"Babylon Berlin":So überwältigend und doch so steril

Lesezeit: 4 Min.

Stenotypistin auf Abwegen: Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) schlägt sich im Berlin der Zwanzigerjahre die Nächte um die Ohren. (Foto: Sky)

"Babylon Berlin" ist die teuerste und schönste Serie der deutschen Fernsehgeschichte. Eines ist sie aber nicht: berührend.

Von David Denk

Zu den Eigenheiten einer Metropole wie Berlin gehört, dass frisch Zugezogene ständig auf Menschen treffen, die den ersten Überschwang mit der unaufgeforderten Bemerkung bremsen, dass man ein bisschen spät dran sei: Die 90er! Die 80er! Die 70er! - Ja, das waren noch Zeiten! Die Zeiten, als sie selbst nach Berlin kamen und sich derlei auch schon anhören mussten. Es ist der ewige Distinktionskreislauf unter Großstadtbewohnern.

Nun wurde die nächste Stufe in der Beschwörung und Verklärung vergangener Zeiten gezündet: Streng genommen sind nämlich alle zu spät dran, die Studentenbewegten, die Bundeswehrflüchtlinge, die Raver, die Hipster. Jahrzehnte zu spät. Mit Babylon Berlin, angesiedelt in den goldenen Zwanzigerjahren, bekommt nun die unverwüstlichste aller Sehnsuchtszeiten eine eigene Serie.

Man kann nicht über Babylon Berlin schreiben, ohne die ins Unermessliche gestiegenen Erwartungen an diese bislang einmalige Koproduktion von ARD Degeto und dem Bezahlsender Sky zu erwähnen: Der Hollywooderfahrene Tom Tykwer ist mit an Bord sowie das Who's who deutscher Schauspieler, fast 1000 Menschen waren an dem 40-Millionen-Euro-Projekt beteiligt. Mit vereinten Kräften soll Babylon Berlin als ultimativer Beweis dienen, dass in Deutschland Qualitätsserien von internationalem Format entstehen können - Serien, die auch Amerikaner mögen. Und Amerikaner lieben Berlin. Kann also nichts mehr schiefgehen, oder?

Das Moka Efti ist das Berghain von Tom Tykwers Serien-Berlin

Basierend auf dem Krimibestseller "Der nasse Fisch" von Volker Kutscher erzählt Babylon Berlin die Geschichte um Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch): Auch er ist neu in Berlin - allerdings nicht wie so viele um ihn herum zum Vergnügen, sondern um einen von der Berliner Mafia geführten Pornoring auszuheben. Sein eigener Vater (Hanns Zischler), Vertrauter des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, bittet ihn, ein heimlich aufgenommenes, kompromittierendes Sexfilmchen zu finden und zu vernichten.

"Das Berliner Pflaster ist rauer als sonst irgendwo im Reich", warnt ihn seine heimliche Liebe Helga (Hannah Herzsprung), die Frau seines verschollenen Bruders. Sie ahnt nicht, in welche Gefahr sich Rath, unterstützt von seinem Partner Bruno Wolter (Peter Kurth) und der Stenotypistin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) begibt, indem er sich mit dem Unterweltboss anlegt, den alle nur "Der Armenier" nennen (Mišel Matičević). Der betreibt unter anderem das Tanzlokal "Moka Efti" und damit das Epizentrum der feierwütigen Hauptstadtszene, in dessen Keller Wolter die Hand aufhält und Ritter gelegentlich die Beine breitmacht, um ihre darbende Großfamilie durchzubringen. Und dann sind da auch noch die Russen und ein Güterzug mit so gefährlicher wie begehrter Fracht.

Sky hatte die 16 Episoden von Staffel eins und zwei im Oktober vergangenen Jahres in Doppelfolgen ausgestrahlt. Abonnenten konnten damals schon am ersten Abend einen der Höhepunkte erleben: das Finale des Pilotfilms. Es beginnt mit dem Auftritt der Sängerin Nikoros (Severija Janušauskaitė), einer androgynen Erscheinung, die ein hypnotisches Neo-Chanson vorträgt, "Zu Asche, zu Staub", irgendwo zwischen Marianne Rosenberg, Kraftwerk und Rammstein, und den Saal in rauschhafte Verzückung versetzt. Das Moka Efti als "Berghain" von Babylon Berlin. In dieser Massenchoreografie zeigt sich die Serie in ihrer ganzen, im deutschen Fernsehen tatsächlich bislang unerreichten Opulenz und Eleganz.

Die Folge endet dann mit einer meisterhaften Parallelmontage, die drei Schauplätze miteinander verwebt: Zu unheilvoll dräuender Musik der Tanzkapelle beobachtet der Russe Kardakov (Ivan Shvedoff) vom Hinterhof-Plumpsklo aus, wie bewaffnete Männer die geheime Trotzkisten-Druckerei stürmen, Nikoros sitzt vor ihrem Garderobenspiegel, inmitten des Trubels im Moka Efti wird Charlotte Ritter sich mit einem Freier handelseinig, gemeinsam verschwinden sie im Keller.

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Die bewaffneten Männer eröffnen das Feuer, die Musik schlägt um ins Ekstatische, Trotzkisten sterben, Nikoros nimmt ihr Bärtchen ab, Charlotte Ritter legt sich ein Halsband um und dann ihrem Freier, im Moka Efti steppt mehr denn je der Bär. Ein letzter Schuss in der Druckerei, Charlotte Ritter bläst im Keller die Kerze aus, die Musik erstirbt, die tanzende Menge friert in der Bewegung ein. Überwältigend schön.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit über Babylon Berlin. Denn so bildgewaltig die Serie ist, so schwer fällt es ihr, die Zuschauer wirklich zu berühren. "Willkommen in der Stadt der Sünde", steht auf den Plakaten, doch die Serie hat bei all ihrem Stilwillen etwas Abweisendes. Die Zeit, von der sie erzählt, mag sinnenfreudig gewesen sein, die Serie ist es nicht. Die Welt von Babylon Berlin liegt hinter Glas.

"Babylon Berlin" löst keinen Sog aus

Das ist mit Sicherheit kein Unfall, sondern entspricht der Handschrift der Macher Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries, die gemeinsam die Bücher geschrieben und verfilmt haben. Doch für eine Serie ist dieses Reservierte eine Hypothek: Es wimmelt von großartigen Schauspielern mit überzeugenden Auftritten (außer den bereits genannten Matthias Brandt, Lars Eidinger, Karl Markovics, Jeanette Hain, Jens Harzer, Christian Friedel, und das sind wirklich nur einige), und trotzdem mangelt es rätselhafterweise an Identifikationsfiguren, für deren Schicksal man echte Empathie entwickeln würde. So gern man den Schauspielern zusieht - Babylon Berlin löst keinen Sog aus. Und das ist ein Problem, denn worauf sonst kommt es bei einer Serie an, als dass man als Zuschauer angefixt wird, süchtig, wie Kommissar Rath nach seinen Ampullen?

Das ist das große Paradoxon von Babylon Berlin: Die Serie spielt in einer Zeit, der wir uns auch knapp hundert Jahre später nah fühlen, vermag es aber nicht, diese Offenheit und Neugier in echte Begeisterung für ihre Geschichte zu verwandeln.

Im vergangenen Herbst startete noch eine andere große deutsche Serie, Das Verschwinden von Hans-Christian Schmid, ein Familien- und Drogendrama in der provinziellen Enge des Bayerischen Walds. Es spielt in einer Region, an die man keine Fragen zu haben glaubt - bis einen die Geschichte packt und nicht wieder loslässt. Das ist die Macht des seriellen Erzählens, und diese Macht ist nicht mit Babylon Berlin.

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:Süchtig nach mehr

Serien sind das neue Kino. Warum bestehen deutsche Sender darauf, weiter nur biedere Polizeikrimis zu zeigen? Über das System der Langeweile und die Frage, ob mit der neuen Serie "Babylon Berlin" endlich alles anders wird.

Von Karoline Meta Beisel und Katharina Riehl, Fotos: Joachim Gern

Anm. d. Red.: Dieser Text wurde anlässlich der Premiere von Babylon Berlin auf Sky im Oktober 2017 erstmals veröffentlicht. Anlässlich der Ausstrahlung der Serie im Ersten haben wir ihn erneut publiziert.

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© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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