BGH-Urteile:Vorrang für die Pressefreiheit

Der BGH fällt zwei Urteile zum Urheberrecht. Dieses kann kein Hebel sein, um staatliche Geheimhaltung durchzusetzen, wie es die Bundesregierung bei den "Afghanistan-Papieren" versuchte.

Von Wolfgang Janisch

Als die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vor etwa acht Jahren auf ihrem Onlineportal militärische Lageberichte aus Afghanistan veröffentlichte, die eigentlich nur für ausgewählte Parlamentarier und Ministeriumsmitarbeiter bestimmt waren, reagierte die Bundesregierung verschnupft. Das war zu erwarten - ziemlich überraschend aber war die juristische Verteidigungslinie, mit der die Regierung fortan solche unliebsamen Publikationen unterbinden wollte.

Die Berichte seien vom Urheberrecht geschützt, deshalb könne die Regierung die Verbreitung dieser Werke untersagen. Der Ministeriumsbedienstete als Schriftsteller? Der Soldat, der über die Details des Auslandseinsatzes nach Berlin meldet, als schützenswerter Autor? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese merkwürdige Idee nun verworfen - die Pressefreiheit hat Vorrang.

Eigentlich wollte die WAZ über das Informationsfreiheitsgesetz an die wöchentlichen militärischen Lageberichte über den Auslandseinsatz ein Afghanistan gelangen. Es gab eine Kurzfassung für die Öffentlichkeit, aber die Journalisten wollten die mit UdP gekennzeichnete Version - Unterrichtung des Parlaments. Ihr Antrag wurde abgelehnt, aber irgendwer hatte die als "VS - Nur für den Dienstgebrauch" gestempelten Afghanistanpapiere geleakt. Die Zeitung der Funke-Medien-Gruppe stellte sie online.

Der BGH stellte nun klar, dass das Urheberrecht kein Hebel sein kann, um staatliche Geheimhaltung durchzusetzen. Dafür gebe es andere Gesetze - unter anderem Paragrafen zum Landesverrat und zur Gefährdung der äußeren Sicherheit. "Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt nicht das Interesse an der Geheimhaltung von Umständen, deren Offenlegung Nachteile für die staatlichen Interessen der Klägerin haben könnte", befand der BGH. Sondern lediglich das Recht eines Autors zu entscheiden, ob er sein Buch rausbringen will oder nicht. Dagegen fällt auf der anderen Seite die Pressefreiheit umso stärker ins Gewicht. Informationen über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz seien wichtig für die politische Auseinandersetzung - weil es hier um eine Kontrolle staatlicher Entscheidungen gehe.

Dass ein Autor nicht so ohne weiteres die Kontrolle über seinen Text behält, das musste sich nun auch Volker Beck vom BGH sagen lassen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen liegt seit längerer Zeit mit Spiegel Online im Clinch, und zwar wegen eines unseligen Buchbeitrags, den er als junger Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Jahr 1988 veröffentlicht hatte. Er sinnierte damals über die "Entkriminalisierung von unproblematischen sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern". Längst hat er sich von diesen Sätzen distanziert. Allerdings hatte er sich stets damit verteidigt, der Verlag habe damals seine zentrale Aussage verfälscht. Spiegel Online meldete indes 2013, der Buchbeitrag sei mit dem inzwischen aufgetauchten Originalmanuskript nahezu identisch - und heftete den Text als pdf an.

Beck zog gegen die Veröffentlichung des Manuskripts vor Gericht und reklamierte sein Urheberrecht. Zwar hatte er selbst das Original auf seiner Homepage zugänglich gemacht - allerdings auf jeder Seite mit einer nicht zu übersehenden Distanzierung gestempelt. Das ungestempelte Original wollte er aus dem Netz entfernen lassen, um dessen Missbrauch zu verhindern. Aus der Perspektive eines prominenten Homosexuellen, der sich seit jeher Anfeindungen aller Art erwehren muss, war das nicht ganz fernliegend.

Seinen Versuch, wenigstens einen Rest an Deutungshoheit behalten, hat der BGH nun aber abgeschmettert und der Pressefreiheit den Vorrang eingeräumt. Die Publikation des Originalmanuskripts sei zulässig, damit sich die Leser ein eigenes Bild von Becks These einer inhaltlichen Verfälschung machen könnten. Dass der Ex-Politiker sich von seinen früheren Thesen distanziere, darüber habe auch Spiegel Online berichtet - und damit dessen Interessen gewahrt.

Volker Beck zeigte sich am Donnerstag zwar "erstaunt" über das Urteil, hegt aber dennoch eine Hoffnung. Erlaubt sei die Publikation seines Manuskripts nur im Rahmen der "Berichterstattung über Tagesereignisse" - und inzwischen sei der Streit zu lange her, um noch als "Tagesereignis" durchgehen zu können.

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