Süddeutsche Zeitung

Verhinderte Beitragserhöhung:Wo Politik an Grenzen stößt

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Die Verfassungsbeschwerden von ARD, ZDF und Deutschlandradio gegen das Veto Sachsen-Anhalts haben gute Aussichten auf einen Erfolg - noch vor Jahresende dürfte eine Entscheidung fallen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Vermutlich hoffen ARD, ZDF und Deutschlandradio nun auf ein Weihnachtsgeschenk aus Karlsruhe. Alle drei haben inzwischen ihre Verfassungsbeschwerden gegen die verhinderte Anhebung des Rundfunkbeitrags beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, der zum Jahresanfang um 86 Cent auf 18,36 Euro steigen sollte. Für die damit verbundenen Eilanträge hat das Gericht den Bundesländern eine sehr kurze Frist zur Stellungnahme bis zu diesem Mittwoch gesetzt, ein Indiz, dass noch vor Jahresende mit einer Eilentscheidung zu rechnen ist. Ob das Gericht die Anhebung gleich selbst anordnet, ist aber fraglich. Möglicherweise will es vorerst nur den Medienstaatsvertrag am Leben erhalten. Dieser würde am 1. Januar zum juristischen Nullum, weil Sachsen-Anhalt ihn nicht ratifiziert hat. Und über ein Nullum zu urteilen, ist für Richter immer etwas kompliziert.

Die 86-Cent-Frage wäre damit auf ein Hauptsacheverfahren vermutlich im Laufe des Jahres 2021 verschoben. Die Aussichten, dass der verhinderte Beitragssprung verfassungswidrig ist, dürften ziemlich gut sein. Das jedenfalls lässt sich aus den früheren Karlsruher Rundfunkurteilen ablesen.

Denn das Bundesverfassungsgericht hat Regierungen und Parlamente in die zweite Reihe verbannt, wenn es ums Geld für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht. Sie haben wenig mitzubestimmen, aus dem einfachen Grund, dass die Herrschenden ihre medialen Kritiker nicht am Zügel der Finanzierung führen dürfen. Das entscheidende Wort haben die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) und die mit einer "Bestands- und Entwicklungsgarantie" ausgestatteten Sender selbst, die mit ihrer "Bedarfsanmeldung" den Rahmen vorgeben.

Die Beitragsdebatte ist eben kein guter Zeitpunkt, etwas "durchzudrücken"

Wie ungewohnt dieser Platz in der zweiten Reihe für einen auf Veränderung gebürsteten Gesetzgeber ist, ließ sich zuletzt in Sachsen-Anhalt besichtigen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu groß und zu teuer geworden, gab Markus Kurze, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, zu Protokoll - und fügte hinzu: Das Verfahren um die Beitragserhöhung sei der richtige Zeitpunkt, Forderungen bezüglich Auftrag und Struktur "durchzudrücken". Nach der Karlsruher Rechtsprechung ist das Gegenteil richtig: Die Beitragsdebatte ist der falscheste Zeitpunkt, irgendetwas "durchzudrücken" - sonst gäbe man Regierungen ein Machtinstrument, um die Sender zu willfährigen Lautsprechern ihrer Politik zu machen. Das wäre das Ende der Rundfunkfreiheit.

Allerdings sind die Parlamente nicht auf eine Rolle als Notar beschränkt. Der Gesetzgeber darf den Beitrag aus eng umgrenzten Gründen durchaus absenken, "zur abwägenden Berücksichtigung gerade auch der wirtschaftlichen Interessen der Gebührenzahler". So heißt es im Rundfunk-Urteil von 2007. Dabei dürfe die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Einkommensentwicklung und die sonstige Abgabenlast der Beitragszahler in Rechnung gestellt werden.

Ein Kritikpunkt war die vermeintlich zu wenig stattfindende Abbildung des Lebens in Ostdeutschland

Damit aber nicht das Bauchgefühl von Landespolitikern entscheidet, fordert das Gericht dafür "nachprüfbare Gründe". Nur dann kann überprüft werden, ob die politische Absenkung des KEF-Vorschlags im Einklang mit der Rundfunkfreiheit stehe. Für den gescheiterten Staatsvertrag gibt es freilich nur eine offizielle Begründung: Es fand sich keine Mehrheit im Parlament von Sachsen-Anhalt.

Allerdings sind im politischen Raum ja allerlei Gründe kommuniziert worden, warum der Beitrag nicht steigen solle - in der ZDF-Beschwerdeschrift aus der Feder des erfahrenen Speyerer Professors Joachim Wieland, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wird die sachsen-anhaltinische Rundfunkkritik in aller Ausführlichkeit abgebildet. Darunter finden sich zahlreiche Argumente, die das Verfassungsgericht im Streit um die Beiträge für inakzeptabel hält. So warf der im Zuge des Konflikts vor die Tür gesetzte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) die Frage auf, ob es genügend Sparbemühungen gegeben habe. Die Sender bildeten das Leben in Ostdeutschland zu wenig ab und berichteten "gelegentlich nicht auf Augenhöhe", sagte er der Welt. Das kann man als Zuschauer so sehen. Aber als Begründung gegen eine Gebührenerhöhung wäre es ein eklatanter Eingriff in die Programmfreiheit der Sender.

Möglicherweise nutzt das Gericht das Verfahren, um die Entscheidungsspielräume der Länder in der Gebührenfrage neu auszuloten. In früheren Entscheidungen haben sich die Richter freilich alle Mühe gegeben, die Politik rauszuhalten; 2007 schlugen sie beispielsweise ein Indexmodell vor, das den Beitrag an die Preisentwicklung knüpft. Gestalten könnte die Politik aber bei der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung, also jenseits der Beiträge - auch das ist in dem Urteil nachzulesen. Damit könnte etwa die Fusionierung kleiner Sender mit großen Anstalten gemeint sein, wie im Saarland oder in Bremen. Aber solche Eisen fassen die Länder lieber nicht an.

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