"Beckmann"-Talk im NDR:Ein Abend voller Nicken und eloquenter Demut

Beckmann Talk

In Reinhold Beckmanns (links) Sendung überrascht, wie viel den Sozialisten Gregor Gysi (rechts) und den Kardinal Reinhard Marx (Mitte) verbindet.

(Foto: NDR/Morris Mac Matzen)

Kardinal Reinhard Marx und Gregor Gysi harmonieren nicht nur wegen ihrer Namen im Staffelstart des Talk-Formats - auch inhaltlich kommen sie sich erstaunlich nahe.

TV-Kritik von Matthias Drobinski

Den ganzen Sommer über trifft nun jeden späten Montagabend um viertel vor elf Reinhold Beckmann in einem Hamburger Loft, das irgendwie Wohnung sein soll, zwei Menschen, die ihn interessieren und die sich füreinander interessieren. Sie sollen möglichst verschieden sein und einander doch so nah, dass ein intensives Gespräch die dreiviertelstündige Sendung füllt, kein Schlagabtausch und kein Phrasenaustausch - was Nachdenkliches halt zum Tagesausklang.

Als erstes waren Reinhard Marx, der Münchner Kardinal und Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, und Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, dran. Der Kirchenmann, der ausgerechnet Marx heißt, und der sozialistische Atheist, dessen Vater in der DDR Staatssekretär für Kirchenfragen war, das schien der Redaktion genügend Spannung zu garantieren.

Überrascht hat dann aber eher, wie viel den Sozialisten und den Kardinal verbindet. Gysi erzählt, dass er oft und auch gern in Kirchen redet, obwohl er dann eine "pastorale Tonlage" bekomme, wie er sagt - und dass er in der Bergpredigt die "wichtigste moralische Norm" des Zusammenlebens zusammengefasst sieht, nur glaube er halt nicht an Gott. Marx hält die soziale Frage für wichtig und eine gesunde Portion Kapitalismus-Skepsis für berechtigt. Aber zu den Linken gehen? "Nee, wird mir nicht passieren", sagt der Kardinal.

Warum der Auszug aus den Kirchen, warum der Niedergang der sozialistischen Bewegung? Weil es ein "Rumoren" gibt in der Gesellschaft, antwortet der Kardinal dem Moderator Beckmann, "man spürt, es entsteht eine neue Welt", die einen grundlegenden Kurswechsel notwendig mache und die alten Institutionen durchschüttle. "Der Kapitalismus gerät in eine wirkliche Krise," sagt Gysi. "Wir müssen über Kapitalismus und Sozialismus hinausdenken", sagt Marx.

Beide wollen sie das Klima retten, beide finden sie die schulkstreikende Greta Thunberg klasse. "Ich halte das Klima noch aus bis zum Tode", sagt der 71 Jahre alte Gysi, wer heute aber 13 sei, den treffe der Wandel unmittelbar. Da nickt der sechs Jahre jüngere Marx; überhaupt wird an diesem Abend viel genickt und verstanden.

Beckmann versucht nicht, seinen Gästen das aktuelle Zitat für die Morgennachrichten zu entlocken

Es ist Katholiken und Sozialisten seit der Zeit von Don Camillo und Peppone doch viel von der alten Selbstgewissheit abhandengekommen, das macht die beiden in all ihrer Eloquenz demütig. Bei Marx schimmert manchmal ein gewisser Demutsstolz durch, bei Gysi die gut geübte Selbstironie, wobei er gleich betont, dass Selbstironie ja auch eine besonders raffinierte Form der Eitelkeit sein könne, was man wiederum eine ganz besonders raffinierte Demutsübung nennen könnte. Es sind Gäste, die dem Moderator Beckmann liegen, der es nicht darauf anlegt, seinen Gästen das aktuelle Zitat für die Morgennachrichten zu entlocken.

Manchmal stichelt dann doch einer gegen den anderen, Marx gegen Gysi, als der erklären soll, warum und woran die DDR gescheitert ist, Gysi gegen Marx, als es um den Zölibat geht - wenn er Papst wäre, würde er ihn abschaffen und die Gleichberechtigung der Frauen einführen. Gleichberechtigung und gleiche Macht ja, antwortet Marx, und dass er sich gut eine Frau an der Spitze eines Dikasteriums im Vatikan vorstellen könne. Nur das mit der Weihe für Frauen gehe nicht so schnell. "Wir werden es nicht mehr erleben", sagt Gysi, aber ein Kind, das jetzt gezeugt wird, vielleicht schon".

Und selbst sein Kopfschütteln über die Merkwürdigkeiten der katholischen Kirche bleibt freundlich. Was Peppone dazu sagen würde?

Zur SZ-Startseite
FILE PHOTO: Austrian Vice Chancellor Heinz-Christian Strache addresses the media in Vienna

Kronen-Zeitung
:Straches Bester muss gehen

Alle Journalisten seien "Huren", aber der ihm gewogene Krone.at-Chef Richard Schmitt sei einer der besten Leute - so sagt es der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Ibiza-Video. Nun muss Schmitt seinen Posten räumen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: