"Baseballschlägerjahre" im Ersten:Die Faschos konnten ja jederzeit kommen

Baseballschlägerjahre

Amadeu António Kiowa, ein aus Angola stammender Vertragsarbeiter, 1990 von Nazis zu Tode geprügelt.

(Foto: rbb/rbb; rbb)

Straßen, Busse und Marktplätze als Räume der Angst: "Baseballschlägerjahre", die Serie zum Hashtag, erzählt die Geschichten der Opfer rechter Gewalt nach der Wende.

Von Francesca Polistina

Es waren die Jahre, in denen die DDR nicht mehr existierte und die BRD in Ostdeutschland noch nicht angekommen war, zumindest gefühlt. Jahre, die gerne als "Wende" bezeichnet werden - denn das klingt so hoffnungsvoll und vielversprechend. Der Zeit-Journalist Christian Bangel nennt sie anders: Baseballschlägerjahre.

Für ihn, der im Frankfurt an der Oder der Neunzigerjahre ein Jugendlicher war, war es eine Zeit der Gewalt und der ständigen Angst, von Nazis bedroht zu werden. Vor etwa einem Jahr startete Bangel den Hashtag #Baseballschlaegerjahre auf Twitter und rief dazu auf, Erinnerungen aus dieser Zeit zu teilen. Er traf damit einen Nerv: Hunderte Geschichten kamen an die Oberfläche, Geschichten von Hass, Rassismus und Bedrohungen gegenüber Migranten und alternativ aussehenden Menschen wie Punks. Geschichten von Bomberjacken und Nazitattoos. Von Schlägereien und tödlichen Angriffen.

Baseballschlägerjahre heißt die Doku-Reihe von RBB und Zeit online, die nun Archivaufnahmen mit Zeitzeugengesprächen kombiniert. Sie besteht aus sechs 15-minütigen Filmen von unterschiedlichen Regisseuren, die an verschiedenen Orten in Ostdeutschland spielen. In Magdeburg zum Beispiel, wo der 23-jährige Torsten Lamprecht und der 17-jährige Frank Böttcher, die der Punkszene angehörten, von Nazis angegriffen und getötet werden. Oder im brandenburgischen Eberswalde, wo Amadeu António Kiowa, ein aus Angola stammender Vertragsarbeiter, 1990 zu Tode geprügelt wurde. Oder in Rostock, wo Nguyen Dinh Khoi beleidigt und geschlagen wurde - und trotzdem blieb. Ein Akt von Mut und Widerstand.

Nun ist ein 15-minutiger Film nicht lang genug, um wirklich in die Geschichte der Protagonisten einzutauchen - auch, weil viele Zeitzeugen zu Wort kommen sollen. Entsprechend geht man mehr in die Breite als in die Tiefe. Was der Serie allerdings gelingt: Sie lässt ein Gefühl tiefer Beklemmung entstehen - vor allem dann, wenn die sechs Kurzfilme nicht als einzelne Episoden, sondern als Gesamtheit betrachtet werden. Wer das große Bild sieht, erahnt wenigstens, wie es gewesen sein dürfte, die öffentlichen Verkehrsmittel, den öffentlichen Raum allgemein als keine sicheren Orte mehr zu empfinden. Busse, Marktplätze, (Neben)Straßen als Raum steter Angst. Die "Faschos" konnten ja jederzeit kommen, wie Christian Bangel erzählt.

Baseballschlägerjahre

Christian Bangel, Schöpfer des Hashtags #Baseballschlaegerjahre.

(Foto: rbb)

Die Serie lässt auch nachfühlen, wie es war, sich allein und vergessen zu fühlen. Die Polizei und die Mehrheit der Bevölkerung hätten sich schließlich nicht für die Einschüchterungen und auch nicht die Gewalt interessiert, erzählt ein ehemaliger Punk. Die Perspektive der anderen Seite ist dem einstigen Neonazi Steven Hartung aus Thüringen überlassen, der aus der rechten Szene ausgestiegen ist und sich nun ein großes Hakenkreuz-Tattoo auf seinem Rücken entfernen lässt. "Durch die Gewaltausübung konnte ich mich stark fühlen", sagt er.

Der Fokus liegt dabei nicht nur auf der Vergangenheit. In der Reihe geht es auch um die Frage, wie es heute ist, zwanzig, teilweise dreißig Jahre später. Die Gewalt mag abgenommen haben, der Rassismus aber ist geblieben - und die Erinnerungen auch: Juliana Gombe, die 1996 als Geflüchtete aus Angola kam, war auf dem Heimweg mit ihren beiden Kindern, als sie in Magdeburg von Nazis verprügelt wurde. Ende der Neunziger war das. Danach lag sie drei Wochen lang im Krankenhaus. Sie habe geschrien, sie habe um Hilfe gerufen, doch keiner trat für sie ein. Heute, erzählt sie, sei sie dermaßen traumatisiert, dass sie sich noch immer nicht alleine aus dem Haus traue, wenn es dunkel ist. Und trotzdem bleibt sie.

Baseballschlägerjahre, sechs Episoden, ARD-Mediathek.

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