Berichterstattung über TV-Serien:Achtung, Spoiler!

Vom toten Hauptdarsteller bis zur neuen Verschwörungstheorie: Zum Ende der aktuellen Spielzeit präsentieren zahlreiche US-Serien überraschende Wendungen - nur sieht der deutsche Zuschauer sie oft viel später. Was tun? Über die Unmöglichkeit, adäquat über TV-Serien zu berichten.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gab einmal eine Zeit, da gab es im Fernsehen Frauen wie Dagmar Bergmeister oder Hilde Nocker oder Anneliese Fleyenschmidt. Die sagten dem, der sein Gerät eingeschaltet hatte, was er nun sehen würde. Fertig. Es war kein Anpreisen und Verführen, es war ein Vorlesen und Verkünden. Stinklangweilig war das, aber irgendwie beruhigend, weil es Begriffe wie "TV-Event", "Film-Film" oder "Serien-Highlight" noch nicht gab.

Der Beruf des Programmansagers wurde abgeschafft - zufälligerweise zu exakt jener Zeit, in der im Fußball der Libero entfernt wurde. Doch zu Ehren wunderbarer Menschen wie Bergmeister, Nocker und Fleyenschmidt kommt nun eine Textansage: Liebe Leser, es folgt nun ein Stück über Fernsehserien wie Homeland, The Blacklist und Game of Thrones - also jene Formate, wegen denen bisweilen vom Goldenen Zeitalter des Fernsehens gesprochen wird. Es soll ein Text werden, der komplett ohne sogenannte "Spoiler" auskommt.

Viele Leser denken sich womöglich, dass es aber auch mal Zeit wird, dass dieser Autor aus Los Angeles endlich mal einen Spoiler-freien Text hinbekommt, nachdem er in den vergangenen Monaten dauernd Einzelheiten aus Mad Men, How I Met Your Mother oder True Detective ausgeplaudert hat. So ein Geheimnisverrat ist in etwa so schlimm, als würde einem der Zahnarzt erklären, dass er gerade am falschen Zahn gebohrt hat.

Das Problem ist jedoch, dass es unmöglich ist, über Fernsehserien zu schreiben, ohne mindestens einen Menschen zu verärgern, weil der etwas erfährt, was er gar nicht wissen möchte. Glauben Sie nicht? Nun, dann passen Sie mal auf!

Bei den SAG Awards im Januar führt eine Reporterin ein recht harmloses Interview mit Jennifer Lawrence. Da taucht plötzlich Damien Lewis auf, einer der Darsteller der Serie Homeland. Es ist eine recht süße Szene, weil Lawrence sich erst schüchtern gibt, dann jedoch wie ein verliebter Teenager auf Lewis zustürmt und ihn umarmt. Sie erklärt ihm, ein glühender Verehrer der Serie zu sein - doch plötzlich friert ihr Gesicht ein. Die übereifrige Reporterin hat ihr nämlich verraten, dass ...

Haaaaaalt! Würde nun der Grund für den Furor von Lawrence genannt, wären all jene Zuschauer entsetzt, die wie Lawrence die dritte Staffel der Serie noch nicht gesehen haben. So wie sich in der vergangenen Woche all jene (vollkommen zu Recht) echauffiert haben, die auf diesem Portal und auch in der gedruckten Ausgabe der Süddeutschen Zeitung einen Text gesehen haben, der von einer Debatte in den Vereinigten Staaten handelte, ob in der vierten Staffel von Game of Thrones nicht allzu locker mit ... Haaaaaaaaalt!

Keine Vorschriften mehr

Es gibt im Fernsehen heute keine Menschen wie Dagmar Bergmeister, Hilde Nocker und Anneliese Fleyenschmidt mehr, weil sich der Zuschauer nicht mehr vorschreiben lassen muss, was er nun zu sehen hat. Jeder guckt - auch aufgrund von DVDs, Digitalrekordern und Internet-Streaming-Portalen, was er will und wann er es will.

Der eine hat also jede Folge von The Blacklist gesehen und weiß, dass Raymond Reddington ... Haaaaaaalt! Der andere kennt nur die Folgen bis zur Pause anlässlich der Olympischen Spiele, er weiß zumindest, dass der Ehemann von Elizabeth Keen ... Haaaaaaalt! Wer von der Serie gehört hat, aber die komplette erste Spielzeit nach dem Finale am Sonntag in einem Ruck ansehen möchte, der sollte zumindest darüber informiert sein, dass Kevin Spacey ... Haaaaaaaalt!

Was also tun?

Nicht wenige Menschen fordern deshalb, mit Fernsehserien so umzugehen wie mit Filmen. Es gelingt Kritikern, den Zauber eines Werkes einzufangen, die Arbeit des Regisseurs und der Schauspieler zu würdigen und dennoch keine Details der Handlung zu verraten. Nur: Ein Film ist ein einzelnes Kunstwerk und nicht wie Serien ein in bisweilen mehr als 200 Episoden unterteiltes Epos. Der Zuschauer hat einen Film gesehen - oder eben nicht. Bei Serien dagegen ist der eine bei Folge 200, der andere bei 150 oder erst bei 25.

Zudem weiß der Filmkritiker um seinen Informationsvorsprung, er kann sich gewiss sein, dass der Leser den Film bei Erscheinen des Artikels nicht gesehen hat, weil er erst am Wochenende danach in den Kinos laufen wird. Deshalb sind viele Filmkritiken keine Filmkritiken: Sie sind eine Würdigung, aber keine intensive Auseinandersetzung mit dem aktuellen Werk. Die findet erst viel später in Essays in Filmzeitschriften statt.

Pech gehabt

Was also tun? Was kann, was darf, was muss ein Journalist voraussetzen, wenn er etwa über das Finale der Serie How I Met Your Mother berichtet? Die Folge war einen Tag nach der amerikanischen Uraufführung am 31. März auch für deutsche Zuschauer legal über zahlreiche Portale verfügbar - im frei empfangbaren TV dagegen war sie immer noch nicht zu sehen. In sozialen Netzwerken wurde heftig über die Qualität der letzten Folge debattiert.

Kann der Autor deshalb davon ausgehen, dass der Inhalt so bekannt ist wie das Ergebnis eines Fußballspiels - und wer es nicht gesehen hat, der hat eben Pech gehabt?

Nein, kann er nicht! Es gehört zwar zu den Pflichten eines Journalisten, dem Leser die Informationen zu liefern, die der haben möchte. Es gehört jedoch nicht zu seinen Aufgaben, den Leser damit vollzuschütten (schlechtestenfalls auch noch mit einer Ich-weiß-was-was-Ihr-noch-nicht-wisst-Attitüde). Ja, er darf, er muss über Details berichten - alles andere wäre ein Verkohlen jener Menschen, die sich aktuelle Berichterstattung wünschen.

Ohne Klugscheißerei

In angelsächsischen Medien geziemt es sich, einem Text über Serien den Hinweis voranzustellen, dass darin Details verraten werden - ein "Spoiler Alert" also, bestenfalls mit einer Angabe der Folge, die beschrieben wird. Wenn da also vor einem Text über Game of Thrones steht, dass Inhalte bis zur fünften Folge der vierten Staffel beschrieben werden, dann darf nur weiterlesen, wer schon gesehen hat, dass darin ... Haaaaaaalt!

Das bedeutet natürlich eine Abkehr vom Anpreisen und Verführen, schließlich sollen Titel und Unterzeile den Leser dazu ermuntern, den Text zu lesen - und ihm nicht raten, lieber die Finger davon zu lassen. Dieser vorsichtige Umgang mit Serien ist eine Rückkehr zum Verkünden, beinahe wie zu Zeiten von Bergmeister, Nocker und Fleyenschmidt.

Das scheint eine adäquate Lösung zu sein: kein Verraten der Dramaturgie in Überschrift und Teaser, dazu der Hinweis, dass ein Artikel Details enthalten könnte (und wichtig: bis zu welcher Folge die Details gehen). Dazu der Aufruf an Autoren (ja, vor allem an den dieses Textes), sich zurückzunehmen und sich der Aufgabe zu stellen, ein interessantes Stück auch ohne das Ausplaudern von Details hinzubekommen, den Zauber von Serien ohne Klugscheißerei einzufangen.

Eine Rückkehr zu längst vergangenen Traditionen kann eine wunderbare Sache sein. Das bedeutet jedoch noch lange nicht - Achtung, Spoiler Alert für Otto Rehhagel und Lothar Matthäus -, dass im Fußball jemals wieder ein Libero eingeführt wird.

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