Süddeutsche Zeitung

BBC-Direktor Entwistle und der Savile-Skandal:Die hässliche Seite der "Tante"

An mehr als 300 Mädchen und wohl auch Jungen soll sich der ehemalige BBC-Star Jimmy Savile vergangen haben - bei seinem Arbeitgeber will niemand davon etwas gemerkt haben. Auch der heutige Generaldirektor des Senders, George Entwistle, kümmerte sich nicht darum, als ein Film über die Vorwürfe kurzfristig abgesetzt wurde. Seine Begründung: Er habe kein "ungebührliches Interesse" zeigen wollen.

Christian Zaschke, London

Dass der neue Job schwierig werden würde, wusste George Entwistle. Doch als er vor fünf Wochen seinen Posten als Generaldirektor der weltberühmten britischen Rundfunkanstalt BBC antrat, dachte er noch, seine größte Herausforderung bestünde darin, bis zum Jahr 2017 insgesamt 670 Millionen Pfund (etwa 830 Millionen Euro) sparen zu müssen, ohne dass die Qualität des Senders leidet. Mittlerweile weiß er, dass er die BBC durch die wohl größte Krise ihrer 90-jährigen Geschichte führen muss. Seit Entwistle in dieser Woche vor dem Kultur- und Medienausschuss des Parlaments aufgetreten ist, mehren sich allerdings die Stimmen, die bezweifeln, dass er der richtige Mann für diese Aufgabe ist.

Entwistle hatte vor dem Ausschuss erscheinen müssen, um sich zu dem Skandal um den ehemaligen BBC-Moderator Jimmy Savile befragen zu lassen. Dieser hatte, wie seit wenigen Wochen bekannt ist, jahrzehntelang junge Mädchen und wohl auch Jungen sexuell belästigt. 2011 starb er im Alter von 84 Jahren. Seit die BBC-Konkurrenz ITV die Anschuldigungen Anfang Oktober veröffentlicht hat, gehen bei der Polizei mehr und mehr Hinweise ein. Mittlerweile schätzen die Behörden, dass es bis zu 300 Opfer Saviles gibt.

In der BBC hat angeblich während all der Jahre niemand etwas bemerkt. Entwistle sprach deshalb von einer "Kultur" in der BBC, die den Missbrauch möglich gemacht habe. Das ist eine ungeheuerliche Aussage, weil die BBC fester Bestandteil des öffentlichen Lebens im Königreich ist. Sie wird liebevoll "Auntie" genannt, Tante. Sie gehört zur Familie.

Entwistle gilt als BBC-Mann durch und durch. Als 27-Jähriger kam er 1989 zum Sender und durchlief die verschiedensten Stationen. Von 2001 bis 2004 war er Chef der renommierten Nachrichtensendung "Newsnight", wo er sich durch Bissigkeit hervortat. Dieser Biss scheint ihm nun jedoch abhandengekommen zu sein. Dass "Newsnight" bereits vor einem Jahr einen Beitrag über Saviles Verbrechen senden wollte, diesen Beitrag aber kurzfristig abgesetzt hatte - Entwistle kümmerte sich nicht darum, obwohl er damals als Chef von BBC Vision für sämtliche Fernsehkanäle zuständig war. Eine Redakteurin hatte ihn sogar darauf hingewiesen, dass "Newsnight" einen Film zu Savile vorbereitete.

"Mangel an Neugier"

Entwistle sagt jetzt, er habe kein "ungebührliches Interesse" zeigen wollen. Diese Haltung, ätzte ein Abgeordneter im Ausschuss, kennzeichne wohl seine Haltung zu allem, was in der BBC vor sich gehe. Ein anderer attestierte ihm "einen bemerkenswerten Mangel an Neugier".

Es ist gut möglich, dass Entwistles Job schon bald noch sehr viel schwieriger wird: Einige von Saviles Opfern haben angedeutet, dass es in den Siebziger- und Achtzigerjahren einen Ring von pädophilen Sextätern im Sender gegeben haben könnte. Das würde die BBC im Innersten erschüttern. Um die von Entwistle versprochene "lückenlose Aufklärung" kümmern sich nun zwei unabhängige Untersuchungskommissionen.

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SZ vom 26.10.2012/vks
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