Begegnung mit den "Sons of Anarchy":Hell, Hamlet!

Begegnung mit den "Sons of Anarchy": Charlie Hunnam und Tommy Flanagan bei den Dreharbeiten zu Sons of Anarchy in Los Angeles im Juni 2013

Charlie Hunnam und Tommy Flanagan bei den Dreharbeiten zu Sons of Anarchy in Los Angeles im Juni 2013

(Foto: Imago Stock&People)

Söhne der Serie: Tommy Flanagan, Mark None junior und die anderen Darsteller von "Sons of Anarchy" geben alles, damit dieses Fernsehdrama knallhart bleibt. Auch sonntags - auf einem sonnigen Highway in Kalifornien.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Tommy Flanagan ist bestens gelaunt an diesem Sonntagmorgen in der Alex's Bar, einem Irish Pub in Long Beach. Die langen grauen Haare versteckt er unter einer schwarzen Schiebermütze, die Augen hinter einer überdimensionalen Sonnenbrille. Mit der schwarzen Lederjacke, der schwarzen Jeans und den schwarzen Stiefeln sieht er weniger aus wie der schottische Darsteller Tommy Flanagan, sondern vielmehr wie sein Charakter Chibs Telford aus der Fernsehserie Sons of Anarchy - und er benimmt sich auch so: Erst schlägt er mit der Faust gegen eine Wand, dann trommelt er gegen ein Werbeplakat für Gerstensaft, schließlich erklärt er: "I love fucking Germany!" Dann wiederholt er seine Gesten, beim Gespräch mit anderen Menschen gibt es deutlich Indizien, dass Flanagan ganz offensichtlich auch "fucking Belgium", "fucking England" und "fucking Netherlands" recht gerne mag.

Flanagan und seine Kollegen fahren an diesem Sonntag auf ihren Motorrädern zusammen mit etwa 500 anderen Bikern von Long Beach nach Hollywood, um amerikanische Kriegsveteranen zu unterstützen - die Strecke gehört zu den schönsten in Kalifornien: Auf dem Pacific Coast Highway geht es hinüber an den Ozean, vorbei an den Surfern und Beachvolleyballern in Manhattan Beach, am Flughafen LAX und am Jachthafen in Marina Del Rey. Danach kurz Gas geben auf dem San Diego Freeway und schließlich auf der Route 66 und dem Sunset Boulevard nach Hollywood. Natürlich findet Flanagan diese Routenplanung prima, er sagt: "Hell, yeah!"

Die Begegnung mit Flanagan zeigt: Es kann einen Schauspieler durchaus prägen, wenn er sechs Jahre lang eine bedeutende Figur in einer Fernsehserie verkörpert. Flanagans Charakter ist einer der Protagonisten im überaus erfolgreichen und mehrfach ausgezeichneten Rockerdrama, das laut Erfinder und Produzent Kurt Sutter eine moderne Version der Tragödie Hamlet von William Shakespeare ist. Chibs ist Horatio, der treue Freund des Hamlet-inspirierten Jax Teller (Charlie Hunnam). Die alternde Rockerbraut Gemma (Katey Sagal) ist an Königin Gertrude angelehnt, am Ende der Serie im Herbst 2014 wird es vermutlich einen dramatischen Kampf zwischen Jax und Gegenspieler Clay Morrow (Ron Perlman) geben.

In den Vereinigten Staaten wird vom 10. September an die sechste Staffel ausgestrahlt, in Deutschland liefen die ersten drei Spielzeiten spätabends auf Kabel 1, es gibt noch keinen Termin für die vierte Staffel. Alle Folgen bietet Twentieth Century Fox einen Tag nach der US-Ausstrahlung bei den gängigen Video-on-Demand-Portalen an, die DVD zur dritten Staffel erscheint in Deutschland im Dezember.

Es geht um den Sons of Anarchy Motorcycle Club, eine Motorradgang im fiktiven kalifornischen Ort Charming. Polizisten haben in diesem Örtchen so viel zu melden wie ein Vespa-Fahrer bei den Hells Angels, die Söhne der Anarchie sind Bösewichter und Beschützer der Stadt zugleich. Die Serie ist keine Romantisierung des Rockerlebens - porträtiert wird vielmehr eine schlimme Welt, in der sich nur die Schlimmsten langfristig durchsetzen können. Sons of Anarchy ist tiefgründig, dramatisch, vor allem aber knallhart.

"Ich bin privat ein lieber Kerl, wirklich!"

"Jede Figur in der Serie ist ein beinharter Bursche", sagt Emilio Rivera. Er verkörpert Marcus Álvarez, den Anführer der rivalisierenden Gang Mayans Motorcycle Club's Oakland: "Die Charaktere müssen nicht dauernd beweisen, wie hart sie sind - weil das feststeht. Also dürfen sie auch andere Emotionen zulassen." Er habe sogar Teile seiner Figur ins Privatleben übertragen können: "Das hat mich gerettet. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Gefühle als Zeichen von Schwäche gesehen wurden - doch das stimmt nicht. Ich erziehe meine Kinder nun so, dass sie ihre Emotionen zeigen dürfen."

Rivera legt jedoch Wert darauf, nur ja nicht mit der Serienfigur verwechselt zu werden - er gibt sich betont freundlich, er lächelt ständig und gibt jedem Gast zur Begrüßung die Hand: "Ich bin privat ein lieber Kerl, wirklich! Aber jeder von uns nimmt etwas von seiner Figur mit nach Hause, oder etwa nicht?" Er sieht hinüber zu Mark Boone junior, der sein Gesicht mit einem Berg Haare und einem gewaltigen Bart verbirgt. Boone kratzt sich am Bart, knurrt und bewegt den Kopf langsam von oben nach unten - genau das hätte seine Figur Bobby Elvis Munson nun gemacht.

Daneben steht Theo Rossi und erklärt den Irokesenhaarschnitt seiner Figur Juice Ortiz: "Es ist lustig, weil ich die verschiedenen Varianten nun überall sehe. Selbst bei kleinen Kindern, die nennen den Look den ,Juicehawk'." Rossi ist der einzige Darsteller, der zur sechsten Staffel ein wenig mehr Hinweise gibt als den, nichts verraten zu dürfen: "Es wird härter werden, intensiver, dunkler. Viele Figuren haben den Punkt erreicht, an dem sie komplett gebrochen sind. Jede Folge fühlt sich an, als wäre es die letzte der kompletten Serie." Kurzer Blick zu Boone: Kratzen, Knurren, Nicken.

Ron Perlman und Charlie Hunnam übrigens haben an diesem Tag keine Lust, in der Bar abzuhängen - sie wollen lieber auf einer Harley-Davidson sitzen. Die Sons of Anarchy führen bei der Fahrt nach Hollywood das Feld an, spätestens auf dem San Diego Freeway wird klar, dass die Polizei bei diesem sogenannten "Boot Ride" nur dafür zu sorgen hat, dass die Straße frei ist. Flanagan und Boone scheinen allergisch dagegen zu sein, überholt zu werden, sie wollen offensichtlich so schnell wie möglich in die Happy Ending Bar in Hollywood, wo nach der Fahrt gefeiert wird.

Der Tacho zeigt mehr als 100 Meilen pro Stunde an. Erlaubt sind 65. Die Menschen am Straßenrand in Beverly Hills und West Hollywood gucken verdutzt - wenn sie jedoch die Flagge mit dem Anarchie-Zeichen sehen, beginnen sie zu jubeln und zu winken. Die Sons of Anarchy auf der Route 66, das ist ein Bild, das diese Leute in Los Angeles an ein Lebensgefühl erinnert, das der Stadt langsam abhanden zu kommen scheint. Tommy Flanagan und Mark Boone junior wissen das, sie sind seit Jahren leidenschaftliche Harley-Fahrer. Wenn jemand jubelt, heben sie kurz den Arm und formen das Peace-Zeichen oder eine Faust.

Es ist dann allerdings auch erfrischend, dass es Typen wie Chris Reed gibt. Der verkörpert in der Serie Filthy Phil Russell, steht nun aber in Flanellhemd, mit Nerdbrille und kurzen roten Haaren herum. Auf die Frage, wie viel von einem Rocker denn in ihm stecke, sagt er lapidar: "Ungefähr vier Prozent - und das auch nur, weil ich jetzt einen Motorradführerschein habe."

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