Süddeutsche Zeitung

Bei Carolin Kebekus und Aminata Belli:Wie sich schwarze Menschen Sichtbarkeit erkämpfen

In Talkshows saßen in dieser Woche vor allem weiße Experten. Jetzt entstehen Formate, in denen die Betroffenen sprechen.

Von Sophie Aschenbrenner

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch weiße Polizisten gehen in den USA täglich Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Doch nicht nur dort: Auch in Deutschland sind am Wochenende in vielen Großstädten Demos geplant, in anderen haben bereits Proteste stattgefunden. Auf Plattformen wie Twitter und Instagram machen viele Menschen darauf aufmerksam machen, dass Rassismus ein reales Problem ist - auch in Deutschland.

Doch es gibt einen Ort, an dem Schwarze Menschen auch in dieser Woche deutlich unterrepräsentiert sind: In den großen Talkhows des deutschen Fernsehens waren Polizeigewalt und Rassismus in dieser Woche zwar Thema - auf den Podien saßen aber (fast) ausschließlich Weiße. Sandra Maischberger hatte für ihre Sendung am Dienstag nach massiver Kritik noch schnell die Schwarze US-Professorin Priscilla Layne über Video zugeschaltet, diese kritisierte die Auswahl der Gäste im Nachhinein aber scharf.

"Wenn wir keinen Sitz in den Talkshows bekommen, dann reservieren wir uns einen"

Moderatorin Aminata Belli hat auf das Problem eine Antwort gefunden: Gemeinsam mit der Journalistin Hadnet Tesfai gründete sie spontan das Instagram-Talk-Format "Sitzplatzreservierung". Bisher gab es zwei Folgen, noch bis Samstagabend diskutieren die beiden mit anderen Schwarzen Gästen über Rassismus in Deutschland und den Umgang damit. Zum Beispiel über die mediale Aufbereitung der aktuellen Debatte, darüber, wie Schwarze Menschen dabei zu Wort kommen und ob und wie sie integriert werden. "Es gab so viel Kritik an Maischberger, weil nur weiße Gäste zur Diskussionsrunde geladen werden. Das wollten wir besser machen", sagt Aminata Belli am Telefon. Dass zur Maischberger-Sendung anfangs keine Schwarzen Gäste geladen waren, versteht sie als "ein Symbol für Deutschland und den Umgang mit Rassismus und Polizeigewalt, denn die gibt es eben nicht nur in den USA". Der Name "Sitzplatzreservierung" ist dabei deutlich: "Wenn wir keinen Sitz in den Talkshows bekommen, dann reservieren wir uns einen."

Die Instagram-Talks sind zwar an alle Menschen gerichtet, auch an Weiße, die zuhören und lernen wollen. Vor allem seien sie aber auch heilsam für die Schwarze Community, sagt Aminata Belli: "Es fühlt sich so ehrlich an, wie Gespräche unter Freund*innen. Es tut so gut, diese Gespräche zu führen. Das bedeutet für uns Heilung." Zu Gast bisher: der Moderator Tarik Tesfu, die Journalistin Fabienne Sand, die Choreographin Nikeata Thompson und die Autorin und Journalistin Alice Hasters.

Die Idee kommt an: knapp 2000 Menschen schauten Donnerstagabend via Instagram Live zu, die Gespräche werden aber auch abgespeichert und sind somit weiterhin verfügbar. Der Talk von Alice Hasters und Aminata Belli wurde schon mehr als 172 000 Mal aufgerufen. Aminata Belli sagt aber auch: "Auf Instagram erreichen wir eben nur eine bestimmte Art von Menschen. Wenn Schwarze Menschen bei Maischberger sitzen, dann erreichen wir ein ganz anderes Publikum. Das wäre so wichtig." Insgesamt wünsche sie sich, dass Schwarze nicht immer nur angefragt würden, wenn es um Rassismus geht. "Die Medien müssen genauso divers werden wie unsere Gesellschaft. Bisher sind sie aber vornehmlich weiß."

Kennengelernt haben sich Aminata Belli und ihre Mit-Moderatorin Hadnet Tesafi bei einem Dreh für die Sendung von Comedienne und Moderatorin Carolin Kebekus, die Donnerstagabend lief. Dort waren sie als Gäste eingeladen. Auch Kebekus kritisiert nämlich, dass im deutschen Fernsehen in den vergangenen Tagen fast ausschließlich Weiße über das Thema Rassismus gesprochen haben. Deswegen überließ sie ihre Sendezeit am Donnerstagabend Schwarzen Menschen aus ganz Deutschland. "Was in den USA geschieht, ist unerträglich. Aber es ist zu einfach, zu behaupten, dass das ein amerikanisches Problem ist. Rassismus tötet, auch in Deutschland. Und damit müssen wir uns alle auseinandersetzen - auch wenn's wehtut. Und da die ARD bisher keinen Brennpunkt dazu gemacht hat, machen wir einfach einen", sagte Kebekus eingangs. Und übergab dann an die Schwarze Moderatorin und Schauspielerin Shary Reeves, die viele unter anderem aus der Kindersendung "Wissen macht Ah" kennen.

"Menschen mit heller Haut können nicht nachempfinden, was Menschen mit dunkler Haut fast täglich an Benachteiligung widerfährt", sagt Reeves. In kurzen Videos erzählen Betroffene dann von ihren Erfahrungen. Da ist die Grünen-Politikerin Aminata Touré, die berichtet, wie sie auf offener Straße angeschrien und mit dem N-Wort beschimpft wurde. Da ist Hadnet Tesafi, die davon erzählt, wie ein Politiker beim Wahlkampf in einem Café an allen Tischen vorstellig wurde - nur nicht an ihrem Tisch. Der SPD-Politiker Karamba Diaby aus Halle berichtet, wie seine Brille bei einem rassistischen Angriff zerstört wurde. Er werde das nie vergessen, auch wenn die "Erfahrung im Vergleich noch harmlos war". Alice Hasters sagt, dass weiße Menschen zwar immer beteuern würden, dass sie keine Hautfarben sehen würden. "Wenn sie sich in ihrer Macht bedroht fühlen, dann sehen sie Hautfarben aber sehr wohl", sagt sie. Die Journalistin Farah Schäfer berichtet von sexualisiertem Rassismus. "Das entmenschlicht mich", sagt sie. Diese Beispiele waren nur wenige. Sie sprechen genau acht Minuten und 46 Sekunden - so lange, wie der weiße Polizeibeamte auf dem Hals von George Floyd kniete.

"Rassismus ist Realität für uns. Ich würde mir wünschen, dass ich das nicht beweisen muss"

Aminata Belli freue sich, Teil der Sendung zu sein, sagt sie, sie wünsche sich aber auch, dass es irgendwann nicht mehr notwendig ist, dass Schwarze Menschen immer wieder von ihren Erfahrungen mit Rassismus sprechen: "Wir müssen zu dem Punkt kommen, an dem einfach alle anerkennen, dass es Rassismus gibt. Wir müssen aufhören, das immer wieder erzählen zu müssen, damit man uns glaubt." Für viele Schwarze sei es sehr schmerzhaft, über rassistische Erfahrungen zu sprechen. "Viele können sich nicht vorstellen, dass ich Rassismus erfahre. Aber Rassismus ist Realität für uns. Ich würde mir wünschen, dass ich das nicht beweisen muss", sagt die Moderatorin.

In den sozialen Medien ist das Feedback auf die Formate fast ausschließlich positiv. Auf Twitter und in Instagram-Storys werden die Videos geteilt, viele Menschen wünschen sich, dass Aminata Belli und Hadnet Tesafi nach dem 6. Juni nicht aufhören mit ihrem Talks. Tatsache ist: Die Formate werden sicherlich auch Anregung sein für andere Sendungen: Auch Markus Lanz wurde massiv für die Auswahl seiner Gäste kritisiert - am Dienstag diskutierten in seiner Show noch vier weiße Gäste über die Situation in den USA. Die Redaktion reagierte augenscheinlich: Am Donnerstag saßen in der Talkshow zum Thema Rassismus unter anderem die Schwarze Politologin Hadija Haruna-Oelker, der Fußballprofi Dennis Aogo und die CDU-Politikerin Serap Güler.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4928671
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.06.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.