Nachruf:Spottlust und Vaterlandsliebe

Nachruf: "Freie Medien sind der türkischen Regierung ein Dorn im Auge": Der Journalist Aydın Engin.

"Freie Medien sind der türkischen Regierung ein Dorn im Auge": Der Journalist Aydın Engin.

(Foto: privat)

Zum Tod des türkischen Journalisten und Theaterautors Aydın Engin.

Von Christiane Schlötzer

Er ist wie Joschka Fischer, der spätere Außenminister, in Frankfurt in den Achtzigerjahren Taxi gefahren, und auch wenn Aydın Engin nie Diplomat wurde, so er war doch eine Art informeller Botschafter. Der türkische Journalist und Theaterautor war ein unermüdlicher Erklärer und Vermittler. Er versuchte über Jahrzehnte hinweg, allen, die ihn in Istanbul aufsuchten, sein schwieriges Vaterland verständlich zu machen, das er selbst oft nicht verstand. Schließlich hatte es ihn wegen seiner journalistischen Arbeit mehrmals ins Gefängnis gesteckt und ins Exil getrieben, und doch blieb er ihm mit unerschütterlicher Zuneigung treu.

Als "Cumhuriyet" als Oppositionsstimme verstummte, schrieb er lieber Kolumnen für ein Internetportal

Fast zwölf Jahre verbrachte Engin in Deutschland, nachdem er 1980 eher durch ein Versehen aus der Haft entlassen worden war und flüchten konnte. Erst nach einer Amnestie wagte er sich nach Istanbul zurück. Engin hat Filmdrehbücher für den legendären Regisseur Yılmaz Güney verfasst, der auch viele Jahre in Gefängnissen verbrachte. Er schrieb fürs Theater Komödien über das Verhältnis von Deutschen und Türken, und in 53 Jahren als Journalist war er Gründer politischer Magazine, Autor und Chefredakteur der Cumhuriyet, der ältesten Zeitung der Türkei. Als diese Oppositionsstimme 2018 auf eine nationalistische Linie einschwenkte, verließ er das Blatt und schrieb fortan Kolumnen für das Internetportal T24, hellsichtig und mit Spottlust. Bei T24 sammelt sich schon länger die regierungskritische journalistische Prominenz, die von großen Zeitungen ausgestoßen wurde. "Freie Medien sind der türkischen Regierung ein Dorn im Auge", sagte Engin 2021 in einem SZ-Interview.

Nach dem Putschversuch von 2016 wurde er, damals noch bei Cumhuriyet, wieder einmal festgenommen und zusammen mit mehreren Mitarbeitern der Zeitung, darunter Ex-Chefredakteur Can Dündar - der inzwischen in Deutschland lebt ­- angeklagt, nun wegen "Terrorpropaganda", wie so viele. Wegen seines hohen Alters - Engin wurde im Februar 1941 in der Nähe von Izmir geboren - blieb er nur kurz in Haft, wurde aber unter Polizeikontrolle gestellt. Er durfte die Türkei bis zuletzt nicht verlassen. Am 8. März ging Engin zu einer Routine-OP ins Krankenhaus, es gab Komplikationen. Sein Sohn Ekim teilte nun mit, sein Vater sei mit 81 Jahren gestorben. Engin war seit den Siebzigerjahren mit der Schriftstellerin Oya Baydar verheiratet. Am Freitag wurde er auf dem Friedhof des Istanbuler Künstlerviertels Çengelköy beigesetzt.

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