Bilanz der Sender:Sehen und gesehen werden

Die Einschaltquoten des Jahres 2017 zeigen die dramatische Fragmentierung des Fernsehmarktes, in dem es viele Verlierer gibt, wenige Gewinner und die große Ungewissheit, was die Zuschauer wirklich wollen.

Von Benedikt Frank

Den Beginn des neuen Jahres feiern viele mit Ritualen. Die Fernsehsender zum Beispiel zählen ihre Zuschauer zusammen und rufen die Mitarbeiter der Presseabteilungen zu sich, auf dass sie die Jahresdurchschnittsquoten für die Welt da draußen interpretieren. Die Zahlen an sich sind dabei der wissenschaftlich belastbare Teil: Die von den Sendern gemeinsam getragene Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung weiß, wie viele Leute welchen Alters ferngesehen haben, welchen Sender sie wann wie lange wählten. Wie frei die Interpretation gestaltet werden kann, zeigt sich daran, dass die großen Sender in den vergangenen Tagen Erfolgsmeldungen verbreiteten - und zwar alle, auch bei negativen Quotentrends. Denn die großen Sender verlieren insgesamt.

Die privaten deutschen Sendergruppen präsentieren ihre Zahlen gern konzernweit, sie vergleichen sich mit ausgewählter Konkurrenz. So errechnet etwa die Pro-Sieben-Sat1-Gruppe einen Marktanteil von im Jahresdurchschnitt 27 Prozent, dieser liege damit über 1,6 Prozentpunkte über dem der IP-Gruppe, die die Werbezeiten von RTL, Vox, n-tv, Super RTL und Nitro vermarktet. Die Mediengruppe RTL sieht sich ebenfalls als Sieger der Privaten. Sie zählt auch RTL 2 und die RTL-Pay-TV-Sender mit, und zwar deren Zuschauer im Alter zwischen 14 bis 59 - und kommt so nun auf einen Vorsprung von 4,5 Prozentpunkten. Die Marktführerschaft beim Gesamtpublikum beansprucht das ZDF mit 13 Prozent für sich, vor dem Ersten (11,3 Prozent).

Die acht größten TV-Sender erreichen zusammen nur noch 56,4 Prozent Marktanteil

Früher waren die Zahlen unter dem Aspekt interessant, wer Quotenkönig ist. In Zeiten von Netflix, Youtube und Spartenkanälen sind sie aber inzwischen ein recht belastbarer Indikator für eine Entwicklung, bei der die Konkurrenz unter den Großen ARD, ZDF, RTL und Pro Sieben zwar sportlich ausgetragen wird, aber ein Defensivgefecht geworden ist. Denn von den acht größeren Programmen - Das Erste, ZDF, RTL, Sat 1, Pro Sieben, Vox, RTL 2 und Kabel 1 - verlieren fast alle. Ein leichtes Plus von 0,2 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen kann nur Vox vorweisen. Zusammen erreichen die Sender, wie der Mediendienst dwdl.de einfach mal gnadenlos aufaddiert hat, beim Gesamtpublikum nur noch einen Marktanteil von 56,4 Prozent, 3,3 Prozentpunkte weniger als 2016.

Selten ist das, was man die Fragmentierung des Marktes nennt, also der Trend weg vom guten alten Fernsehen für alle hin zu immer kleineren, auf spezielle Interessen ausgerichteten Anbietern, so sichtbar wie in der Jahresbilanz. Die Entwicklung ist den Konzernen bewusst. "In einem sich stark fragmentierenden Fernseh-Markt", teilt etwa ein Sendersprecher mit, habe "Pro Sieben in den vergangenen zehn Jahren seine Position als Nummer 2 gestärkt - und deutlich weniger Marktanteile verloren als der Marktführer." Nur 2017 sei das "leider umgekehrt" gewesen. Gegensteuern will man nun mit mehr Serien und Shows gleich zu Jahresanfang.

Die Quote ist ja in gewisser Weise ein Wert aus einer alten Welt. Sie weist reine Fernsehmarktanteile aus, die in Testhaushalten ermittelt und mit zusätzlichen Telefonbefragungen gegengeprüft werden - auch wenn die AGF inzwischen teilweise Werte für die Mediathekennutzung erhebt. Dennoch ist diese Quote weiter wichtig: Für Private Sender bedeutet sie Werbegeld, ARD und ZDF rechtfertigen mit ihr den Rundfunkbeitrag. Es geht um eine an Aussagekraft nachlassende, aber dennoch unverzichtbare Branchenwährung.

Dass es längst noch eine andere Währung gibt, das Mithalten mit allem, was die digitale Welt in TV und Web so bietet, haben auch die Sender erkannt. Junge Zuschauer wollen sie mit eigenen Netzwerken erreichen. Pro Sieben hat zum Beispiel die Tochter Studio 71, die unter anderem im Wahlkampf das Youtube-Interview von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz produzierte; RTL hat Divimove, das nach eigenen Angaben 900 Influencer vertritt, und die Öffentlich-Rechtlichen haben das Jugendangebot funk. Und nicht zuletzt kann man die Schwäche der großen auf die Vielfalt der kleinen Sender zurückführen. So gibt es heute etwa Kanäle, die nur Science-Fiction- oder nur Bollywood-Filme zeigen.

Irgendwo dazwischen liegt Vox mit sehr besonderen Eigenproduktionen, sowohl von Serien (Der Club der roten Bänder) als auch von Shows (Die Höhle der Löwen). Zugleich sind die Programme dort offenbar anschlussfähig genug, um viele Zuschauer zu binden. Im Erfolg des kleinen Kölner Senders steckt ein bisschen alte und ein bisschen neue Fernsehwelt.

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