Süddeutsche Zeitung

Journalismus:Das sind die Podcasts des Monats

Echte Kriminalfälle, Ingenieurträume aus der DDR und die Novemberrevolution: SZ-Redakteure stellen die besten Geschichten vor, die es gerade zu hören gibt.

Podcasts haben einen neuen Boom des Geschichtenhörens ausgelöst - im Fiktionalen wie im Dokumentarischen und bei Ratgebern. Sie befördern neue Formate, etwa Serien, und bringen neue Produzenten hervor. Die SZ stellt von nun an jeden Monat ihre Favoriten vor.

Täter unbekannt

www.ndr.de/täterunbekannt

Wenige Genres funktionieren bei Podcasts so gut wie True Crime, also Geschichten über wahre Verbrechen. Man hat die Zeit, einen Fall aufzurollen, Zeugen und Ermittler zu Wort kommen zu lassen, Cliffhanger einzubauen. Die Serie Täter unbekannt des NDR setzt noch einen drauf, indem sie all das von Folge zu Folge mit ungewissem Ausgang tut.

Anouk Schollähn und Thomas Ziegler rekonstruieren in der zweiten Staffel den bis heute ungeklärten Vermisstenfall der Schülerin Katrin Konert, die am Neujahrstag 2001 an der Bushaltestelle eines Dorfes in Niedersachsen verschwand, und fordert die Hörer auf, sich mit Hinweisen zu melden. Diesen Spuren folgen Schollähn und Ziegler dann gewissermaßen live, sie führen sie unter anderen zu einem mysteriösen Tippgeber, einer Motorradgang und der Freundin eines Mannes, der die 15-Jährige an jenem Tag mit dem Auto nach Hause fahren wollte. Diesem Sog kann man sich schwer entziehen, selbst wenn man einiges über den Fall weiß: Jeder Hinweis könnte schließlich den Durchbruch bringen und das Rätsel vielleicht doch noch lösen.

Verena Mayer

Schmutzige Geschäfte

www.schmutzige-geschaefte.de

Die US-Produktion Serial löste 2014 den Boom der True-Crime-Podcasts aus. Zur Gattung wahrer, dokumentarisch nacherzählter Kriminalgeschichten gehört auch Swindled. Von der Erfolgsserie aus den USA gibt es nun eine deutschsprachige Übersetzung: Schmutzige Geschäfte. Ein anonymer Erzähler, der sich "der besorgte Bürger" nennt, geht in 15 Folgen den größten Wirtschaftskriminalfällen der US-Geschichte auf die Spur. Manche Verbrecher sind unglaublich klug, andere unfassbar plump. Alle treibt die pure Gier nach dem Geld. Dafür prellen sie ihre Heimatgemeinde um 50 Millionen Dollar. Oder lagern in einem Kanalgraben an den Niagara-Fällen Hunderttausende Tonnen Giftmüll und scheren sich einen Dreck um die Gesundheit dort lebender Menschen.

Als Hörer ist man hin- und hergerissen zwischen Ekel und der Faszination des Verbrechens. Gesprochen wird die deutsche, durch Werbung und Zuschüsse von US-Investoren finanzierte Fassung von Thomas Arnold, der im Dortmunder Tatort den Rechtsmediziner Zander spielt.

Jean-Marie Magro

Neuland

www.hoerspielundfeature.de

Unter den Feature-Autoren gibt es wenige Naturwissenschaftler und Ingenieure. Mutmaßlich ist das der Grund, weshalb Technikthemen unterrepräsentiert sind in den großen dokumentarischen Erzählungen des Hörfunks. Selbst der sechsteilige Podcast Neuland von Dörte Fiedler, produziert für den Deutschlandfunk, hat neben der fundierten technischen vor allem eine immense gesellschaftliche und politische Dimension. Genau das jedoch ist seine Stärke: Neuland erzählt vom Versuch, in der DDR ab Mitte der Achtziger einen 1-MB-Speicherchip zu entwickeln.

Aus heutiger Sicht die letzte Anstrengung, um industriell doch nicht abgehängt zu werden vom Westen. Eine spannende Geschichte nicht bloß für Technik-Nerds, sie erzählt viel über die Zeit, über wirtschaftliche und politische Verhältnisse. Hinzu kommt, dass das Projekt in Dresden zum Gegenteil seiner Absicht geführt hat: Proteste gegen ein Werk zur umweltbelastenden Silizium-Aufbereitung wurden 1989 Teil jener Auflehnung gegen das Regime, die schließlich zum Mauerfall geführt hat. Aber auch im Wendesommer ist die Geschichte von Neuland noch nicht zu Ende.

Stefan Fischer

Zeitsprung

www.zeitsprung.fm

An sich passt die Novemberrevolution 1918 schlecht ins Zeitsprung-Konzept. Beleuchten Richard Hemmer und Daniel Meßner doch eher abseitige Episoden der Geschichte. Aber, und darum passt Folge 162 doch wunderbar: Die zwei Historiker blicken aus ungewöhnlichem Winkel auf die Ereignisse, konzentrieren sich auf die uneindeutige Quellenlage über den Abend des 9. November 1918, als Karl Liebknecht und Philipp Scheidemann fast gleichzeitig die Republik ausriefen. War Scheidemanns Rede überhaupt die, die von vielen überliefert ist? Abgewandelt sprach sie der Sozialdemokrat in den Zwanzigern nochmals ein, was Experten eine "selbstverfasste Fälschung" nennen. Solche Details veranschaulichen, wie die Revolution nachträglich zum Mythos gemacht wurde.

Das Prinzip des Podcasts ist: Der eine erzählt dem anderen im Plauderton diese 20- bis 40-minütigen "Geschichten aus der Geschichte". Der andere erwidert bloß "Ach was?!" oder "Das wusste ich nicht". Aufgezogen haben die beiden, die zusammen in Wien studiert haben, den Podcast mit einer neuen Folge pro Woche in Eigenregie, finanziellen Zuschuss erhalten sie durch Spenden. Charmant ist, dass der eine vorab nicht weiß, was ihm der andere erzählen wird.

Carolin Gasteiger

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URL:
www.sz.de/1.4224409
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Quelle:
SZ vom 24.11.2018/khil
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