Corona-Berichterstattung:84 Presserat-Beschwerden gegen "Bild"-Bericht

Medienkonzern Axel Springer

Die "Bild"-Zeitung steht für ihre Corona-Berichterstattung seit einigen Tagen stark in der Kritik. Der Presserat prüft, ob ein Verfahren eingeleitet wird.

(Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die Boulevardzeitung hatte Forschende als "Lockdown-Macher" betitelt. Ein breites Wissenschaftsbündnis reagiert, das Präsidium der Humboldt-Universität stellt sich hinter einen seiner Physiker.

Von Anna Ernst

Ein Bericht der Bild-Zeitung hat zahlreiche Leser - darunter auch viele deutsche Wissenschaftler - in Aufruhr versetzt. Am Dienstagvormittag lagen bereits 84 Beschwerden beim Deutschen Presserat gegen den Artikel "Die Lockdown-Macher" vom 4. Dezember vor. Das teilt eine Sprecherin auf SZ-Anfrage mit. "Wir prüfen derzeit, ob wir ein Verfahren gegen Bild.de einleiten." Dabei gehe es um die Frage, ob die Redaktion der Sorgfaltspflicht und dem Wahrhaftigkeitsgebot nachgekommen sei, die im Pressekodex festgeschrieben sind.

"Die Beschwerdeführer kritisieren, es werde der falsche Eindruck erweckt, dass Wissenschaftler Corona-Maßnahmen beschließen, für die aber die Politik verantwortlich ist", erklärt Presseratssprecherin Sonja Volkmann-Schluck. "Dies schüre Verschwörungstheorien und sei zudem ein Aufruf zur Hetze gegen Wissenschaftler."

Zu den bekanntesten Beschwerdeführern gehört die Berliner Humboldt-Universität (HU). Auch ihre Beschwerde ist bereits beim Presserat eingegangen, wie dieser bestätigt. Die Universität stellt sich damit geschlossen hinter ihren Physiker Dirk Brockmann, der in dem Bild-Artikel genannt wird. Wenn Forschende als "Lockdown-Macher" bezeichnet werden, würde den Lesern suggeriert, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen seien verantwortlich für Entscheidungen der Politik, erklärte die Universität in einem Statement.

"Diese Art der journalistischen Darstellung ist in den Debatten um den Zusammenhalt der Gesellschaft in Pandemie-Zeiten gefährlich und verantwortungslos", schreibt die Humboldt-Universität. Forschende würden auf diese Weise "markiert", heißt es weiter. "Anhänger von Verschwörungstheorien erhalten dadurch mediale Unterstützung für ihre Ansicht, die Wissenschaft sei ein Treiber politischer Entscheidungen." Dies sei aber nicht der Fall.

Zudem erklärte sich das Präsidium der HU solidarisch "mit allen, die sich gegen derartige bewusste Falschaussagen zur Wehr setzen": "Diese Art der Berichterstattung ist weit entfernt von jeder journalistischen Redlichkeit."

Allianz der Wissenschaftsorganisationen ruft zu Sachlichkeit auf

Auch ein breites Bündnis von Wissenschaftsorganisationen hat auf den Bild-Bericht Bezug genommen und zu mehr Sachlichkeit in der Berichterstattung über die Corona-Pandemie aufgerufen. "Gerade in Krisensituationen und einem ohnehin schon emotionalisierten Themenfeld ist Sachlichkeit in Diskussion und Berichterstattung in besonderer Weise geboten und weitaus zielführender", heißt es in dem Appell. Zu den Organisationen zählen unter anderen die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Max-Planck-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und die Hochschulrektorenkonferenz.

Die Wissenschaftsorganisationen befürchten, Berichte wie der Bild-Beitrag könnten zu einem Meinungsklima beitragen, "das an anderer Stelle bereits dazu geführt habe, dass Wissenschaftler sich demnach physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sahen oder bedroht wurden".

Ein Sprecher der zum Axel-Springer-Konzern gehörenden Bild teilte dazu auf dpa-Anfrage in einem Statement mit: "Wir können die Kritik verstehen und nehmen sie ernst. Wissenschaftler verdienen unseren Respekt." Kritik an Wissenschaftlern und ihren Vorschlägen müsse möglich sein, "aber immer angemessen geübt werden".

Der Sprecher verwies auch auf ein Statement des Bild-Chefredakteurs Johannes Boie, das in der Montagausgabe und zuvor online veröffentlicht wurde. Darin heißt es: Wer dieses Land regiere, verändere und über das Leben der Menschen bestimme, müsse Kritik aushalten. Gerade auch von Journalisten. "Umgekehrt muss Kritik angemessen geübt werden. Das gilt ausdrücklich auch für Bild."

Mit Material der dpa

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