Berliner Zeitung:Nummer eins tritt ab

Uwe Vorkötter war sechs Jahre lang wichtigster Journalist der Kölner Verlagsgruppe M. DuMont Schauberg. Nun gibt der 58-jährige Chefredakteur der "Berliner Zeitung" und der "Frankfurter Rundschau" aber alle redaktionellen Führungspositionen auf. Brigitte Fehrle wird ihn in Berlin ersetzen. Offiziell wird das Ganze als einvernehmlicher Wechsel dargestellt. Doch möglicherweise steckt hinter Vorkötters Abgang in Wahrheit das Ende eines alten Vertrauensverhältnisses.

Marc Felix Serrao

Am 24. November 2011 erschien im Magazin der Frankfurter Rundschau ein großes Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden des Springer-Verlags Mathias Döpfner ("Mein Leben ist voller Widersprüche").

Berliner Zeitung: Von jetzt an allein in der Chefetage: Brigitte Fehrle.

Von jetzt an allein in der Chefetage: Brigitte Fehrle.

(Foto: Berliner Zeitung)

Darin ging es um das große Ganze. Popmusik, Israel, die alten 68er, Günter Grass, Krieg und Frieden. Eine charmante Plauderei, in der Döpfner sich genau so wild gab, wie es für den Chef eines solchen Verlags gerade noch erlaubt ist: "Der Gipfel meiner Drogenexzesse beschränkte sich auf das Passivrauchen bei Konzerten, wenn der ganze Saal von Marihuana-Schwaden durchzogen war."

Der Mann, der mit dem mächtigen Springer-Boss sprach, war auch nicht irgendwer. Uwe Vorkötter, Chefredakteur der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau und Erster Journalist des Regionalzeitungsriesen M.DuMont Schauberg. Also bis heute.

Denn Vorkötter gibt seine derzeitigen Funktionen bei der Kölner Verlagsgruppe ab. Am Freitag bestätigte das Unternehmen, dass seine bisherige Co-Chefredakteurin Brigitte Fehrle, 57, die zum Verlag gehörende Berliner Zeitung von 1. Juli an alleine führen wird. Der 58-jährige Vorkötter, der mit Fehrle und Rouven Schellenberger, 40, auch das seit zwei Jahren eng an die Hauptstadtzeitung angedockte Schwesterblatt Frankfurter Rundschau (FR) führte, gibt alle redaktionellen Führungspositionen auf und wird "Berater" des Vorstands. De facto ist er entmachtet.

Die bisherige Co-Chefredakteurin Brigitte Fehrle, 57, gilt als leise, aber durchsetzungsstarke Journalistin. Wer künftig in Frankfurt den Hut aufhaben soll, ist dem Vernehmen nach noch offen.

Erboster Verleger

Rouven Schellenberger, bisher mit Vorkötter und Fehrle der dritte Kopf der beiden aneinandergekoppelten Chefredaktionen, soll sich künftig ums Digitale kümmern. Wie es heißt, hat die Personalrochade mehrere Gründe. Einer davon soll das Interview mit Döpfner gewesen sein.

Uwe Vorkötter

Uwe Vorkötter im Jahr 2007 mit einer Testausgabe der FR im Tabloid-Format.

(Foto: dpa)

Alfred Neven DuMont, der 85-jährige Verleger und patriarchalische Kopf der DuMont-Gruppe, soll über das Gespräch mit dem Springer-Chef im eigenen Blatt furchtbar erbost gewesen sein, heißt es aus seinem Umfeld. Wie man hört, soll der Verleger seit der kritischen Berichterstattung des Springer-Blattes Bild über seinen ausgesprochen eigenwilligen Sohn und früheren Kronprinzen Konstantin Neven DuMont eine ausgeprägte Springer-Abneigung pflegen.

Dass sein Erster Journalist ausgerechnet den Springer-Boss nur ein Jahr nach den Vorfällen zum großen Interview lädt, soll DuMont-Senior persönlich genommen haben, sagt jemand, der ihn lange kennt.

Kann es sein, dass ein einzelnes - handwerklich tadelloses - Interview eine solche Karriere beendet? Wer sich bei DuMont umhört, erhält als Antwort auf diese Frage zumindest kein eindeutiges Nein. Alfred Neven DuMont sei nun mal "ganz alte Schule", heißt es. Ein Patriarch. Einer, der professionelle Entscheidungen auch nach sehr persönlichen Gemütslagen fälle. Ein DuMont-Sprecher sagte auf Anfrage: "Hintergründe von Personalentscheidungen werden von uns grundsätzlich weder kommuniziert noch kommentiert."

Aus dem Verlag hört man aber auch, dass andere Dinge durchaus eine Rolle gespielt hätten. Die von Vorkötter erfundene und seit 2010 durchgesetzte enge Kooperation zwischen FR und Berliner Zeitung laufe deutlich holpriger als erwartet, heißt es. Nicht wegen der Qualität der Berichterstattung aus den fusionierten Ressorts, auch nicht wegen mangelnder Kostenersparnis. Das Problem sei die FR - der es trotz der engen Anbindung an die Berliner Zeitung schlechter geht als gehofft.

Das seit Jahren hochdefizitäre Blatt soll 2011 schon wieder rund 20 Millionen Euro Minus gemacht haben. In der Kölner Zentrale wachse deshalb die Nervosität, heißt es. Was, wenn die FR trotz aller Mühen und Sparrunden nicht zu retten ist? Die Zahl derer, die im Verlag fürchten, dass das einstmals wichtigste linke Blatt des Landes die finanziell solide Schwesterzeitung in der Hauptstadt mit in den Abgrund zieht, wachse stetig.

Als Scheidungsanwalt der falsche Mann

Alfred Neven DuMont

Der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont im Jahr 2007 in seinem Büro in Köln.

(Foto: dpa)

Wenn die Chefredaktionen der beiden Titel nun wieder getrennt würden und sich Berlin wieder vorrangig um Berlin und Frankfurt um Frankfurt kümmere, dann sei Vorkötter der falsche Mann, um das durchzusetzen. Der Erfinder der Blatt-Ehe als Scheidungsanwalt, das gehe nicht, hört man.

In der Berliner Redaktion wird Vorkötters Weggang wohl sanft verlaufen. Brigitte Fehrle, die neue Chefin, ist eine langjährige Vertraute. In puncto Blattmachen gelten die beiden als eingeschworenes Team.

Dabei soll es ein paar Wochen lang gar nicht so klar gewesen sein, ob Fehrle die bislang sehr überschaubare Zahl weiblicher Chefredakteure in Deutschland erhöhen darf. Als Kandidat von außen soll auch Alexander Osang im Gespräch gewesen sein. Der 50-jährige Spiegel-Mann, einer der angesehensten Reporter des Landes, hatte zu DDR-Zeiten bei der Berliner Zeitung volontiert und dort bis 1999 in verschiedenen Positionen gewirkt.

Ende 2011 hatte er einen sehr langen, sehr liebevollen Text über Alfred Neven DuMont im Spiegel veröffentlicht ("Der letzte Zar"). Der Text, hört man aus dem DuMont-Verlag, soll "dem Alten" sehr gefallen haben. Aber wie gesagt: Jetzt wird es Fehrle.

Die künftige Chefredakteurin war am Freitag wie schon am Vortag nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Ihr angeblich unterlegener Konkurrent ebenfalls nicht. Eine Mitarbeiterin des Berliner Spiegel-Büros richtete am Vormittag aus, der Reporter sei in Rom am Flughafen, die Maschine fliege gleich los, und er könne jetzt nicht ans Handy gehen.

Bleibt Vorkötter. Offiziell wird er nun "Berater des Vorstands" mit Sitz in Berlin. Wie man das in der Branche so nennt, wenn einer entmachtet wird, man ihn aber nicht auch noch öffentlich desavouieren will. Es ist eher zweifelhaft, dass ein angesehener Chefredakteur wie er bis zur Pensionierung auf einem solchen Abstellgleis sitzen bleibt.

DuMont-Pressemitteilung im Wortlaut

Nach Erscheinen dieses Artikels bestätigte die Mediengruppe M. DuMont Schauberg in einer Pressemitteilung Vorkötters Weggang. Hier die Stellungnahme im Wortlaut:

Wechsel bei Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau

Dr. Uwe Vorkötter, Chefredakteur der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau, gibt zum 1. Juli 2012 seine redaktionellen Führungspositionen auf und wird künftig dem Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg als Berater zur Verfügung stehen.

Prof. Alfred Neven DuMont, Aufsichtsratsvorsitzender und Verleger sagte: "Ich danke Uwe Vorkötter für seine kreative und engagierte Arbeit in den vergangenen sechs Jahren und freue mich, dass wir auch künftig auf seine Erfahrung und seine Kompetenz bauen können." In seiner neuen Rolle soll Vorkötter insbesondere an der strategischen Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für digitale Produkte mitwirken.

Der Publizistische Beirat der Berliner Zeitung erklärte, Uwe Vorkötter habe als Chefredakteur die publizistische Qualität deutlich verbessert. Zugleich habe er umfassende Restrukturierungen konzipiert und umgesetzt, die zu nachhaltigen Effizienzsteigerungen geführt hätten.

Vorkötter dankte den Gesellschaftern der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau, namentlich dem Aufsichtsratsvorsitzenden Prof. Alfred Neven DuMont, für das ihm entgegen gebrachte Vertrauen und die Bereitschaft, auch weitreichende Veränderungen zu unterstützen - etwa die Umstellung der FR ins handliche Tabloid-Format oder die Gründung der DuMont Redaktionsgemeinschaft in Berlin, die erfolgreich für alle Abo-Titel der Mediengruppe arbeitet.

Die Gesellschafter der Berliner Zeitung berufen als Nachfolgerin Brigitte Fehrle zur alleinigen Chefredakteurin der Berliner Zeitung. Dazu erklärt der publizistische Beirat: "Mit Frau Fehrle gewinnen wir eine außergewöhnlich erfahrene und kompetente Journalistin für die Spitzenposition unserer Hauptstadt-Zeitung." Frau Fehrle dankte für das Vertrauen und sagte: "Die Berliner Zeitung muss täglich den Anspruch haben, die Zeitung zu sein, die die Stadt am besten versteht. Sie muss ihre Leser schnell und zuverlässig informieren, gut unterhalten und ihnen immer das Gefühl geben, an ihrer Seite zu sein."

Brigitte Fehrle trat nach dem Studienabschluss als Diplom-Politologin an der FU Berlin in die taz ein. Im Jahre 1990 wurde sie verantwortliche Redakteurin für Berliner Landespolitik bei der Berliner Zeitung und schließlich stellvertretende Chefredakteurin. In gleicher Funktion arbeitete sie bei der Frankfurter Rundschau und wurde Leiterin des Berliner Büros der "Zeit". Im März 2009 kehrte sie als stellvertretende Chefredakteurin zurück zur Berliner Zeitung. Seit 2010 leitet sie im dreiköpfigen Team der Chefredaktion gemeinsam mit Uwe Vorkötter und Rouven Schellenberger die Berliner Zeitung, die DuMont-Redaktionsgemeinschaft und die Frankfurter Rundschau.

Ein Jahr nach der Aufnahme der gemeinsamen Mantelproduktion, die den Zeitungen eine deutliche wirtschaftliche und qualitative Verbesserung gebracht hat, wird der Wechsel genutzt, um nun Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau stärker auf ihre jeweiligen Märkte zu focussieren. Daher werden die Gesellschafter der Frankfurter Rundschau in Kürze einen eigenen Chefredakteur für die FR benennen. Rouven Schellenberger wird wie bisher als Chefredakteur die digitalen Projekte der beiden Zeitungen verantworten.

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