Süddeutsche Zeitung

"Berliner Zeitung" und "Zeit":Oder es knallt

Holtzbrinck und Berliner Verlag liefern sich gerade einen großen Streit, ausgetragen vor Gericht und in den eigenen Zeitungen.

Von Anna Ernst und Verena Mayer

Nirgends in Deutschland ballen sich so viele Medienunternehmen wie in Berlin, nirgends ist es für Zeitungen härter, Aufmerksamkeit und Abonnenten zu bekommen. Ein Überlebenskampf, in dem Verlage gekauft und wieder verkauft werden, ein Kampf darum, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. In einem neuen Fall führt ein Streit inzwischen so weit, dass er vor Gericht ausgefochten wird. Es geht um Geschäftszahlen, Unternehmensbeteiligungen und um das höchste Gut einer Zeitung, um journalistische Glaubwürdigkeit.

Auf der einen Seite steht Holger Friedrich. Der ostdeutsche Unternehmer hat 2019 die nach mehreren Besitzerwechseln herunterwirtschaftete Berliner Zeitung gekauft und neu aufgestellt. Wie erfolgreich er damit ist - darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Friedrich selbst sagte in einem SZ-Interview, dass die Zeitung wirtschaftlich sei, und er nicht zuletzt durch neue Geschäftsmodelle Kunden erschließe. Klar aber ist, dass der Platzhirsch auf dem Berliner Regionalzeitungsmarkt der Tagesspiegel ist, dessen Leserstamm traditionell im Westen der Hauptstadt verortet wird. Die Zeitung gehört zur großen Verlagsgruppe von Dieter von Holtzbrinck - in der unter anderem auch die Wochenzeitung Die Zeit und das Handelsblatt erscheinen. Sie steht bei diesem Streit auf der anderen Seite.

Am vergangenen Wochenende veröffentlichte Friedrichs Berliner Zeitung eine bemerkenswerte Recherche: Auf mehreren Seiten ihrer Wochenendausgabe widmete sie sich prominent dem "House of Holtzbrinck". Es ist ein Artikel über Firmenbeteiligungen des Konkurrenzverlags. Normalerweise gehört dieses Thema eher nicht zu den Stoffen, mit denen Lokalmedien ihre Leserschaft hinterm Ofen hervorlocken wollen. Und doch hat sich ein Reporterteam tief in die Geschäftsmodelle der Stuttgarter Verlagsgruppe eingearbeitet. Eines dieser Geschäftsmodelle ist eine Firma namens DvH Ventures, über die Verleger Dieter von Holtzbrinck etwa in Start-ups investiert.

In einer Zeit, in der der Markt für klassische Medien immer schwieriger wird, ist es nicht unüblich für Verlage, auch in andere Geschäftsmodelle zu investieren. Doch den Autoren der Recherche zufolge erschienen über manche Start-ups auch freundliche Berichte in Holtzbrinck-Medien - ein Interessenkonflikt, auf den die Lesenden in den erschienenen Texten hätten aufmerksam gemacht werden müssen. Denn es ist eine Säule unabhängiger Publizistik, dass journalistische und wirtschaftliche Interessen eines Verlages getrennt werden. Dies ist der Recherche zufolge aber in mehreren Fällen nicht passiert.

Detailreich werden in dem Artikel die komplexen Verlagsstrukturen aufgerollt, was eher eine schmale Zielgruppe interessieren dürfte. Doch darum geht es den Autoren nach eigenen Angaben auch nicht. Ziel der Recherche sei es, schreibt Tomasz Kurianowicz, Chefredakteur der Berliner Zeitung am Wochenende, eine Debatte über Glaubwürdigkeit im Journalismus anzustoßen.

In der Branche vermutet man allerdings noch andere Gründe, warum sich die Berliner Zeitung bei diesem Versuch eines breiten Debattenanstoßes bislang nur jenem Medienhaus so intensiv gewidmet hat, in dem Tagesspiegel und Zeit erscheinen. Denn seit einem Artikel, der im November in der Zeit veröffentlicht wurde, gibt es Auseinandersetzungen vor Gericht. Die Zeit will damals erfahren haben, dass Friedrichs Berliner Zeitung ziemlich schlecht dastehe und im Haus nach vielen Umstrukturierungen "ein Klima der Angst" herrsche. Diese und andere Informationen aus dem Inneren der Redaktion bereitete sie unter dem Titel "Berliner Zeitung: Ihr Erlöser. Oder ihr Untergang" auf.

Friedrich ging juristisch gegen mehrere Behauptungen im Artikel vor, den er im SZ-Gespräch "publizistischen Vandalismus" nannte. Vor dem Landgericht Hamburg erreichte er, dass die Zeit eine Gegendarstellung drucken muss - unter anderem über das Budget für die Wochenendausgabe, das anders als berichtet, nicht gekürzt worden sei. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da die Zeit ihrerseits dagegen vorgeht. Erst im März erwarte man eine endgültige Entscheidung, heißt es seitens der Hamburger Wochenzeitung.

Die "Zeit" soll eine Gegendarstellung drucken, wehrt sich aber

Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Stephan Weichert forscht seit Langem über Veränderungen im Journalismus und hat sich dabei auch mit der Berliner Zeitungslandschaft beschäftigt. Er beschreibt einen durch historische Verwerfungen zersplitterten Markt, in dem "Kämpfe um Kenntlichkeit" ausgetragen und auch mal "scharfe Geschütze" gegen die Konkurrenz aufgefahren würden, sagt er. Auch im Rechtsstreit Friedrich gegen die Zeit spielten die Berliner Konkurrenzverhältnisse eine Rolle: Friedrichs juristischer Beistand, der Medienanwalt Christian Schertz, erklärte nach seinem Etappensieg vor Gericht, dass man Die Zeit bereits im Vorfeld der Berichterstattung auf die bestehende Konkurrenzsituation zum Tagesspiegel hingewiesen habe, der auch zur Holtzbrinck-Gruppe gehöre. Wohl auch deshalb hat sich sein Mandant über den Bericht geärgert, der auch falsche Wirtschaftszahlen enthalten habe.

War die große Holtzbrinck-Recherche nun eine Art Retourkutsche? Holger Friedrich verwehrt sich auf SZ-Anfrage dagegen. "Was mir wichtig ist zu sagen, weil das natürlich sofort unterstellt wurde: Der Bericht der Kollegen hat nichts mit dem Zeit-Artikel aus dem November zu tun. Auch wenn der Gedanke naheliegend ist." Wie auch immer: Die Recherche hat inzwischen Kreise gezogen.

Der "Tagesspiegel" will seine Richtlinien zur Transparenz prüfen

Verschiedene Holtzbrinck-Medien erklären, dass sie sich mit der Kritik auseinandergesetzt haben. Vom Tagesspiegel etwa heißt es, dass die Chefredaktion den Bericht zum Anlass genommen habe, "die internen Abläufe und Transparenzrichtlinien zu überprüfen". Allerdings erklärt die Regionalzeitung auch: "Es ist uns kein Fall bekannt, in dem es einen mittelbaren oder unmittelbaren Einfluss der Gesellschafter, des Verlages oder der Geschäftsführung auf die Berichterstattung im Tagesspiegel gab." Das betreffe sowohl die Art und den Tenor der Berichte als auch die Themenauswahl. Wo Transparenzhinweise fehlten, wolle man "sie selbstverständlich ergänzen und zukünftig noch intensiver recherchieren und kenntlich machen".

Medienexperte Weichert findet es gut, dass das Thema eine größere Aufmerksamkeit erhält. Wenn über Geschäftsmodelle, an denen ein Verlag beteiligt sei, positiv berichtet werde, ohne dass der Hintergrund offengelegt werde, sei dies "ehrenrührig". Er findet Fragen von Transparenz im Journalismus dann auch eine "wichtige Debatte", die man ausführlicher führen sollte.

Bei der Berliner Zeitung, die jetzt mahnend den Finger in Richtung Holtzbrinck erhebt, hat man indes auch eigene Erfahrungen. 2019 hatte Holger Friedrichs Blatt über den Börsengang eines Unternehmens berichtet, an dem der Verleger selbst beteiligt war - ohne dies kenntlich zu machen. Das sei auch einer der Gründe, warum man sich dem Thema gewidmet habe, sagt Chefredakteur Kurianowicz. Man sei sensibilisiert und versuche, "aus Fehlern zu lernen".

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