Süddeutsche Zeitung

"Babylon Berlin":Weit entfernt vom deutschen Fernsehen, wie man es kennt

  • Ein Mord an einer Filmdiva, ein Börsencrash und einige neue Gesichter: Die Erfolgsserie Babylon Berlin geht in die dritte Runde.
  • Die Fortsetzung setzt weniger auf Überwältigungskino als die letzten Staffeln, ist aber immer noch ausgezeichnet.

Von Claudia Tieschky

Die deutsche Superserie, die im Berlin der Zwanzigerjahre spielt, geht nach zwei Jahren Pause in die Fortsetzung. Zeit also für den halb reißerisch, halb altmodisch eingesprochenen Satz, mit dem jede Folge beginnt: "Bisher bei Babylon Berlin ..."

Nun, bisher bei Babylon Berlin war zu sehen, wie der aus Köln nach Berlin versetzte Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch) seinen ersten Fall löst, der mit russischem Gold und russischer Revolution zu tun hat, mit der Berliner Unterwelt und der Wiederaufrüstung der Reichswehr. Es war zu sehen, wie sich ein Fräulein namens Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) 1929 aus der Welt der hungrigen Hinterhöfe bei der Polizei nützlich macht und aufhört, ein leichtes Mädchen zu sein.

Es gibt Okkultisten und bizarre expressionistische Film-im-Film-Szenen

Vor allem aber waren für das Eintritts-billett von 40 Millionen, die Sky, die ARD, X-Filme, Beta Film und Filmförderer hinlegten, zu sehen: ekstatische Tanzchoreografien zum Mithüpfen, ein Auftritt von Bryan Ferry, professioneller Sex, eine Verfolgungsjagd auf einem fahrenden Zug, ein Unterwasser-Showdown im versunkenen Auto, eine Bombenexplosion - um nur ein paar der Attraktionen aufzuzählen, die dazu führten, dass man sich, leicht verwirrt vielleicht, schließlich gegen die Macht dieses rasenden Überwältigungskinos nicht mehr wehren konnte und wollte.

Die neue, dritte Staffel wirkt im Vergleich dazu anfangs wie ein nasser Werktagsmorgen. Aufräumen müsste man dringend auch an der Berliner Börse, wo sinnlos gewordene Papiere von den Galerien segeln und Menschen kollabieren - aber das, was eine der ersten Szenen da zeigt, ist ein Vorgriff, so weit ist es noch gar nicht. Erst sortiert sich Babylon Berlin neu.

Muss es auch, denn verschwenderisch viele Figuren, die der Sache Schmelz verliehen, haben die ersten beiden Staffeln nach dem Roman "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher nicht überlebt. Zu ihnen gehören der miese Bruno Wolter (Peter Kurth) und der Verfassungspatriot und Regierungsrat August Benda (Matthias Brandt). Man muss sagen, dass es während der Zeit, in der die ersten Staffeln produziert wurden, auch zum guten Ton in Serien gehörte, Hauptfiguren zu metzeln. Für Bendas Tod ist das Dienstmädchen Greta (Leonie Benesch) verantwortlich, aufgehetzt von einem Liebhaber, der sich als Kommunist ausgab. In Wahrheit gehört er zu den Nazis. Gretas Schicksal wird nun ein Hauptstrang der neuen Erzählung.

In gewisser Hinsicht wirken die neuen Folgen nach Kutschers zweitem Roman "Der stumme Tod" - normaler. Man kann der Handlung leichter folgen. Ja, es gibt Okkultisten und bizarre expressionistische Film-im-Film-Szenen. Aber sogar der finstere "Armenier" (Mišel Matičević), König der Unterwelt, ist zahmer geworden und Teil einer schönen, unkonventionellen Liebeskonstellation, in der Meret Becker das Sagen hat. Es gibt die gleiche luxuriöse Opulenz der Nebenfiguren. Aber hier wird diesmal auch einfach ein Krimi erzählt, ein Täter gejagt, das Finale ist nervenzerfetzend, die Ermittler schuften und feiern zusammen, und nebenher arbeiten die Nazis an ihrem Aufstieg zur Macht. Daran sind die bürgerlich-konservativen Feinde der Weimarer Demokratie als Strippenzieher nicht unbeteiligt. Man kennt diese Gestalten schon, Generalmajor Seegers (Ernst Stötzner) und den Regierungsrat Wendt (Benno Fürmann).

Die beiden Hauptfiguren lernt das Publikum nun ein wenig besser kennen

Interessante Frage aber, wo der wahre Krimi liegt. In dem spektakulären Mord an einer Filmdiva, bei dem ein als schwarzes Phantom Maskierter (der ein bisschen einem flinkeren Darth Vader gleicht) der Hauptverdächtige ist. Oder in dem immer offeneren, immer brutaler ausgeübten Druck auf Demokraten und Presse von Schlägertrupps und in den Listen der politischen Polizei. Die Spaltung in diejenigen, die ein paar Jahre später Täter sein werden, und diejenigen, die sie zu Opfern machen wollen, hat schon begonnen.

Die Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts mit den Zwanzigerjahren der Gegenwart zu vergleichen, das ist im Moment chic, aber meistens auch ein bisschen blöd. Die Showrunner Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries legen Parallelen an. Die Börsenblase gehört auch dazu, oder der Traum von einer neuen "Mensch-Maschine". Aber sie erzählen nie so davon, als ob sie die heutige Gegenwart zum eigentlichen Maßstab nehmen würden. Die Vergangenheit darf sie selbst bleiben. Nur ist die Berliner Polizei ja auch im Jahr 1929 auch nicht von gestern und kann deshalb schon eine richtige Abhöraktion starten. Es sieht nur wirklich ganz, ganz anders aus als heute.

Fällt das neue, ernsthaftere Babylon ab gegen das alte? Keineswegs. Wenn man beispielsweise in die missliche Lage gerät, einem ruckelnden Videostream ausgeliefert zu sein, macht man eine erstaunliche Entdeckung. Egal wo die Übertragung auch stockt, immer steht da ein absolut perfektes Bild. Jede Einstellung ist komponiert wie ein Tableau, jedes Detail durchdacht, jeder einzelne Ausdruck der Schauspieler sicher und exakt. Babylon Berlin, das ist komplex und leicht, das sind Menschen, die sich lebendig durch Gemälde bewegen, das ist etwas, das es eigentlich nicht gibt. Alles unfassbar weit entfernt vom deutschen Fernsehen, wie man es kennt.

Charlotte Ritter und Gereon Rath sind in den ersten beiden Staffeln womöglich etwas kurz gekommen vor lauter Sensationen. Nun lernt man sie besser kennen. Und sie sich auch. Rath ist diesmal nicht so sehr der Kriegstraumatisierte, sondern einfach ein hartnäckiger Polizist und ein Vater, der von seinem Sohn "Senior" genannt wird.

Charlotte aber ist und bleibt das unerschrockene Wundermädchen, das sich jetzt als Kriminalassistentin in der Männerwelt der Polizei behauptet und nun selber Anordnungen gibt. Wenn Charlotte dann "gut" sagt, knapp dazu nickt und eine Spur grinst, klingt immer eine herrliche Verwunderung durch, dass es geklappt hat.

Babylon Berlin, bei Sky Go*

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Quelle:
SZ vom 24.01.2020
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