Big Brother-Experiment mit Facebook:Eingeschlossen im Netz

Fünf Journalisten kommunizieren fünf Tage lang nur über Facebook und Twitter mit der Außenwelt. Ihr Fazit: Soziale Netzwerke können traditionelle Medien nicht ersetzen.

Victor Henle

Auf einem Bauernhof im Périgord ging in Frankreich gerade eine ungewöhnliche Art eines Big-Brother-Experiments zu Ende. Fünf französischsprachige Journalisten aus Frankreich, Kanada, Belgien und der Schweiz hatten sich fünf Tage mit der Absicht eingeschlossen, sich nur mit Facebook und Twitter über die Außenwelt zu informieren. Sie wollten erproben, was sie unter diesen Umständen über die Welt erfahren. Das Experiment lief unter dem Titel: "Eingeschlossen im Netz".

Facebook, Foto: afp

Allein in der Facebook- und Twitterwelt - ein Experiment von fünf Journalisten.

(Foto: Foto: afp)

Als Resümee wagten die Journalisten keine allgemeinen Schlussfolgerungen, außer der, dass die traditionellen Medien und die sozialen Netzwerke sich gegenseitig nicht ersetzten, sondern komplementär seien. Einige wichtige Einzelerkenntnisse drängten sich ihnen jedoch auf.

Knall eines Flugzeugs

Erstaunt waren sie über die Geschwindigkeit, mit der sich Twitter-Nachrichten nach dem Schneeballsystem ausbreiten. Zwar wussten sie das theoretisch, dennoch hätten sie sich das Ausmaß nicht so groß vorgestellt. Einer der Journalisten brachte das Beispiel eines Mannes, der in Russland plötzlich festgenommen wurde und vor der Polizeistation gerade noch einen Journalisten mit seinem Smartphone über den Vorfall informieren konnte.

Gleichzeitig erschreckte die Eingeschlossenen die Vorstellung, wie leicht ungeprüfte Nachrichten in die Netzwerke gelangen können. Auch da erlebten sie ein Beispiel.

Eine Meldung, in der Stadt Lille habe es eine heftige Explosion gegeben, veranlasste über 5000 Nutzer sich einer entsprechenden Facebook-Gruppe anzuschließen. Später stellte sich heraus, dass es nur der Knall eines Flugzeuges war, das die Schallmauer durchbrochen hatte.

Eine andere wichtige Erkenntnis war, wie sehr die Informationsbreite und die Erklärfunktion der traditionellen Medien fehlten. Das erfuhren die Journalisten anhand einer Mitteilung, wonach Georges Frêche, ehemaliger Bürgermeister von Montpellier und bekannter rechtspopulistischer Sozialist, den früheren Premierminister Laurent Fabius mit antisemitischen Äußerungen überzogen habe.

Dazu vermissten sie zur Einordnung den Hintergrund und den Kontext, in dem diese Äußerungen fielen.

Keine Auslandsnachrichten

Aufgefallen ist den Teilnehmern auch die andersartige Hierarchie der Nachrichten. Während ansonsten der Bahnstreik das mediale Hauptthema war, rangierte bei Twitter eine bunte Nachricht an erster Stelle: Die französische Justizministerin Michèle Alliot-Marie und Innenminister Brice Hortefeux können sich angeblich nicht ausstehen.

Ein Mangel schließlich war ganz evident: Auslandsnachrichten drangen fast keine zu den Probanden durch.

Scheinbar interessieren sich die Nutzer der sozialen Netzwerke mehr für die kleinen Dinge des Lebens im eigenen Land als für das, was außerhalb der Grenzen geschieht. Der kanadische Journalist fasste seine Erfahrung so zusammen: "Es ist verrückt, wie viel Aufwand wir treiben mussten, um ein kleines bisschen Informationen zu bekommen, die wir in den alten Medien selbstverständlich gehabt hätten."

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