Süddeutsche Zeitung

"Beckmann" zu Edward Snowden:Niemand entgeht der NSA und Ströbele

Seit seinem Besuch bei Edward Snowden ist der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele in den deutschen Medien omnipräsent. Bei Reinhold Beckmann bekommt er es mit zwei Journalisten und einem angriffslustigen "Bild"-Chefreporter zu tun. Eine Grundsatzdebatte zur NSA-Affäre wird daraus nicht - aber immerhin lässt sich erahnen, wo die größten Probleme liegen.

Eine TV-Kritik von Johannes Kuhn

Im Wahlkampf-Sommer noch als der Jopi Heesters aus Kreuzberg verspottet, nach seinem Treffen mit Edward Snowden von CNN versehentlich zum Bundesaußenminister gemacht: Hans-Christian Ströbele dürfte sich selbst über den bunten Herbst seiner politischen Karriere wundern. Am späten Donnerstagabend gelingt dem grünen Bundestagsabgeordneten ein neues Kunststück. Der 74-Jährige sitzt gleichzeitig in einer Polit-Gesprächsrunde bei Phoenix und im Ersten bei "Beckmann", um über die NSA-Affäre zu diskutieren.

Natürlich ermöglicht so etwas die Technik der TV-Aufzeichnung, doch angesichts der derzeitigen Medienpräsenz des Berliners hätte es wohl niemanden überrascht, wäre Ströbele auch noch schnell in Maybrit Illners Studio spaziert, um kurz Hallo zu sagen. Einzig: Die ZDF-Talkerin hatte bereits vergangene Woche die NSA diskutieren lassen und widmete sich nun lieber der Rente.

Das Thema Altersarmut ist wahrscheinlich nicht nur an diesem Abend ein dankbareres als die exzessive Spähpraxis der USA und Großbritanniens, wie die 75 Minuten "Beckmann" zeigen. Zu verworren ist die Lage, zu viele Details sind unbekannt. Solche Wissenslücken sind schnell mit Spekulationen gefüllt - es bleibt das Geheimnis der Redaktion, ob sie genau das unterbinden oder gar fördern wollte, indem sie neben Ströbele und Edda Müller von Transparency International gleich drei Journalisten einlud.

Selten mag eine Berufsgruppe in einer solchen Runde derart überrepräsentiert gewesen sein, doch immerhin ergänzt sich das Trio: Die amerikanische Journalistin Melinda Crane gibt die selbstkritische Optimistin. Sie sagt Sätze wie "Viele der NSA-Praktiken sind verfassungswidrig. Ich bin mir sicher, dass der Patriot Act (gesetzliche Grundlage für die NSA-Praktiken; Anm. d. Red.) revidiert wird und in einigen Jahren nicht mehr in dieser Form existiert."

Engagement gegen die Daten-Staubsauger

ARD-Ikone Fritz Pleitgen hingegen, von Beckmann als "der alte Chef" begrüßt, ist an diesem Abend der verärgerte Elder Statesman. "Ich bin sehr froh, dass es Leute wie Edward Snowden gibt. Gerade als Journalist", bekennt er. Später beklagt er, "dass uns Minister wie Herr Friedrich und Herr Pofalla einen Bären aufbinden", fordert deren Rücktritt und einen stärkeres Engagement der Bundesregierung gegen die Daten-Staubsauger aus Übersee und anderswo.

Bild-Chefreporter Julian Reichelt wiederum darf in der Runde als Bad Boy agieren und seine bereits gedruckten Thesen zur Affäre ("Snowden ist kein Held", "Ausspähen ist notwendig") nochmals mündlich ausbreiten. An seiner Rolle als Kritiker von Snowden sowie Ströbeles und der vermeintlichen deutschen Hysterie arbeitet er sich verbissen ab.

Am klarsten tritt der Gegensatz zwischen Bild-Mann und Grünen-Politiker bei der Bewertung des in Moskau sitzenden Snowden hervor: Für Ströbele sind dessen Enthüllungen das Werk eines "amerikanischen Patrioten", der weiterhin selbstbestimmt agiert und das Treffen vergangene Woche aus nachvollziehbaren Gründen arrangiert hat ("Der sucht tatsächlich auch 'ne Bleibe, aber er hat auch sich selber den Auftrag gegeben, aufzuklären").

Für Reichelt wiederum kam die Begegnung Snowden/Ströbele nur deshalb zustande, weil "die Russen daran Interesse hatten, 'Handygate' am Laufen zu lassen", wie er spekuliert. Der Ex-NSA-Mann selber ist demnach nicht nur eine Marionette Putins, sondern auch ein Geheimnisverräter mit schwer einzuschätzendem Charakter, der dafür gesorgt hat, dass "die Leute, die interessiert daran sind, Busse in Berlin und London in die Luft zu sprengen, im Moment aufmerksam den Spiegel lesen".

Für seine Ansichten findet der Bild-Mann im Rest der Runde wenig Zustimmung, häufig wirken seine Argumente konstruiert, manchmal sogar komisch: Snowden sei Vegetarier, habe es zunächst geheißen, doch habe er mit Ströbele Steak gegessen. "Wir wissen nicht mal, was Herr Snowden isst. Woher sollen wir wissen, wer er ist?", folgert Reichelt.

Eine Grundsatzdebatte darüber, wie die entgrenzten Überwachungsmöglichkeiten von Geheimdiensten wieder begrenzt werden können, entsteht an diesem Abend nicht. In guten Momenten allerdings ermöglichen Beckmanns Gäste kurze Blicke auf die Zentren der vielen kleinen Kontroversen rund um die Ausspäh-Affäre.

Außer dem Hinweis auf das Kanzlerhandy gebe es "kein Dokument, das belegt, dass Deutsche in Deutschland abgehört wurden", erklärt beispielsweise Reichelt - die durchaus berechtigte Erinnerung daran, dass wir zwar das mögliche Ausmaß der Datensammlung, aber jenseits der Affäre Merkel hierzulande keine konkreten Fälle kennen.

Rechtfertigt dies angesichts der bekanntgewordenen Ausspähstrukturen und Datenmengen ein Grundvertrauen, dass NSA und GCHQ mit ihrer Macht verantwortungsvoll umgehen? Und was ist mit Geheimdiensten aus Ländern wie Russland und China, fragt Pleitgen. Wie nutzen sie die Datensammel-Möglichkeiten der digitalisierten Welt? Und was ist mit Snowden? "Wegen zivilen Ungehorsams muss man auch vor Gericht stehen", sagt US-Journalistin Crane, "Soll Edward Snowden dieses Opfer bringen? Das ist eine große und schmerzvolle Frage."

Asyl in Norwegen?

Welche Rolle Whistleblower in unserer Gesellschaft spielen und welchen Schutz wir ihnen geben können, diese Frage wird trotz der Anwesenheit von Transparency-Vertreterin Müller nur am Rande berührt. Auch die durchaus spannende Frage, ob Bild die Snowden-Dokumente veröffentlicht hätte, wenn sie sie denn bekommen hätte, beantwortet Chefreporter Reichelt nur ausweichend.

Etwas konkreter wird es, wenn es um die Zukunft Snowdens geht: Eine Vernehmung des NSA-Enthüllers in Russland hält Ströbele weiterhin für problematisch, an eine Aufenthaltserlaubnis durch das Bundesinnenministerium glaubt er dem Anschein nach allerdings selbst nicht so ganz.

Er spreche mit Abgeordneten aus fünf europäischen Ländern darüber, ob es für Snowden die Möglichkeit einer Aufnahme gäbe. Es gibt also durchaus ein bisschen Bewegung hinter den Kulissen.

Warum nicht Asyl für Snowden in Norwegen, fragt US-Journalistin Crane in Anlehnung an eine Idee Hans-Magnus Enzensbergers. Das wäre ein guter Ausgleich für den sehr verfrühten Friedensnobelpreis, den Obama in Oslo erhalten habe. Er sei mit einem nordischen Land im Gespräch, gibt der Grüne zu.

Kreuzbergs politischer Jopi Heesters verhilft Snowden zu Asyl in Skandinavien - das klingt nach einer ziemlich unrealistischen Geschichte. Andererseits: "Unrealistisch" - gibt es dieses Wort im Moment überhaupt im Wortschatz von Hans-Christian Ströbele?

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