Bilanz der Sexismus-Debatte bei Maischberger:Wenn Alphatiere ratlos sind

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Gruppenbild mit Feministin: Die "Menschen bei Maischberger" diskutierten diesmal zum Thema Sexismus. (Foto: WDR/Max Kohr)

Wer waren jetzt noch mal die Bösen? Männer, Frauen in ihren Blusen - oder doch die FDP? Zwischen all den Phrasen ist manchmal ein winziger Fortschritt in Maischbergers Sendung zur Sexismus-Debatte zu erkennen. Dann nämlich, wenn sich Gewissheiten plötzlich auflösen und die Fronten verschwimmen.

Eine TV-Kritik von Lena Jakat

Sandra Maischbergers Redaktion schafft es, das Thema der Sendung schon in den ersten Sekunden ad absurdum zu führen. Und zwar mithilfe der Studiogestaltung. "Die Sexismus-Debatte: Was hat sie gebracht?" lautet der Titel der Talkrunde an diesem Dienstag. Die Antwort auf die Frage: ein nach Geschlechtern segregiertes Publikum. Auf der einen Seite sitzen da junge und ältere Frauen - und auf der anderen Seite die Herren mit Brille, Herren in Pullunder und Poloshirt.

Auf Twitter macht sich unter den ersten Zuschauern der leise Verdacht breit, dieses Spielchen à la Kampf der Geschlechter könnte der Diskussion irgendwie zuwiderlaufen.

Die Frage der Sendung dürfen die Frauen und Männer im Studio auch gleich noch selbst beantworten. Bei der Frage "Haben wir in Deutschland ein Sexismus-Problem?" drücken 89 Prozent der Frauen den Ja-Knopf auf ihrem Abstimmungsgerät. Und nur 15 Prozent der Männer. Was uns die Debatte bislang gebracht hat? Offenbar nicht viel.

Drei Monate und zwei Tage ist es her, dass die Spiegel Online-Redakteurin Annett Meiritz einen Text über Sexismus in der Politik veröffentlichte. Einen sehr persönlichen Text, der in Verbindung mit dem, was folgte - einem Brüderle-Porträt im Stern, einem Post auf dem Blog kleinerdrei - Deutschland und seinen Intellektuellen die längst überfällige Sexismus-Debatte beschert hat. (Einen guten Überblick zum Beginn der Diskussion bietet das Storify der ARD-Kollegin Svea Eckert). Eine Debatte, die maßgeblich auch über Twitter ausgetragen wurde.

Anna-Katharina Meßmer war eine der Ersten, die unter dem Hashtag #aufschrei ihre Erfahrungen teilte, mit einem Tweet, dem Dutzende weitere zu dem Thema folgen sollten:

Bei Maischberger sagt Meßmer knapp drei Monate später, sie habe den Eindruck, gerade das Fernsehen habe in der Debatte sehr auf das Prinzip Geschlechterkampf gesetzt. In vielen Zeitungsartikeln, vor allem aber im Netz sei die Debatte weiter: Da stünden diejenigen, die Sexismus anprangerten, denen gegenüber, die kein größeres Problem erkennen. Unabhängig vom Geschlecht.

Und blendet man einmal das geschlechtergetrennte Publikum aus und auch den konkreten Inhalt der Debatte, der monoton um die Differenzierung Flirt vs. sexuelle Belästigung zu kreisen scheint, hält sich auch die Diskussion bei Maischberger nicht an Geschlechtergrenzen.

Auf der Seite der Sexismus-Kritiker gibt es ebenso ein Alphatierchen wie auf der Seite der Sexismus-Relativierer: Alice Schwarzer hier und Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer da versuchen gleichermaßen, die Diskussion an sich zu reißen. Wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln - sei es durch Maximierung der Redezeit (Schwarzer) oder durch Perfektion der Ablenkungsstrategie (Fleischhauer). Während Sexismus, wie Schwarzer zu Beginn zu Recht noch einmal allen in Erinnerung ruft, immer etwas mit Machtgefälle zu tun hat, hat der Wille, dieses Gefälle zu vergrößern, eben nicht immer etwas mit Sexismus zu tun. Wenn Frau Schwarzer und Herr Fleischhauer einander und die anderen nicht ausreden lassen, zum Beispiel.

Sowohl für die Problematisierer als auch für die Relativierer sitzt zudem jeweils eine Frau im Studio, die Probleme hat, zu Wort zu kommen, wenn auch aus verschiedenen Gründen: Da ist einerseits die "konservative Publizistin" (so die Bauchbinde) Birgit Kelle, deren Artikel "Dann mach doch die Bluse zu!" sich zum Höhepunkt der Sexismus-Debatte rasant in den sozialen Netzwerken verbreitet hatte. Ihr gelingt es, durch penetrante Wiederholung ihres "Keine Massenhaftung für Männer"-Lamentos die restlichen Gäste auf reflexartige Gegenrede zu konditionieren. Und da ist andererseits die Netzaktivistin Meßmer, die eine Stunde vor Ausstrahlung der Sendung per Twitterfoto klargestellt hat, welche Allianzen gelten sollen. Die nur leider gegen die schiere Wortübermacht Schwarzers dann aber nicht ankommt.

Dann sind da noch Birgit Schrowange und Heiner Lauterbach. Lauterbach sieht aus, als habe ihn Tom Hanks bei den Dreharbeiten zu "Cast Away"am Set vergessen. Er dient als prominenter Fürsprecher aller Sexismus-Täter, obwohl er eigentlich längst die Seiten gewechselt hat.

Und durch all die Phrasen zwischen Flirt und Vergewaltigung, die auch diesmal wieder gedroschen werden, hindurch ("Wenn Bordelle abgeschafft werden, steigt die Vergewaltigungsrate", "Frauen haben auch ihre Art der Abwertung", "Viele Frauen setzen ihre körperlichen Reize ganz bewusst ein") blitzt urplötzlich so etwas wie Fortschritt in der Diskussion auf. Dann nämlich, wenn die Fronten verschwimmen.

Wer sind jetzt eigentlich noch mal die Bösen? Die FDP-Politiker? Die Frauen in den Blusen? Die Männer? Und wer die Guten? Die Frauen? Die Zimmermädchen? Die mit den nackten Brüsten? Die verunsicherten Männer? All das ist plötzlich nicht mehr so eindeutig.

Wenn die Sexismus-Debatte etwas gebracht hat, dann, dass sie zu solcher Ratlosigkeit führt. An einen Punkt irgendwo zwischen den Geschlechtern, an dem endlich eine sachliche Diskussion beginnen könnte. Bis die nächste durchinszenierte Talkshow diese Chance wieder zunichtemacht.

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