Süddeutsche Zeitung

Betrugsvorwurf:Patente und Tränen

Prozessauftakt im spektakulären Fall um das Münchner Institut für Rundfunktechnik IRT von ARD und ZDF: Wem gehören 200 Millionen Euro?

Von Klaus Ott

Ein Geldspürhund in der Waschküche und ein weinender Zeuge; angeblicher Verrat und zwei 200-Millionen-Euro-Klagen; und dann auch noch einer der bekanntesten bayerischen CSU-Politiker gegen den Bayerischen Rundfunk (BR). Die Geschichte, die sich derzeit rund um den BR und das Münchner Institut für Rundfunktechnik (IRT) abspielt, hat das Zeug zum Fernsehkrimi. Die Handlung führt über die Alpen bis nach Italien. Das einzige, was noch fehlt für einen abendfüllenden Film, ist eine Leiche. So weit geht der Streit, der an diesem Mittwoch beim Landgericht Turin geführt und am Donnerstag vor dem Münchner Landgericht fortgesetzt wird, dann aber doch nicht.

Der namhafte CSU-Mann, das ist Peter Gauweiler, der als Anwalt mal gegen die Deutsche Bank streitet, mal für Airbus, mal gegen Daimler. In diesem Fall vertreten der Jurist und seine Kanzlei eine Firma namens Bräu, die der Familie des Patentanwalts K. gehört. Der soll mit seiner Frau und der Gemeinschaftsfirma Bräu sowie zusammen mit einem italienischen Unternehmen das Institut für Rundfunktechnik (IRT) schmählich betrogen haben: um fast 200 Millionen Euro. Dieses Geld will das Technik-Institut, das vor allem von ARD und ZDF getragen wird, nun bei Gericht einklagen. Mit Hilfe des BR, der sich in der ARD um diesen Streit kümmert. Am Ende stünden die vielen Millionen in erster Linie den Beitragszahlern zu, den Hörern und Zuschauern, von denen die Anstalten dann etwas weniger Geld bräuchten. Denn das IRT ist seit Jahren auch auf Zuschüsse von seinen beitragsfinanzierten Gesellschaftern angewiesen.

Es könnte der größte Kriminalfall werden, der sich in Deutschland jemals im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgespielt hat. Mit Bräu im Sinne von Bier oder Brauerei hat die Sache nichts zu tun: Es geht vielmehr um die vom IRT einst mitentwickelte MPEG-Technologie, die für MP3-Player wichtig ist, und die sich im Laufe vieler Jahre als immer wertvoller erwiesen hat - als ein weltweites Milliardengeschäft. Nur kam davon bei dem Münchner Institut wenig an, in dem gleichsam der technische Erfindungsgeist der öffentlich-rechtlichen Anstalten gebündelt wird. Ganze 14,25 Millionen Euro. Anspruch gehabt hätte das IRT nach eigener Darstellung auf 213 Millionen Euro. Den fehlenden Rest sollen, darum geht es in den Klagen, Patentanwalt K. mit Frau und Bräu GmbH sowie das italienische Unternehmen Sisvel nachzahlen, plus Zinsen. Bis die fast 200 Millionen Euro wieder in der Institutskasse sind - egal ob von Sisvel, von K. oder von beiden gemeinsam.

K. hat sich für das IRT jahrzehntelang darum gekümmert, Erfindungen zu vermarkten. Bei MPEG und auch anderweitig ist das über Sisvel gelaufen, einem auf die globale Verwertung von Patenten spezialisierten Medienunternehmen. Aus dem Miteinander ist ein heftiger Streit geworden, der K. nach einer Strafanzeige des BR monatelang in Untersuchungshaft gebracht hat. Die Anwälte von K. und seiner Familie kontern mit Strafanzeigen gegen IRT-Verantwortliche, die falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben hätten. Sisvel hat beim Landgericht Turin gar eine Gegenklage eingereicht.

Beim Landgericht München verklagt das IRT den Patentanwalt, dessen Frau und die gemeinsame Firma Bräu auf knapp 200 Millionen Euro plus Zinsen. Bei der Bräu, einer Firma im Schwäbischen, hatten K. und seine Frau viele Millionen Euro zurückgelegt. Nach Ansicht des Instituts handelt es sich um Geld, das eigentlich dem IRT gehört. Die erste Verhandlung findet am Donnerstag statt. Beim Landgericht Mannheim geht das Technik-Institut gegen Sisvel vor. Mannheim deshalb, weil das laut den Verträgen des IRT mit Sisvel bei Auseinandersetzungen der Gerichtsstandort sein soll. Dort gibt es eine Art Patentrechtskammer. Turin, München, Mannheim - inzwischen verkehren die Parteien nur noch über Gerichte miteinander, und das immer heftiger.

Im IRT glaubt mancher an Verrat. Mitnichten, sagt ein Beklagter, das Institut habe geschlafen

Dafür ist einer wie Gauweiler genau der Richtige. Der hat in einem anderen Medienfall für den Film- und Fernsehmagnaten Leo Kirch fast eineinhalb Jahrzehnte gegen die Deutsche Bank gefochten, bis diese 925 Millionen Euro zahlte. Gauweiler gegen das Technik-Institut und den BR, dessen Intendant Ulrich Wilhelm ehedem bei Gauweilers Widersachern Edmund Stoiber und Angela Merkel Karriere machte, auch das wäre ein TV-reifer Stoff. Doch um Politik geht es im Fall des IRT nicht.

Der ehemalige IRT-Mann K. soll dem eigenen Institut gemeinsam mit Sisvel verschwiegen haben, wie wertvoll die MPEG-Rechte seien. Die beiden hätten heimlich halbe-halbe gemacht, lautet der Vorwurf. Einer der IRT-Verantwortlichen fühlte sich derart böse hintergangen, dass er bei der Münchner Staatsanwaltschaft während einer Zeugenaussage zu weinen begann. Das gehe einem ja auch persönlich nahe, gab er zu Protokoll. Die Vorwürfe stimmten nicht, entgegnen K. und Sisvel. Das Institut habe teils gewusst, teils hätte es wissen müssen, was MPEG bringe und habe schlichtweg geschlafen. Betrug und Verrat? Mitnichten, sagen K. und Sisvel. Es habe bei Besprechungen Hinweise darauf gegeben, wie wertvoll die Rechte gewesen seien. Man habe nichts verheimlicht, K. habe eigene Rechte verwertet.

Beim Landgericht Turin will Sisvel an diesem Mittwoch dem Institut dessen Vorwürfe verbieten lassen. Zudem soll das Gericht feststellen, dass Sisvel stets korrekt gehandelt und seinerseits Anspruch auf Schadenersatz habe, wegen Rufschädigung. Das IRT wiederum behauptet, die Turiner Klage von Sisvel sei "gekennzeichnet durch eine polemische und verzerrte Darstellung des Sachverhalts".

Als die Polizei für das IRT bei der Familie K. deren Autos, Gemälde und anderes Vermögen sicherstellte, war auch ein Geldspürhund dabei. Der vierbeinige Sonderermittler erschnüffelte in der Waschküche einen 50-Euro-Schein in einer Jeans. Der Schein wurde mitgenommen.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2018
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