalts", dozierte Springer, "ist Bild ja der traditionellen Zeitung viel fremder als dem Fernsehen."

Bis heute fühlt man sich verkannt

Obwohl Bild anfangs schlecht lief: Zu viele Bilder, zu wenig Text und über Monate keine einzige Anzeige - die Zahnpasta Chlorodont brach endlich das Eis. Springer steuerte nach. Beim Vertrieb halfen gute Kontakte: Bild rollte im amerikanischen Militärzug gen Berlin. 1954 verkauften sich schon mehr als eine Million Exemplare, in Spitzenzeiten waren es später mehr als fünf Millionen. Aktuell finden noch 2 671 363 Stück ihr Ziel.

Bild mit Argumenten beikommen zu wollen, war immer ein tendenziell hoffnungsloses Unterfangen. Wiewohl Bild, die Gefühlskanone, die als Verdichter eines vermeintlich gesunden Volksempfindens eine hochpotente politische Waffe ist, scharfe Widerworte braucht. Schon Springer spottete über jene "Minorität von Ästheten", der das Boulevardblatt nicht passe. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner, der zuweilen einräumt, dass "Bild aus heutiger Sicht damals nicht alles richtig gemacht hat", sieht Kritik an seinem dreisten Dukatenesel letztlich als "Spießermut".

Bis heute fühlt man sich bei Springer verkannt, sieht sich gern als Opfer des liberalen Milieus, der wütenden 68er und der Stasi, die auch das Verlagshaus an der Kochstraße ins Visier nahm. Dankbar nimmt man jeden konvertierten Linken auf, der willens ist, die Springer-Fanfare zu blasen. Wolf Biermann ("Die Kugel Nummer eins kam aus Springers Zeitungswald") war hochwillkommen, Alice Schwarzer ebenso.

Analyse war schon Axel Springer eher fremd

Zum 60. Geburtstag schreibt "der legendäre Ex-Spiegel-Chefredakteur und Bestseller-Autor Stefan Aust" (Bild) über die "Bild-Erfolgsstory", schmückt einen riesengroßen Prachtband voller Titelseiten. "Ein Buch so groß wie die Liebe", schwärmt Bild. "Ein Buch so schwer wie das Schicksal. Und dennoch leicht wie gute Unterhaltung."

Analyse war schon Axel Springer eher fremd. Er näherte sich der Welt selten intellektuell, lieber erspürte er, beinahe kindlich, seine Wahrheiten. Er war der gottsuchende König, ein Gefühlsextremist, oft zerrissen zwischen tiefem Zweifel und Größenwahn, der zwischendurch glaubte, als Heiliger auf die Welt gekommen zu sein. Aus einer Kränkung heraus wurde er politisch - weil Chruschtschow ihn 1958 abblitzen ließ, als er nach Moskau reiste, um eigenhändig die Wiedervereinigung zu deichseln. Er bekam "eine auf die Nuss", resümiert sein Biograf Hans-Peter Schwarz, und hielt nun seine Blätter an, "auf die DDR einzudreschen". Fand Trost in patriotischem Pathos. "Es ist der Zeitpunkt gekommen", lautete Springers Order, "wo Bild nicht mehr nur zum Geldverdienen und zum Amusement der Leser da ist."

Sie verlangt nach Liebe, sonst schlägt sie zu

Springer suchte Anerkennung. Gerade auch bei Gegnern wie Axel Eggebrecht, Mitgründer des Nordwestdeutschen Rundfunks, der dem liebenswürdigen, agilen Jungverleger 1946 zu seiner allerersten Zeitschrift verholfen hatte, den Nordwestdeutschen Heften ("Wir sind sehr schuld am ersten Anfang von Axel Springer"). 1968, als er alle gegen sich wähnte, schrieb der Verleger-Axel dem Radio-Axel: "Ich habe Dich immer für rechtschaffen gehalten + werde es weiter tun. Stufe Du mich bitte auch so ein. Mit guten Grüßen. Dein Axel." Dem Autor Ben Witter beichtete er damals neben seinem Leid mit Bild auch revolutionäre Gefühle: "Ich verstehe Rudi Dutschke gut. Woraus besteht denn unser Leben zu neunzig Prozent, nein, ich möchte sagen, zu fünfundneunzig? Aus grauer Pflichterfüllung."

Ein wenig erinnert die gealterte Bild, auch wenn sie viel rowdyhafter daherkommt, an ihren feinen Schöpfer. Auch sie verlangt nach Liebe. Sonst schlägt sie zu. Sie heischt Aufmerksamkeit, nie mehr als am heutigen Tag, da sie die deutschen Briefträger zu Bildträgern macht und in alle Haushalte drängt.

Aber ach: "Bild" kann so launisch sein

Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Bild belohnt Unterwerfung. Sie zelebriert jeden, der mitmacht: Volksmusiker und Fußballer, Wirtschaftskapitäne und Politiker. Die Pragmatiker haben das immer verstanden. Bild, bekennt Werbeträger Thomas Gottschalk, "hat mich erst zur Schnecke gemacht, dann zum ,Titan'! Wer in Deutschland was werden will, muss da durch!" Auch Helmut Schmidt, Kind der Freien und Springerstadt Hamburg, lernte früh, dass es "politischer Selbstmord" ist, gegen Bild loszuledern. Trug Bild doch bereits zum Sturz des Hamburger SPD-Bürgermeisters Paul Nevermann bei, der sich vehement gegen ein Verlegerfernsehen stemmte.

1979 erwischte es den "linken Träumer" (Bild) Hans-Ulrich Klose, der atomkritische Anwandlungen gezeigt und ebenfalls gegen Privatfernsehpläne Springers Stellung bezogen hatte. Hauspoet Jonas reimte: "Hamburgs Bürgermeister Klose/ holt die Roten aus der Dose. . . . Klose kommt mit Lenins Knochen / quer im Mund hervorgekrochen." Kloses Unglück, bilanzierte der Economist, war, "dass rund 80 Prozent der Tageszeitungen in Hamburg und all seine Sonntagsblätter vom rechten Springer-Verlag kontrolliert werden". Der Spaß daran habe, Klose zu verfrühstücken. Oder, wie der Brite sagt: "to make a meal of him".

Gerhard Schröder glaubte bekanntlich, mit "Bild, BamS und Glotze" regieren zu können. Was eine sehr kurze Weile gelang. Bild hilft zuweilen gerne. Die ehemaligen Chefredakteure Peter Boenisch und Hans-Hermann Tiedje berieten Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl. Michael Spreng, Ex-Chef von Bild am Sonntag, lenkte den Bundestagswahlkampf von Edmund Stoiber. Bild-Mann Bela Anda diente Schröder als Regierungssprecher. Dahinter steckt immer das gierige Kalkül, mit Bild und ihren Mannen die Massen packen zu können. Wenn man nur mitmacht beim "Provozieren und Polarisieren" (Diekmann).

Wulff war nicht der erste Bild-Freund, der fiel

Aber ach: Bild kann so launisch sein. Das Schlagzeilengeschoss geht gerne mal nach hinten los. Die Bild-Zeitung sieht es als ultimatives Zeichen ihrer Macht, ihren Helden ihre Gunst gar plötzlich zu entziehen. Bei Diekmann können sich wohl nur der Papst und Diekmanns Mentor Helmut Kohl ("Wenn er drin ist, ist jeder Raum absolut voll") wirklich sicher sein. Bei Kohls zweiter Hochzeit war der Bild-Chef Trauzeuge, Messdiener und Reporter.

Christian Wulff war nicht der erste Bild-Freund, der fiel. Schon Klose wurde, bevor er stürzte, durch üppige Homestorys geadelt ("Elke Klose isst dauernd Marzipantorte - das muss ja ein süßes Baby werden"). Selbst Willy Brandt genoss die Sonne des Axel Springer - bis ihn der Verleger zum "zweiten Verderber Deutschlands" stempelte. Sie probieren es trotzdem immer wieder. Rudolf Augstein beobachtete bereits 1968 amüsiert, "dass die Politiker Springer dienern und wienern, als gälte es, den Großkönig gnädig zu stimmen". Daran hat sich strukturell nichts geändert.

Was anders ist: Bild steht längst nicht mehr allein, sondern speist einen Strom, in dem jetzt viele schwimmen. Das Geschäftsmodell Gefühl, das Wellenschlagen ist ein Breitensport. Bild ist sich treu geblieben, hat schon immer betrieben, was heute auch Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie alle möglichen Medien als massentaugliches Erfolgsrezept erkannt haben: Verkürzung, Dramatisierung, Inszenierung, Personalisierung. Und vielleicht verliert Bild auch deshalb so rasant an Auflage. Der Boulevard kennt heute im Netz weit derbere Spielarten - und er führt längst auch hinein in die ARD: "Das Größte", sagt eine junge Mitarbeiterin des Boulevardmagazins Brisant, "ist, wenn meine Story am nächsten Tag in Bild steht." Man könnte, meint Ex-Bild-Chef Udo Röbel, "etwas salopp sagen: Sorry, der Boulevard hat gesiegt." Das würde seinen Machern natürlich so gefallen.

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