Beleidigung gegen Martin Schulz:"Handelsblatt"-Herausgeber Gabor Steingart geschasst

Gabor Steingart

Gabor Steingart will sein "Morning Briefing" auch weiterhin verschicken.

(Foto: Karlheinz Schindler/dpa)

Steingart vergreift sich verbal in seinem Newsletter zur Causa Martin Schulz und entwirft eine krude Mordfantasie. Es ist nicht das erste Mal, dass der Journalist sich am SPD-Chef abarbeitet.

Von Caspar Busse und Claudia Tieschky

Selbst als klar war, dass die Sache ernst ist, konnten sich das viele beim Handelsblatt in Düsseldorf nicht vorstellen: dass Verleger Dieter von Holtzbrinck, 76, den Herausgeber und Geschäftsführer Gabor Steingart, 55, tatsächlich feuern würde. Am Nachmittag dann wurden offiziell zwei Gründe für die spektakuläre Trennung genannt. Erstens: "Differenzen in wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Fragen." Und zweitens: "Eine, nicht generell, aber im Einzelfall, unterschiedliche Beurteilung journalistischer Standards."

Letzteres bezieht sich auf den jüngsten öffentlichkeitswirksamen Streit zwischen dem Stuttgarter Verleger und seinem ersten Journalisten: In seinem täglichen Newsletter "Morning Briefing" - einer sehr eigenen Mischung aus süffisanter Kommentierung und Marketing für Handelsblatt-Inhalte - hatte Steingart am Mittwoch das politische Drama in der SPD zwischen Martin Schulz und Sigmar Gabriel als krude Krimifantasie erzählt. "Der perfekte Mord" hieß Steingarts irritierende Morgenschrift an diesem Tag und die Rede war von einem minutiös geplanten Tathergang: "Der andere soll stolpern, ohne dass ein Stoß erkennbar ist. Er soll am Boden aufschlagen, scheinbar ohne Fremdeinwirkung. Wenn kein Zucken der Gesichtszüge mehr erkennbar ist, will Schulz den Tod des Freundes aus Goslar erst feststellen und dann beklagen."

Es ist nicht das erste Mal, dass Steingart Seltsames zum SPD-Mann Schulz einfiel

Bemerkenswerterweise erfuhr Martin Schulz direkt, was Verleger Dieter von Holtzbrinck davon hielt, denn der entschuldigte sich umgehend per Brief für all das Morgengrauen, wie Spiegel Online zuerst berichtete. Er sei "schockiert", schrieb der so zurückhaltende Verleger, Inhalt und Stil des Textes entsprächen nicht seinen Qualitäts- und Wertevorstellungen und auch nicht denen der Handelsblatt-Redaktion. Mehr Distanz geht nicht.

Es ist nicht das erste Mal, dass Steingart Seltsames zu Martin Schulz einfiel. Im Dezember 2016 sinnierte er unter dem Titel "Kanzlerholz" über einen möglichen "Regierungschef ohne Abitur" und darüber, dass man eine "Dachstube mit Innenausbau" vorweisen müsse, um gegen die promovierte Physikerin Angela Merkel anzutreten. Über diese Dachstuben-Schrift machte sich sogar der der Bildungsferne unverdächtige FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube lustig.

Am Freitagnachmittag um 15 Uhr gab es dann in der gerade erst bezogenen neuen Zentrale der Handelsblatt-Gruppe eine Mitarbeiterversammlung. Holtzbrinck persönlich war gekommen, um seine Entscheidung zu erläutern. Das Interesse war groß, die Stimmung nach Angaben von Teilnehmern sehr gedrückt. Holtzbrinck sprach von der Verantwortung der Medien gerade in diesen Zeiten, und spielte auf die Schulz-Geschichte an. Was es für wirtschaftliche und finanzielle Streitpunkte gab, wollte er auch auf Nachfrage nicht preisgeben. Es gehe aber nicht um das Geld, sondern auch ums Tempo. Er lobte Steingart und bedauerte die Trennung.

Das "Morning Briefing" wird weiter erscheinen, zunächst sogar doppelt. Steingart selbst werde in eigener Eigentümerschaft sein "Morning Briefing" an die mittlerweile circa 700 000 Abonnenten als unabhängige journalistische Stimme herausgeben. Aber auch das Handelsblatt wird künftig einen Morgenbrief verschicken.

Geschockt seien sie, schrieben die Chefredakteure Sven Afhüppe (Handelsblatt), Beat Balzli (Wirtschaftswoche) und Wirtschaftswoche-Herausgeberin Miriam Meckel in einem Brief an Holtzbrinck, sie stellen sich hinter Steingart und kritisieren die Entlassung als "Bestrafung für eine - wenngleich unbequeme - Meinung" und "verheerendes Zeichen für die publizistische Unabhängigkeit". Noch im Dezember - bei der alljährlichen Korrespondententagung - gab es angeblich Lobeshymnen. Holtzbrinck sagte, die Wirtschaftszeitung stehe publizistisch und wirtschaftlich gut da. Das sei vor allem auch das Verdienst von Steingart. Ein mögliches Zerwürfnis will niemand ausgemacht haben.

Selten hat es in der Zeitungswelt einen so plötzlichen und überraschenden Rauswurf gegeben. Gefeuert wird der Mann, der das Gesicht des Handelsblatts war, neben dem öffentlichkeitsscheuen Verleger Holtzbrinck. Publizistisch ist Steingart, der einst beim Spiegel die Büros in Washington und Berlin leitete, eine Rampensau auf jeder Bühne. Er ist einer jener in der analogen Zeit sozialisierten Journalisten, die später im Leben das Meinungsmachen des Internets lernten und dabei öfter recht dick auftragen. Der Wirtschaftsjournalist, der auch mal Ambitionen hatte, Spiegel-Chefredakteur zu werden, war im Februar 2010 nach Düsseldorf gewechselt und übernahm die Leitung der Handelsblatt-Redaktion. Das sei "Ehre und Herausforderung zugleich", sagte er damals, es war auch eine Rückkehr, seine Karriere hatte in der Handelsblatt-eigenen Journalistenschule begonnen. 2013 wechselte er in die Geschäftsführung der Verlagsgruppe, zu der auch die Wirtschaftswoche gehört, übernahm den Vorsitz. Außerdem wurde er von Holtzbrinck als Minderheitsgesellschafter mit drei Prozent beteiligt. Was damit jetzt passiert, ist offen.

In Steingarts Amtszeit konnte das Handelsblatt die Auflage (Verkauf zuletzt 125 800) stabilisieren, einen Rückgang bei Print-Abonnenten mit dem Verkauf von Digitalausgaben wettmachen. Steingart hat darüberhinaus neue Erlösquellen erschlossen, unter anderem mit zahlreichen Veranstaltungen und einem Leser-Klub, bei dem die Zeitung aktiv den Kontakt mit ihren Lesern sucht. Zudem wird seit einiger Zeit eine englischsprachige Edition publiziert, um die Marke Handelsblatt auch international zu etablieren, der Online-Auftritt wurde ausgebaut. Den größten Handelsblatt-Konkurrenten, die Financial Times Deutschland, stellte Gruner + Jahr 2012 ein. Kritisiert wurde aber die neue Nähe der Zeitung unter Steingart zu Anzeigenkunden, wirtschaftliche Zusammenarbeit könne schnell journalistische Unabhängigkeit gefährden, so die Befürchtung.

"Dieter von Holtzbrinck ist ein wunderbarer Mensch und erfahrener Verleger, dessen Geduld ich über so viele Jahre nicht nur strapaziert, sondern oft genug auch überstrapaziert habe", teilte Steingart per Pressemitteilung mit. "Unsere Freundschaft und meine Wertschätzung ihm gegenüber bestehen unvermindert fort." Völlig reibungslos soll das Verhältnis der beiden nie gewesen sein. Monate nach der Verpflichtung sagte der Verleger bei einem seiner seltenen Auftritte, dass er Steingart eher bremsen als antreiben müsse. Am Ende entschied er sich für Vollbremsung.

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