Grüne Filmproduktion:Filmemachen ist ein dreckiges Geschäft

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Vorreiter: Tatort-Kommissar Thiel (Axel Prahl, rechts, mit Jan Josef Liefers) fuhr schon Fahrrad, als Klimarettung noch kein großes Thema war. (Foto: imago)
  • Der ökologische Fußabdruck eines Fernsehfilms kann schon mal mehrere Hundert Tonnen CO₂ betragen.
  • Am Mittwoch unterzeichneten Vertreter der Film- und Fernsehwirtschaft nun ein Papier, mit dem sie sich zu mehr Umweltschutz verpflichten.
  • Doch dieses Papier ist bisher allerdings bloß eine allgemein gehaltene Absichtserklärung.

Von Vivien Timmler

Kriminalhauptkommissar Thiel ist ein Exot. Die Hauptfigur des Münsteraner Tatorts fährt weder im SUV herum wie der Hamburger Ermittler Nick Tschiller, noch in einen alten Saab wie der Dortmunder Kommissar Faber, und er hat auch keine Vorliebe für sportliche Luxuskarossen wie sein Kollege aus der Rechtsmedizin Professor Boerne. Nein, Thiel fährt Fahrrad. Und ist damit deutlich nachhaltiger unterwegs als die Branche, die ihn erschaffen hat.

Filmemachen ist ein dreckiges Geschäft. In diesem Punkt sind sich Produzenten, Regisseure und Filmförderungen einig. Noch immer jetten viele Crews von Drehort zu Drehort, der Strom vor Ort kommt vom Dieselgenerator und viele Styroporkulissen landen nach dem letzten Drehtag auf dem Sperrmüll. Insgesamt kann der ökologische Fußabdruck eines Fernsehfilms schon mal mehrere Hundert Tonnen CO₂ betragen - bei US-Blockbustern sogar mehrere Tausend.

Viele Akteure der Branche in Deutschland sagen mittlerweile: Das muss sich ändern. Vor drei Jahren haben sich Produktionsunternehmen, Fernsehsender und Filmförderungen zum "Arbeitskreis Green Shooting" zusammengetan, um gemeinsam Strategien gegen die Umweltbelastung durch Filme zu entwickeln. So richtig Gehör finden sie in der Branche jedoch erst, seit im ganzen Land Menschen für das Klima auf die Straße gehen. "Da ist seit dem Sommer eine ganz neue Dynamik drin, bei der sicher auch Fridays for Future eine große Rolle spielt", sagt Philip Gassmann. Der Regisseur, Produzent und Autor gilt hierzulande als Pionier des umweltfreundlichen Drehs und schult europaweit Filmschaffende darin, wie sie nachhaltiger produzieren können. Gassmann sagt: "2019 sind endlich auch die großen Player der Branche aufgewacht - und plötzlich motiviert, etwas zu verändern."

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Das gilt auch für den Berliner Politikbetrieb. Am Mittwoch lud Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) die Großen der Branche ins Bundeskanzleramt - und es ist kein Zufall, dass der Termin just auf den Tag vor der Eröffnung der diesjährigen Berlinale fällt, mit der stets ein großer Medienrummel einhergeht. Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow kam vorbei, ZDF-Intendant Thomas Bellut sowie Vertreter der großen US-Produzenten Universal, Paramount, Walt Disney und Netflix. Gemeinsam unterzeichneten sie "auf Initiative der Kulturstaatsministerin" ein Papier, mit dem sich die Film- und Fernsehproduzenten zu mehr Umweltschutz bei ihrer Arbeit verpflichten. Laut Grütters ist die Erklärung ein "Meilenstein".

Vieles wäre schon längst möglich gewesen: Ökostrom, alternative Antriebe, verpflichtende Berater

Wer die Debatte in der Branche und im "Arbeitskreis Green Shooting" zuletzt verfolgt hat, bekommt einen anderen Eindruck; vor allem, wenn es darum geht, wer der wahre Initiator der Sache ist. Zudem ist das Papier, unter dem nun zahlreiche große Namen prangen, zunächst eine bloße, allgemein gehaltene Absichtserklärung.

Das gilt insbesondere unter Berücksichtigung dessen, was schon heute möglich gewesen wäre: Im Laufe des vergangenen Jahres hat der Arbeitskreis konkrete Kriterien für ein nationales Ökosiegel ausgearbeitet, mit dem künftig bundesweit nachhaltig produzierte Filme ausgezeichnet werden sollen. Als Vorbild diente der "Grüne Drehpass" der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, mit dem seit 2012 insgesamt 170 ökologische Produktionen ausgezeichnet wurden, darunter mehrere Tatorte, Großstadtrevier und Babylon Berlin. Um das Siegel zu bekommen, müssen Produktionsfirmen schon im Förderantrag klarstellen, wie sie die Emissionen des Projekts möglichst gering halten wollen.

Der neue "Nationale Grüne Drehpass" soll, wenn es nach dem Arbeitskreis geht, genau wie sein norddeutsches Vorbild zunächst freiwillig sein, die 15 Kriterien für die Auszeichnung dafür umso härter: Die Produktionsstätten sollen nur noch mit Ökostrom betrieben werden, die Hälfte der Fahrzeuge mit alternativen Antrieben unterwegs sein und ein grüner Berater für alle Phasen der Produktion Pflicht werden.

Das fertige Konzept liegt nun bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) - und das offenbar schon seit Monaten. Passiert sei wenig, klagen Beteiligte. Sie haben das Gefühl, ihr Projekt werde ausgebremst - dabei wollten sie das Siegel eigentlich am kommenden Montag auf der Berlinale erstmals präsentieren, zusammen mit einer umfassenden Selbstverpflichtung der Branche.

Stattdessen ist kurz vor Beginn des Filmfestivals ein Wettstreit darum entbrannt, wer denn nun zuerst ein Konzept für nachhaltige Filmproduktion vorstellt. Das BKM hat sich dafür entschieden, das geplante Siegel vorab in einem eigenen Termin und ohne offizielle Teilnahme des "Arbeitskreises Green Shooting" vorzustellen, obwohl die Grundlage und das Konzept zu großen Teilen genau daraus kommen. Auch Logo und Name stehen plötzlich offenbar wieder zur Disposition. "Dabei ist der Grüne Drehpass eine tolle Marke geworden, die mittlerweile bundesweit nachgefragt wird", sagt die Hamburger Projektleiterin Christiane Dopp. Am wichtigsten ist ihr nun jedoch, dass es künftig einheitliche, deutschlandweite Kriterien gibt. "Wir wollen unbedingt vermeiden, dass jeder seine eigene grüne Suppe kocht."

Das hat indes jedoch die Grünen-Fraktion im Bundestag getan und hinter verschlossenen Türen einen eigenen Fraktionsbeschluss zum Thema Grüner Film erarbeitet. Genau genommen haben sie mit dem am Dienstag veröffentlichten Papier das Rennen gegen das Ministerium von Grütters sogar gewonnen. Allerdings fand weder ein Austausch mit dem "Arbeitskreis Green Shooting", noch mit dem BKM statt - und dementsprechend überholt wirken viele Forderungen. Einer der Kernpunkte des Grünen-Papiers ist etwa die Einführung einer Ausbildung zum "grünen Berater", "Green Consultant" genannt. Genau diese Weiterbildung startet nun bereits im Sommer an der IHK Bayern in Kooperation mit Produzent Gassmann - als bislang erste dieser Art in der EU.

Ebenfalls im Sommer beginnt die Filmförderungsanstalt mit der Pilotphase des nationalen Ökozertifikats. Ab Juli kann man sich dafür bewerben. Im Anschluss soll das freiwillige Zertifikat durch verbindliche Nachhaltigkeitskriterien in den Förderrichtlinien der Filmförderung des Bundes ergänzt werden. Auch in die Novelle des Filmförderungsgesetzes sollen die Kriterien aufgenommen werden. Die Zeit drängt: Die Novelle steht 2022 an, ein erstes Eckpunktepapier liegt schon vor - und von konkreten Nachhaltigkeitskriterien fehlt darin bislang noch jede Spur.

Wie wichtig einheitliche Nachhaltigkeitskriterien sind, zeigt immer wieder die aktuelle Förderstruktur in Deutschland. In der Regel beantragen Produzenten für ihre Filme Gelder in verschiedenen Bundesländern. Mit dem Erhalt der Förderung geht jedoch meist einher, dass auch eine bestimmte Anzahl der Drehtage in jenem Bundesland stattfindet. "Im Zweifel wird eine ganze Crew durch halb Deutschland geschickt und das Drehbuch umgeschrieben, nur damit man diese Förderung bekommt", sagt Grünen-Politikerin Tabea Rößner. Wenn man grünere Filme produzieren wolle, müsse man also auch an die gesamtdeutsche Förderstruktur ran - und das wiederum geht nur seitens der Regierung. In der Erklärung von Staatsministerin Grütters steht davon jedenfalls noch nichts.

© SZ vom 20.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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