Süddeutsche Zeitung

Besondere Nachrichten:Römerspiele

Bei Radio Bremen Zwei gibt es nun wieder "Nuntii Latini". Überhaupt ist das Lateinische für eine "tote Sprache" in den Medien bemerkenswert lebendig.

Von Hermann Unterstöger

Vor einem Jahr kam Radio Bremen Zwei mit der Meldung "Radio Cicero funkt nicht mehr" heraus. Das klang nach ganz schwerem Misslingen, wie es sich beispielsweise im Universum zu ereignen pflegt: "Raumschiff Iron Sun antwortet nicht mehr." So tragisch war es aber nicht. Das Ende von Cicero wurde "in eigener Sache" ausgestrahlt, und zwar zweisprachig. Zur deutschen Meldung gesellte sich die lateinische, deren Schlagzeile so lautete: "Nostra res agitur: Nuntiorum Radiophoniae Ciceronianae finis." Mitgeteilt wurde, dass die allmonatlichen lateinischen Nachrichten, die Nuntii Latini, eingestellt würden, eine Sendung, an der man viel Freude gehabt habe, auch wenn manche Nuss zu knacken gewesen sei, "licet certe fuerint difficultates superandae".

Nun funken die Lateiner wieder, einmal im Monat und unter ihrem bürgerlichen Namen Radio Bremen Zwei (Radio Cicero war ein Spitz- und Ehrenname, aber insofern einer von Gewicht, als er von der FAZ verliehen worden war). Die erste Staffel der frischen lateinischen Nachrichten war Ende November zu hören und zu lesen (und ist in der ARD-Audiothek noch abrufbar). In der Spitzenmeldung wurde berichtet, dass die französische Staatssekretärin Marlène Schiappa plane, Eltern den Klaps auf den Po ihrer Kinder zu verbieten - ein lobenswerter Vorsatz, dessen lateinische Version zudem davon in Kenntnis setzt, dass der Po mit nates zu übersetzen ist, also dem Plural von natis, die Hinterbacke.

Die Begeisterung fürs Latein kann man pathetisch erklären. Oder mit "Urmel aus dem Eis"

Ach, die Hinterbacken: Wie vielen Schülern wurde geraten, sich beim Erwerb des Lateinischen auf diese zu setzen, statt auf Eingebungen von höherer Stelle zu hoffen, und wie viele haben bereits da eine tiefe Abneigung gefasst, die ihr Verhältnis zur Sprache der Römer auf lange Sicht bestimmte! Derlei legt sich im Lauf des Lebens, und je dünner die Klassentreffen werden, desto einiger sind sich die Überlebenden darin, dass sie, sieht man's von reifer Warte, mit Latein - und Griechisch sowieso - nicht das schlechteste Los gezogen hatten.

Karsten Binder, der Programmchef von Bremen Zwei, ist kein Lateiner von Rang, aber zu großer Begeisterung fähig, wenn er zu den Nuntii Latini Grundsätzliches zu sagen hat. Um diese Begeisterung klug aufzubauen, beginnt er beim Ende der alten Nuntii vor einem Jahr. Das war keine Entscheidung des Senders, sondern eine der Übersetzer, die sich aus diversen Gründen, vornehmlich Alters halber, zurückziehen wollten. "Es waren wir selbst", sagt Binder, "die am traurigsten waren." Es gab ein weithin hallendes Echo der Enttäuschung, doch noch größer ist nach Binders Gefühl jetzt das Echo der Freude. Der Freude worüber? Auf diese Frage hin greift Binder tief in die Harfe: Die Zustimmung aus der Hörerschaft gelte vordergründig einem witzigen und skurrilen Konzept. Hintergründig aber sei sie getragen von dem Wissen, dass Latein zur Grundierung unserer Kultur gehöre, zu deren DNA gewissermaßen.

Für eine "tote Sprache" ist das Lateinische bemerkenswert lebendig. Natürlich reicht es nicht zur Weltsprache, aber in der Nische, worin es sich eingenistet hat, blüht sein Weizen. Hier drei Beispiele. Karl Mays "Winnetou 3" liegt als "Vinnetu (Tomus Tertius)" vor; Old Shatterhand hört darin auf den lateinisch-griechischen Namen Vetus Catabolochir. In "Max et Moritz" wird das Verspaar "Wie zum Beispiel hier von diesen, / welche Max und Moritz hießen" metrisch sauber so wiedergegeben: "Ut de his, qui hic monstrantur, / Max et Moritz nominantur." Und was nun gar "Harry Potter" angeht, so führt er als "Harrius Potter" ein ausgebreitetes lateinisches Leben.

In der Presse hat es das Lateinische hin und wieder schwer, weil bei vielen Journalisten die Sprachkenntnis mit der Begeisterung nicht Schritt hält. Dem Hang, mit lateinischen Brocken zu glänzen, tut dies keinen Abbruch, weswegen man oft Zitate vorfindet, bei denen man sich denkt: Mit Englisch, Freundchen, hättest du dir das nicht erlauben können. Das Gegenstück zu diesen Dilettanten war Josef Eberle, der die Stuttgarter Zeitung als "Iosephus Apellus" mit lateinischen Gedichten zu schmücken pflegte. Für ihn war das kein Jux, sondern Teil eines Bekenntnisses: Latinitas sei die knappste Formel für Gesittung.

Ganz so weit greift Imke Tschöpe nicht aus. Sie gibt Latein, Griechisch und Spanisch am Alten Gymnasium Bremen und gehört dem Team an, das für Radio Bremen aus deutschen Nachrichten lateinische Nuntii macht. Ihre Sache sind, jedenfalls gesprächsweise, nicht die westlichen Werte, sondern der Alltag des Übersetzens in eine Sprache, die für heutige Gegenstände keine Wörter hat, weswegen eben zu prüfen sei, ob "App" mit "apparatus digitalis" hinreichend benannt ist. Auf die Frage, warum sie sich für Latein als Studienfach entschieden hat, antwortet sie so, wie frühere Pauker das nie und nimmer getan hätten: Sie habe sich an dem polyglotten Professor Habakuk Tibatong aus dem Kinderbuch "Urmel aus dem Eis" orientiert.

Sehr bekannt für ihre lateinischen News sind die Finnen, dagegen schwächelt sogar Radio Vatikan

Der Kreis der Sender, die mit Latein aufwarten, ist klein. Bekannter als alle anderen ist Yle, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Finnlands, die seit 1989 lateinische News bringt, kürzlich etwa die Meldung, dass Annegret Kramp-Karrenbauer neue CDU-Vorsitzende wurde: "Nova praeses factionis CDU electa." Bei Radio Vatikan, möchte man meinen, brummt es nur so von lateinischen Verlautbarungen, doch wer auf der Homepage von vaticannews.va das Sendeschema einer Woche durchforstet, findet nur den "Angelus", den allerdings Tag für Tag. Anders der Erfurter Sender FREI, der Mittwoch für Mittwoch mit einer lateinischen Viertelstunde, den "Erfordia Latina", zur Stelle ist. Die Sendung ist so erfreulich wie nützlich, wie man unlängst lernen konnte, als Erasmus von Rotterdams "Soldatenbeichte", die "Confessio Militis", durchgenommen wurde. Ihnen hat sich nun wieder Radio Bremen Zwei zugesellt. Zum Ende des Jahres wird es den lateinischen Rückblick auf den Dezember geben, wegen der Feiertage ins neue Jahr hineingeschoben: vom 2. auf den 3. Januar um 0 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2018
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