Big Data bei Beckmann:Flucht in die Theorie

Vier Gäste, drei Themen, 80 Minuten: Beckmann wollte über Big Data reden. Die Teilnehmer hätten eine gute Diskussion führen können - haben sich aber stattdessen auf eine gemeinsame Haltung geeinigt.

Eine TV-Kritik von Hakan Tanriverdi

Der Journalist Frank Schirrmacher, der Politiker Sigmar Gabriel und die Autorin Juli Zeh sind sich in einem Punkt einig. So, wie sie sich selbst wahrnehmen, sind sie keine pessimistischen Technikfeinde. So, wie sie das sehen, hat sich eine abstrakte Schicht über die Gesellschaft gelegt und dabei alles verändert. Eine digitale Umwälzung in Form von Software und Algorithmen, die im Grunde nur noch eine Frage zulässt: Was tun wir jetzt? Ihre Antwort: Puh, keine Ahnung, aber lasst mal drüber reden.

Die drei sitzen bei Reinhold Beckmann in der Talkshow, zusammen mit dem vierten Gast Fabian Heilemann. Der hat sein Start-up erst an Google verkauft und es sich anschließend wieder zurückgeholt (ein SZ-Magazin-Porträt über Heilemann und seinen Bruder lesen Sie hier). Das Thema der Talkshow heißt "Informiert oder manipuliert - wie die digitale Welt unser Leben verändert". In 80 Minuten soll es um den Geheimdienst-Skandal, das Datensammeln von Silicon-Valley-Großkonzernen und um Cyberkriminalität gehen.

Gleich mit der ersten Frage ist der Tonfall der Runde gesetzt. Beckmann will von seinen Gästen wissen, wie lange sie online sind. Bis auf Juli Zeh, die sagt, dass sie in einem Funkloch wohnt, sind alle die überwiegende Zeit erreichbar. Es gibt kein Entrinnen, der Mensch legt sich die Maschine nachts neben sein Bett - ob sie da nun als Wecker dient oder als letztes Update vor dem Einschlafen ist schon egal, das Ergebnis bleibt gleich: "Man ist permament verbunden", sagt Schirrmacher, "es ist wie eine Nabelschnur."

Das Beklagte ist längst Realität

Big Data, also die Verarbeitung von massenhaften Daten, ist ein Thema, zu dem alle Beteiligten aus dem Stand Vorträge halten könnten. Die tiefgreifendste Revolution sei das, sagt Schirrmacher, Big Data verändere das Fühlen, Handeln und Kommunizieren der Menschen, sagt Zeh. Die Gäste reden pointiert, auch Gabriel beherrscht seine Floskeln ("Daten sind die neue Währung") - und doch fallen zwei Sachen auf.

Erstens: Die Teilnehmer reden von der Digitalisierung mehrheitlich in der Zukunftsform, als etwas, das passieren wird. Dabei ist das, was sie beschreiben, längst Realität. Vor lauter Entwickeln von Zukunftsszenarien, in denen Google eine Versicherung aufgekauft haben wird, geht unter, was bereits den Ist-Zustand ausmacht. Google - und alle anderen Hausnummern aus Kalifornien - werden nicht in der Zukunft auf massenhaft Daten sitzen, sie tun es bereits seit Jahren.

Zweitens: Der Unterton, der mitschwingt, ist durchgehend pessimistisch. Selbst eine Person wie Schirrmacher, die "den Atem anhält" anlässlich der Art, wie die Digitalisierung den Alltag radikal umkrempelt, verbringt den Großteil der Zeit damit, über seine Machtlosigkeit zu sprechen. Es ist die gleiche Machtlosigkeit, die der Springer-Chef Mathias Döpfner in seinem Brief an den Google-Chef Eric Schmidt geschrieben hat: "Warum wir Google fürchten."

Das Thema, zur Erinnerung: Informieren oder Manipulieren, böte auch den Raum, über Chancen zu reden, die diese Daten mit sich bringen. Aber nicht an diesem Abend. In kurzen Satzfetzen vergewissert man sich selbst, dass man kein Schwarzseher sei, dass es auch gute Seiten gebe, klar, aber reden will man dann doch lieber über die Gefahren und das Ungewisse.

Der Mann aus dem Maschinenraum

Heilemann sollte in dieser Runde der Mann aus dem Maschinenraum sein. Der, der bei Google war und dessen Geschäftsmodell ebenfalls auf Algorithmen aufbaut. Aber Heilemann spaltet sich lieber in zwei Personen auf. Zum einen präsentiert er sich als die Kritik sehr gut nachvollziehenkönnender Privatmensch, zum anderen als Geschäftsmann, der Daten braucht. Gerät Heilemann in Bedrängnis, ist er Privatmensch - so muss er nicht auf die Argumente eingehen. Geht es ums rein Geschäftliche, ist er ganz Businessman. Ein wirkliches Diskutieren findet so nicht statt.

Die Juristin Juli Zeh unternimmt hin und wieder den Versuch, für eine Diskussion zu sorgen. Sie fragt Gabriel nach seiner Agenda. Zeh kommt auf die Datenschutz-Grundverordnung zu sprechen, die seit zwei Jahren auf europäischer Ebene verhandelt wird. Würde diese verabschiedet, gelten für mehr als 500 Millionen Menschen auf einen Schlag die gleichen Gesetze in Sachen Datenschutz. Aber die Reform des Datenschutzes zieht sich hin. "Welches Land bremst da?", fragt sie Gabriel und antwortet selbst: "Deutschland."

Gabriel kontert und sagt, er sorge sich, dass der deutsche Datenschutz-Standard geschwächt werden könnte und verlangt, dass dieser in Ländern, die in einigen Punkten einen stärkeren Datenschutz hätten, angewendet wird. Es ist ein Schlagabtausch, der kurz andeutet, was möglich gewesen wäre. Doch die Diskussion verebbt und man flüchtet zurück in die Theorie. Dort fühlen sich die Teilnehmer am wohlsten - zumindest in dieser Runde.

Schirrmacher sagt, man rede mittlerweile nicht mehr über Technik, sondern über die Haltung der Politik. Auch Gabriel redet über Politik, wenn er über die Ausgestaltung der europäischen Marktmacht spricht. Aber die Idee selbst bleibt schwammig. Er will zum Beispiel in Europa kein zweites Google schaffen, aber, im nächsten Satz, mehr Wettbewerb. Wie denn, wer denn, wo denn? Eine Antwort gibt es nicht.

Nach gut 65 Minuten wechselt Beckmann das Thema. Insgesamt waren ja drei Themen angedacht, bleiben noch 15 Minuten für zwei. Beckmann legt seinen Gästen schnell noch das Wort Cyberkriminelle auf die Zunge, doch diskutieren geht nicht, sie haben ja keine Zeit. Bleiben fünf Minuten für Geheimdienst, NSA, Snowden und für dessen Auftritt bei Putin. Die gingen dann auch ganz schnell vorbei.

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