Süddeutsche Zeitung

"Bang Boom Bang":Hömma!

3500 Bochumer Kinobesucher feiern eine Ruhrpott-Komödie, die sie Dutzende Male gesehen haben, und Tele 5 zeigt sie ein Jahr in Dauerschleife. Was ist so super an "Bang Boom Bang"?

Von Oliver Klasen

Als ganz am Ende des vergangenen Jahrtausends Bang Boom Bang in die Kinos kam, haben die Kritiker den Film erst nicht ernst genommen. Sie erwarteten: Eine Ruhrpott-Klamotte, Prollos und Gauner, ein paar Hömma- und Samma-Sprüche, Witzchen über Bier, Currywurst und Maloche, höhöhö. In den Kinos lief der Film 1999 leidlich erfolgreich, Peter Thorwarth, der Regisseur, hat auf dem Filmfest in München einen Preis bekommen, aber eingeschlagen hat Bang Boom Bang erst, als er auf DVD erschien.

Von da an, und das geht bis heute so, kann man auf der Straße, im Büro oder auf Partys Menschen begegnen, die Textpassagen aus dem Stegreif rezitieren können. Die zum Beispiel den drei Minuten langen Monolog des Gangsters Kalle auswendig kennen, der im Gefängnis bei seinem Kumpel Ratte einen Wagen vorbestellt, "Mercedes 500 SEC, voll getankt", um damit "mit 240 über die Bahn zu ballern". Die, wenn sie gefragt werden, was sie am Wochenende vorhaben, nur: "Ich bin da wat am Planen dran" sagen, jene Ruhrpott-Verlaufsform, mit der der alkoholkranke Loser Schlucke im Film einen seiner Meinung nach lohnenden Einbruch ankündigt.

3500 Exemplare dieser Spezies Mensch, manche mit Vokuhila-Perücke, saßen am Freitag in einem Multiplex-Kino in Bochum. 14 Säle, seit Monaten ausverkauft. Leute, die sich einen Film angucken, den sie schon Dutzende, vielleicht hundert Mal gesehen haben. Die Vorstellung zum 20. Geburtstag war keine einmalige Sache, das Kino zeigt den Film in der 1045. Woche, ununterbrochen, immer Freitagabends. Und der TV-Sender Tele 5 lässt Bang Boom Bang von diesem Freitag an ein ganzes Jahr lang jede Woche im Nachtprogramm laufen. Wie kann ein Werk so lange im Gedächtnis bleiben? Warum hat Bang Boom Bang bei so vielen Menschen "Boom" gemacht?

Vielleicht ist es das Drehbuch, also das Ensemble, das Thorwarth erdacht hat. "Ein Sammelsurium von schrägen Typen und extremen Charakteren, die total drüber sind, aber etwas Authentisches haben. Es sind keine Comedy-Figuren "und das macht den Unterschied aus zu Komödien wie Ballermann 6", sagt der Regisseur. Thorwarth ist gerade auf dem Weg nach Bochum ins Kino, man erreicht ihn auf dem Handy, das Gespräch wird ein paarmal unterbrochen, weil er die herumtollenden Kinder bändigen muss.

Thorwarth hat zwar Teile des Films in seiner Heimatstadt Unna gedreht, aber auf Ruhrpott-Romantik verzichtet, nirgendwo sind Fördertürme von Kohlegruben zu sehen und eine Currywurst kommt auch nicht vor. Es gibt den schmierigen Spediteur Werner Kampmann, gespielt von Diether Krebs, der für eine Lieferung Laptops doppelt kassieren will, einmal von rumänischen Hehlern, die er "Tschuchen" nennt, und einmal von der Versicherung, die er bescheißen will. Es gibt Videothekenbesitzer Franky, der nebenbei Pornos dreht und sein neues Machwerk mit den Worten: "90 Minuten Hardcore, echte Gefühle" anpreist. Und es gibt Tankstellenbesitzer Willi, der ausrastet, weil er mitten in der Nacht einen Tresor aufschweißen soll, in dem der abgehackte Daumen des Kiffers Keek eingeschlossen ist, seinen Ärger aber sofort vergisst und Keek zwei Sätze später sagt: "Hömma, kannst ruhig Willi zu mir sagen".

Der Regisseur hat den Film direkt nach der Ausbildung gemacht. Er mag ihn noch immer, sagt er

Die Tresorszene ist noch immer Thorwarts Favorit. Er mag seinen Film immer noch, auch und gerade, weil er "an ein paar Stellen holprig geschnitten und nicht so stromlinienförmig ist", wie er im Rückblick sagt. Er war Thorwarths Erstlingswerk, direkt nach dem Abschluss an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen. Er habe davon profitiert, dass ihm der Verleih alle Freiheiten gelassen und niemand reingeredet habe. "Der Produzent, der Kameramann und ich, alle waren Greenhorns, das würde heute keine professionelle Produktion mehr zulassen", sagt Thorwarth. Er vermutet, dass Sätze, wie die von Spediteur Kampmann, der seine Auszubildende "Zuckermäusken" nennt, heute nicht mehr möglich wären, ohne dass es zumindest Diskussionen gäbe, ob die Karikatur eines sexistischen Chefs nicht selbst Sexismen reproduziert, weil sie das Thema ins Lächerliche zieht.

Vielleicht macht auch die Mischung der Schauspieler den Charme aus. Willi Thomcyzk und Ralf Richter hatten schon vorher Ruhrpott-Originale gespielt. Richter, den Thorwarth von einem Hochschulprojekt kannte, brachte Martin Semmelrogge mit. Alexandra Neldel, die Auszubildende, war aus Gute Zeiten, schlechte Zeiten bekannt. Sabine Kaack, die Älteren werden sich erinnern, hatte ihre größte Rolle in der Achtzigerjahre-ZDF-Familiensaga Diese Drombuschs. Und dann war da, klar, die Sache mit Diether Krebs.

Krebs hatte das Drehbuch gelesen und erst abgelehnt, die Gesundheit. "Herr Krebs, ich hab die Rolle für Sie geschrieben, ich verschiebe die Dreharbeiten", sagte Thorwarth da. Krebs ging in sich und da der Film größtenteils in Unna spielte und es in der Nähe eine Klinik gab, in der er sich behandeln lassen konnte, sagte er dann doch zu. Am Set sank er nach jeder Szene in sich zusammen, musste seine Kräfte sammeln, aber einige Wochen nach der Premiere lud er Thorwarth und den Produzenten in München zum Essen ein und bedankte sich, dass er noch mal so zu sehen war auf der Leinwand. Zwei Wochen später war Diether Krebs tot.

Der Unterschied zur Comedy, das perfekt Unperfekte und die Dramen am Rande, all das macht Bang Boom Bang zu einem großen Film. Aber der Grund, warum man ihn wieder und wieder ansehen kann, ist ein Prinzip, das sich Thorwarth bei Quentin Tarantinos Pulp Fiction abgeschaut hat: Dass die Dialoge am Ende wichtiger sind als der Plot. Und dass jeder, selbst beim x-ten Ansehen noch kleine neue Dinge entdecken kann, etwa, dass beim Date, das der Fußballer Andi und die Auszubildende in einem Eiscafé haben, der Song Felicità von Al Bano und Romina Power im Hintergrund läuft, jene klebrige Italo-Pop-Schnulze, die eigentlich mehr nach Rimini als nach Ruhrpott klingt.

Wer nachweisen kann, dass er ein Jahr lang jede Woche Freitagnachts vor dem Fernseher saß und Bang Boom Bang guckte, der soll laut Tele 5 einen Preis gewinnen. Zieht bestimmt einer durch, 52 Mal.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2019/luch
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