Süddeutsche Zeitung

Betrugsvorwürfe:Hat sich ein Patentanwalt an ARD und ZDF bereichert?

Ein Technik-Institut der Rundfunkanstalten soll von einem ehemaligen Mitarbeiter um bis zu 200 Millionen Euro betrogen worden sein.

Von Klaus Ott

Kriminalfälle aus dem richtigen Leben, nicht bloß erfundene Geschichten, hat es bei ARD und ZDF schon einige gegeben in den vergangenen Jahrzehnten. Aber selten oder noch gar nicht einen Fall, bei dem es um so viel Geld ging. Das in München ansässige Institut für Rundfunktechnik (IRT), das von den öffentlich-rechtlichen Anstalten betrieben und bezuschusst wird, soll um 100 bis 200 Millionen Euro betrogen worden sein. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen Patentanwalt, der seit Jahrzehnten für das IRT tätig war und am Mittwoch verhaftet wurde. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt wegen Untreue und Korruption in einem besonders schweren Fall sowie wegen Parteiverrat. Die Strafverfolger durchsuchten mehrere Objekte in München und dem Rest von Bayern, um Beweise für die vermuteten Straftaten zu finden.

Das IRT ist ein eher kleines, aber feines Institut, das mit seiner Forschung viel zur Medienentwicklung beiträgt: elektronische Zeitlupe für die Sportschau, Videotext und anderes mehr. Jetzt wird das IRT selbst unter die Lupe genommen. Genauer gesagt: die Beziehung zu dem Patentanwalt, der nun hinter Gitter sitzt. Der Beschuldigte war einst beschäftigt beim Institut für Rundfunktechnik und dann auf Honorarbasis für die Tochterfirma von ARD und ZDF tätig. Er soll für das IRT "besonders nachteilige Verträge" herbeigeführt haben, wie der Bayerische Rundfunk am Mittwoch mitteilte. Die Patente des Technik-Instituts seien über eine internationale Gesellschaft so verwertet worden, dass davon vor allem der Patentanwalt profitiert habe. Er habe, so der Verdacht, in die eigene Tasche gewirtschaftet. Statt zum Wohle des IRT zu agieren, wie es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre.

Leidet der Ruf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Mitte vergangener Woche hatte der Bayerische Rundfunk Anzeige erstattet. Danach ging alles sehr schnell. Durchsuchungsbeschluss, Haftbefehl, die Aktionen am Mittwoch. Die Ermittler nehmen den Verdacht sehr ernst. Auch das Landgericht München I hat bereits reagiert und auf Antrag des Instituts einen sogenannten Arrestbeschluss über 130 Millionen Euro erlassen, mit dem zum Beispiel Vermögen vorläufig gepfändet werden kann. Der Beschluss richtet sich gegen den Beschuldigten und eine von ihm gegründete Gesellschaft zur Verwertung von Patenten.

Das IRT will verhindern, dass der Verdächtige jetzt schnell noch Vermögen beiseite schafft. Was aus dem Gefängnis heraus sowieso schwer fallen dürfte. Zu holen dürfte jedenfalls noch einiges sein bei dem Patentanwalt und seiner Firma. Diese soll zuletzt ein Eigenkapital von 80 bis 90 Millionen Euro aufgewiesen haben. Hinzu kommen könnte privates Eigentum des Beschuldigten. Ginge die Sache halbwegs gut aus für das Institut, dann ließe sich der finanzielle Schaden halbwegs oder gar weitgehend in Grenzen halten. Eine andere Frage ist, ob der Ruf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks leidet.

Das IRT wird außer von ARD und ZDF auch vom Deutschlandradio, dem Österreichischen Rundfunk (ORF) und der Schweizer SRG getragen; gebührenfinanzierte Anstalten, die ihrerseits wiederum das Technik-Institut in München bezuschussen. 2015 waren das insgesamt fast 20 Millionen Euro, die vor allem von der ARD kamen. Die eigenen Erträge des IRT beliefen sich auf lediglich fünf Millionen Euro. Es fließt also viel Geld der Beitragszahler in das Institut. Gleichzeitig soll der Beschuldigte bis zu 200 Millionen Euro, die dem IRT zugestanden hätten, abgezweigt haben. Das meiste davon in den vergangenen zehn Jahren. Möglicherweise wäre ein Großteil der Gelder, die ARD und ZDF in das Institut investiert haben, gar nicht nötig gewesen. Sofern es den Anstalten gelungen wäre, Kriminalfälle aufs Fernsehprogramm zu beschränken.

Haben sich ARD und ZDF bei ihrem Technik-Institut genauso tollpatschig angestellt wie die Polizeibeamten Hubert und Staller mit ihren Leichen am Starnberger See im Vorabendprogramm im Ersten? Haben die Kontrollmechanismen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten und ihrem Technik-Institut versagt? Oder ist der nun verdächtige Patentanwalt so gerissen vorgegangen, dass weder das IRT noch seine Träger über Jahre hinweg mitbekommen konnten, dass sie offenbar ausgenommen wurden? Fragen, mit denen sich die Aufsichtsgremien der am Institut beteiligten Rundfunkanstalten nun beschäftigen müssen.

Das IRT wirft dem ehemaligen Beschäftigten und Geschäftspartner vor, mit "hoher krimineller Energie" vorgegangen zu sein, um sich auf Kosten des Instituts zu bereichern. Bis aufgeklärt ist, was an den Vorwürfen dran ist und was nicht, könnte noch viel Zeit vergehen. Solche Fälle sind meist kompliziert. Viel zu kompliziert für einen Fernsehkrimi.

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SZ vom 04.05.2017/doer
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