Best of "TV total":Stefan Raab wird dem Fernsehen weit mehr fehlen als andersherum

Bundesvision Song Contest 2015

Wenn etwas nicht funktioniert, zieht Raab weiter und probiert fröhlich etwas anderes. Mal sehen, was als nächstes kommt.

(Foto: David Hecker/Getty Images)

Selbst sein Abschied ist noch innovativ.

Von Cornelius Pollmer

Einmal angenommen, Stefan Raab führe nach dem Ende seiner Fernsehkarriere in den Urlaub, einmal angenommen, er führe weit weg, und einmal angenommen, er säße dann abends am Lagerfeuer mit einem Fremden zusammen, dann könnte ihn der Fremde fragen: Und, was hast du bislang so gemacht, in deinem Leben? Raab dürfte wahrheitsgemäß antworten: "Ich habe am Anfang meiner Karriere Leuten mit einem Schaumstoffhammer auf den Kopf gehauen, gegen Ende aber die deutsche Bundeskanzlerin bei einem Fernsehduell interviewt. Ich habe in der Zwischenzeit mit Will Smith zur Ukulele gesungen und Kylie Minogue ein bisschen Kölsch beigebracht ("Du bist en lecker Mädsche"). Ach, und weil du gerade so komisch auf meine Nase guckst - die wurde erst von so einem Musikproduzenten aus Frankfurt gebrochen, später dann von einer Box-Weltmeisterin. Das Steißbein habe ich mir auch mal zertrümmert, das war bei einem Sprung aus 17 Metern Höhe, also lange bevor Lena und ich den Eurovision Song Contest gewonnen haben."

Würde der Fremde dann seine Ärmel krempeln, um dem Prahl-Hans-Dampf neben sich mal wieder die Nase zu richten, müsste man dazwischen gehen und Raab für seine Bescheidenheit loben. Er hatte schließlich gar nicht erwähnt, dass sein Wettlauf gegen Claudia Pechstein dereinst 32 Prozent Marktanteil bei den jungen Zuschauern erreichte, dass seine Format-Ideen von China bis Kroatien im Grunde überallhin verkauft worden sind, und dass das TV Total Turmspringen bei einer Umfrage unter Athleten einmal zur drittbesten Sportsendung im deutschen Fernsehen gewählt worden ist - hinter der Sportschau und dem Aktuellen Sportstudio.

Raab war ein kompletter Entertainer.

Er werde seine "Fernsehschuhe an den Nagel hängen", sagte Raab bei der Ankündigung seines Endes. Am kommenden Mittwoch wird er Ausgabe Nummer 2243 von TV Total moderieren, am Samstag danach das letzte Mal Schlag den Raab ; an diesem Freitag schon läuft Das Beste aus TV Total. Dass seine TV-Karriere mit Schlag den Raab endet, passt insofern ganz gut, als es genau dieses Format war, in dem sich stets gut beobachten ließ, was den Moderator und Musiker Stefan Raab grundsätzlich auszeichnet.

Wenn er gewann, dann gewann er nicht, weil seine Stärken zahlreicher oder ausgeprägter gewesen wären als die seiner Gegner. Er gewann, weil er in weniger Disziplinen Schwächen aufwies. Raab war ein kompletter Entertainer. Das lässt sich mit einem kursorischen Blick auf 22 Jahre Fernsehleben mit ihm nur andeuten. Hilfreicher wäre es, würde demnächst ein RWV eingerichtet, ein Raab-Werke-Verzeichnis, vom Raabigramm für Dieter Bohlen über das Geburtstagslied "Hier kommt die Maus" bis zum Eisfußball-Pokal.

Als Harald Schmidt und Thomas Gottschalk ihre Bühnen verließen, waren die Fehlstellen präzise zu benennen. Mit Schmidt schwand der Bildungsadel, mit Gottschalk die Onkelhaftigkeit. Bei Stefan Raab ist das etwas komplizierter. Klar sagen lässt sich zumindest, was er dem deutschen Unterhaltungsfernsehen geschenkt hat: erstens Formate, deren Innovationskraft sich nicht darauf beschränkte, die Rückseiten der Moderationskarten mal in einer anderen Farbe zu drucken. Zweitens Musik, die das irre Auf-Eins-und-Drei-Diktum der öffentlich-rechtlichen Anstalten entlarvte. Drittens den seltenen und manchmal anstrengenden Ehrgeiz, möglichst viel möglichst gut zu machen.

Er könnte auch einen Frozen-Yogurt-Laden in Sülz eröffnen

Raabs Ansatz war eine Art altruistischer Egoismus. Er machte Dinge, auf die er Lust hatte, und er verdiente sich das Glück, dass es vielen eine Freude wurde, ihm dabei zuzusehen. Raab erreichte dabei nie die Sympathiewerte von Günther Jauch, nie das Warme-Stube-Gefühl von Gottschalk und nie den Meta-Zauber von Schmidt. Nur ein Beispiel: Als das Skispringen für eine Weile den Durchschnitt interessierte, stieg Raab auf eine Kinderschanze und stürzte sich ungelenk herunter - Harald Schmidt baute sich eine Schanze ins Studio und ließ einen Eimer Mayonnaise gegen zwei Kakteen darauf antreten.

Aber wenn etwas nicht funktionierte, dann zog Raab eben weiter und probierte fröhlich etwas anderes. Er war ein ausdauernder Sponti in der strukturkonservativen Welt des Fernsehens.

Es besteht Anlass zu der Vermutung, dass Raab dem Fernsehen weit mehr fehlen wird als andersherum. Das Fernsehen weiß das vielleicht noch nicht, weil es sich in seiner Stubenfliegenhaftigkeit verstärkt an die Spätphase Raabs erinnert, in der er vor allem TV Total in fast schon konzeptioneller Lustlosigkeit wegmoderierte, mit schlechten Stand-Ups und egalen Gesprächen mit oft egalen Gästen.

Es gibt viele Varianten, was nun aus Raab werden könnte. Klar ist: Seine Sozialprognose ist günstig

Es ist leicht, zu sagen, die politische Talkshow Absolute Mehrheit sei ein oberflächlicher Schmarrn gewesen - richtig ist, dass Raab es als einer der wenigen vermochte, mehr junge Zuschauer für Politik zu gewinnen. Und richtig war auch sein feiner Konter, dass tatsächlich eine Folge von Plasberg mal unter dem Motto lief "Wissen wo der Hammer hängt: Was treibt die Deutschen in den Baumarkt?" Es ist leicht, zu sagen, Raab hätte nach dem ESC-Erfolg Diktator gespielt, um den Heim-Grand-Prix zu seinem zu machen. Aber wie war das gerade noch mal, mit Xavier Naidoo? Es ist zudem leicht, zu sagen, Raab hätte irgendwann begonnen, sich auf seinen guten Ideen auszuruhen und sie lustvoll totzusenden. Seltsam nur, dass derlei Kritik oft von jenen kam, die nicht mal über eine einzige Idee verfügten, auf der sie sich überhaupt hätten ausruhen können.

Innovationskraft beweist Stefan Raab letztlich nun auch mit seinem Abgang. Bei den Größeren des Fernsehens hatten sich bislang zwei Formen des Abschieds als gebräuchlich etabliert. Es gab welche, die suchten noch dann nach offenen Mikros, als der Fährmann schon drei Mal an der Tür geklopft hatte. Und es gab welche, die wählten die Howard-Carpendale-Taktik: Für immer tschüss sagen, einmal durch die Drehtür, und dann mit großem Hallo zurück auf die Bühne. Hello again, da bin ich wieder!

Was wird mit Raab? Im Grunde gibt es keine Überlegung, die einem wirklich abwegig schiene. Raab könnte irgendwann einmal Cheftrainer beim 1. FC Köln werden, er könnte eine Mondmission planen oder einen Frozen-Yogurt-Laden in Sülz eröffnen. Ihm ist - verrückter Gedanke - sogar zuzutrauen, dass er im Stillen zufrieden seiner Wege geht und niemand so recht davon Notiz nimmt. Sollte das der Plan sein, dann lässt sich bei über die Entlassung von Stefan Raab aus dem Fernsehgeschäft etwas sagen, das für das Nachleben der wenigsten Entertainer gilt: Seine Sozialprognose ist günstig.

Das Beste aus TV Total, Pro Sieben, 20.15 Uhr.

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