Bankrott:Ausgeplaudert

Als hätte jemand mitten im Gespräch den Hörer auf die Gabel geknallt: Nach fast 50 Jahren ist das von Andy Warhol gegründete US-Magazin "Interview" über Nacht Geschichte. Nicht einmal eine Abschiedsnummer wird es geben.

Von Peter Richter

Es ist jetzt ziemlich genau drei Jahre her, dass Glenn O'Brien im Gespräch mit der SZ noch einmal erzählte, wie das alles losgegangen war mit Andy Warhols Interview , dem legendären Magazin, das er zusammen mit Bob Colacello so lange geleitet und geprägt hatte. Schon damals hatte das Heft schließlich vor allem eine kulturhistorische Präsenz. Dass immer noch Monat für Monat eine neue Ausgabe produziert wurde, konnte man darüber schon mal ein wenig aus den Augen verlieren, denn man sah das Heft nur noch selten. Es gibt ja kaum noch Zeitungskioske in New York, und die Buchgeschäfte, in denen man auch Magazine kaufen kann, werden ebenfalls immer weniger.

Man hätte es vielleicht abonnieren sollen, um es regelmäßig mitzubekommen. Der amerikanische Magazinjournalismus ist schließlich nicht zuletzt auch deswegen oft so überragend, weil sich der New Yorker, der Atlantic Monthly, der Rolling Stone und so weiter noch immer auf die vielen günstigen Abonnements verlassen können, was ihnen weitgehend das etwas nuttige Geschäft erspart, sich jedes Mal aufs Neue mit ihren Titeln an den Newsstands anpreisen zu müssen, die es wie gesagt ohnehin immer seltener gibt. Nur brauchte es die natürlich, damit es auch eine Verheißung war, wenn Warhol von einem bestimmten Grad der Trunkenheit an fast jedem versprach, ihn aufs Titelbild von Interview zu hieven, sozusagen als publizistische Variante seines Versprechens von 15 Minuten Ruhm für jedermann.

Manchmal kam nach dem Vorgeplänkel höchstens noch ein wenig Mittel- und Nachgeplänkel

Auch dieses Wissen verdanken wir übrigens dem langjährigen Chefredakteur Glenn O'Brien, der es irgendwann, als er in den Rang des Warhol-Zeitzeugen gerutscht war, mal erzählt hatte. Im Gespräch mit der SZ nun berichtete O'Brien, dass er erst neun Monate nach der Gründung des Heftes 1969 dazugestoßen sei, dass in diesen neun Monaten aber bereits ungefähr neun Chefredakteure verschlissen worden waren, und zwar fast alles Leute aus der sogenannten Factory, also Warhols schillernder Entourage aus Leuten, die die Bohème und alle Arten von Psychedelika am Ende noch ein bisschen ernster nahmen als den Journalismus.

O'Brien und sein Freund Colacello gehörten nicht dazu, wollten aber gern, und die Leitung des Heftes führte immerhin schon mal in die Nähe. Die Redaktion saß im selben Haus wie die Factory damals. Also gingen sie, so oft es möglich war, runter, um irgendwie teilzuhaben an dieser hypnotisierenden Mischung aus Atelierbetrieb und Dauerparty. Und wenn sie wieder hochmussten in ihre Schreibkemenaten, dann versuchten sie dafür zumindest insofern eine Entsprechung zu finden, als sie Ernst machten mit dem, was der Titel versprach. Am Anfang schrieb es sich ja noch "Andy Warhol's InterVIEW", was noch sehr kunstmagazinmäßig eher auf die Interaktion verschiedener Sichtweisen hinzuweisen schien als auf das journalistische Gespräch im engeren Sinne. Aber die beiden jungen Chefs befanden, dass es konsequent wäre, dann auch nichts als Gespräche abzudrucken, und zwar andere als der Playboy, der ja bekanntlich auch für seine Interviews berühmt war. Nur waren das meist üppig redigierte Bearbeitungen von Gesprächen, die zum Teil in mehreren Teilen an verschiedenen Tagen stattgefunden hatten.

Bankrott: Meister des Beiläufigen: Magazingründer Andy Warhol (vorne) fragte gern nach Essgewohnheiten. Hier posiert er mit der Redaktion anlässlich des zehnjährigen Erscheinens von Interview 1979.

Meister des Beiläufigen: Magazingründer Andy Warhol (vorne) fragte gern nach Essgewohnheiten. Hier posiert er mit der Redaktion anlässlich des zehnjährigen Erscheinens von Interview 1979.

(Foto: Rex Features/action press)

Das Neue und wirklich Revolutionäre an den Interviews von Interview war, dass die Gespräche hier eins zu eins so ins Heft kamen, wie sie geführt worden waren. O'Brien führte das ganz medienhistorisch auf das Aufkommen der Kassettenrekorder zurück: Jeder konnte jetzt mit jedem günstig ganze Bänder vollquasseln, und in der Factory taten sie das auch. Warhols Unterlinge tippten alles ab, und Interview druckte es ungefiltert. Dass alles Vorgeplänkel mitpräsentiert wurde, war das Authentische an Interview.

Das Manieristische war, dass manchmal nach dem Vorgeplänkel gar nichts anderes mehr kam, höchstens noch ein wenig Mittelgeplänkel und Nachgeplänkel. Das ging direkt auf Andy Warhol zurück, der in den Gesprächen, die er selbst für das Heft führte, am liebsten nach ausgesucht Beiläufigem fragte, was seine Gegenüber zum Frühstück gehabt hatten oder zum Lunch. Der Reiz daran war, dass der Leser wie die sprichwörtliche Fliege an der Wand in privatestes Geplauder hineingeriet, und natürlich kann so etwas besonders interessant sein. Außer es ist halt nicht so besonders interessant, aber dann war halt auch das sehr Andy Warhol. Manchmal war es mit diesen Gesprächen nämlich schon auch so wie mit seinen Filmen von schlafenden, essenden oder Sex habenden Zeitgenossen, bei denen es ausdrücklich egal war, wann und wie lange man reinschaute.

Interview ist dem grundsätzlichen Prinzip auch nach Warhols Tod 1987 treu geblieben, und so hat man in fast fünfzig Jahren von sehr, sehr vielen Leuten sehr, sehr viel über ihr Frühstück, ihren Lunch und alles mögliche andere erfahren. Noch im Februarheft 2013 führten zum Beispiel Miranda July, die Schriftstellerin, und Lena Dunham, die Schöpferin der Serie Girls, in Interview ein Interview-Interview, als wäre es eine Demonstration historischer Aufführungspraxis. Wer sich für Dunham interessiert, lernte zweifellos viel. Allerdings auch viel über das Baby von Miranda July, die eigentlich das Interview führte, aber nebenher noch füttern musste. Am bemerkenswertesten waren aber die Bilder, denn darauf wurde die für ihr Äußeres und ihren Körperbau (und dessen Zurschaustellung in ihrer Serie) damals viel angefeindete Dunham allen Ernstes im Stil des superdünnen Sechzigerjahre-Models Twiggy inszeniert - und zwar bestürzend gut.

Es war schon auch die Optik, die viel ausgemacht hat von dem, was Interview zuletzt noch war, das Styling, die Modestrecken. Aber ausgerechnet der dafür Verantwortliche, Karl Templer, war Anfang des Jahres ausgeschieden, nachdem ihm Fehlverhalten vorgeworfen worden war, was er bestritt. Überhaupt hatten sich die unschönen Neuigkeiten zuletzt beunruhigend gehäuft. Mit der vom Tod Glenn O'Briens fing es voriges Jahr nur an. Im Februar musste die Redaktion wegen Mietstreitigkeiten ihr angestammtes Quartier in Soho plötzlich räumen. Der frühere Chefredakteur Fabien Baron und seine Frau, die Stylistin Ludivine Poiblanc, verklagten Anfang Mai den Besitzer Peter Brandt, weil der ihnen noch 600 000 Dollar schulde.

Und vorige Woche dann die finale Trauernachricht vom Bankrott. Das Ende des Geplauders war nicht ganz unabsehbar, aber es kommt doch ganz schön abrupt. Als hätte jemand mitten im Wort den Hörer auf die Gabel geknallt. Es wird nicht einmal eine Abschiedsnummer geben. Interview wird auch nicht ins Internet umziehen, was für ein einstiges Hochglanzjournal nur wenig würdevoller wäre, als von Regennässe zu Papiermatsch geklumpt in den Hundehütten auszuliegen, in denen sie in New York die Gratiszeitungen anbieten - ein Schicksal, von dem vergangenes Jahr die genauso legendäre New Yorker Zeitschrift Village Voice erlöst wurde.

Interview wird jetzt allenfalls im (unabhängigen) deutschen Ableger noch eine Weile weiterleben. Und in der Erinnerung an ein New York, das im echten New York bald ausgelöscht sein wird. Und natürlich in jedem Interview, das daran erinnert, dass Kommunikation zwischen Menschen in der Regel gleichzeitig viel mehr und weniger ist, als nur Sachfragen zu stellen und Antworten zu geben.

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