Axel Springer zum 100.:Ein Mann wie ein Musical

Er war das Schreckensbild der liberalen Dichter und Denker und akzeptierte Grenzen ebensowenig wie das Wort "Realität": Am 2. Mai würde Axel Springer 100 Jahre alt. Sich selbst betitelte der Verleger der "Bild" einst ironisch als "Radikalinski der Mitte". Heute wird er als Popstar inszeniert. Das hat Kalkül.

Hans-Jürgen Jakobs

Die Welt liebt Geschichten über Wandlungen. Wie einer also vom Saulus zum Paulus wird, vom Tunichtgut zum Tugendwächter. In der Geschichte des 67 Jahre alten Landes gehört die Vita des Axel Cäsar Springer zu den besseren Wandel-Geschichten, und wahrscheinlich deshalb wird seit dem Tod des Verlegers im Jahr 1985 mit wachsender Produktivität an seiner Skulptur gemeißelt. Springer, das bedeutet: vom Bohemien zum politischen Haudrauf, vom Schöngeist zum Missionar, vom Versöhner zum Spalter, vom Lebemann - der sich im Krieg nur von Frauen verfolgt sah - zum stramm konservativen Feldherrn der Publizistik, der "Linke" verfolgte in jenen Kampftagen der 66er oder 68er Zeit.

Axel Springer und Friede Springer

Axel Cäsar Springer mit seiner fünften Frau Friede. Der Verleger würde am 2. Mai 100 Jahre alt. Er starb 1985.

(Foto: Werner Baum/dpa)

Die Springer-Story hat es bereits vor einigen Jahren in Gestalt des TV-Zweiteilers Der Verleger mit Heiner Lauterbach ins herzensbildende Unterhaltungsfach geschafft. Das geschah drei Jahrzehnte nachdem das DDR-Fernsehen in einem Propaganda-Fünfteiler zwischen 1967 und 1970 den Verleger geschmäht hatte: Ich, Axel Cäsar Springer, mit Horst Drinda in der Hauptrolle und der Stasi als Stichwortgeber.

In diesen Tagen, kurz vor dem 100. Geburtstag des deutschen Presse-Cäsaren am 2. Mai, sind all die schönen und schlimmen Episoden Teil einer Art Reality-Verlegersoap, die am Ende das preisen, was aus seiner Arbeit geworden ist: ein Verlag in Berlin, der so heißt wie er, der ganz "Axel" sein will, nicht "Cäsar", und das vom Initial bis zum Semikolon.

A.S. gibt es als Schattenriss über dem Impressum von Bild, seiner wichtigsten und folgenreichsten Erfindung, die auch bald feiert, den Sechzigsten. A.S. gibt es als Sondermarke der Deutschen Post, so wie es eine zu 500 Jahre Sixtinische Madonna oder 200 Jahre Grimms Märchen gibt. A.S. existiert fort auf der Website "Meilensteine" des nun von seiner Frau Friede gesteuerten Verlags, und dort wird alles Mögliche verraten, zum Beispiel: "Swing war seine erste Liebe."

A.S. dient Bild als Pop-Star einer täglichen Fotoseite beim Countdown vor dem Ehrentag. Und A.S. lebt weiter im Wirken des amtierenden Springer-Vorstandschefs Mathias Döpfner, der schon früh in einem Buch - überraschend differenziert - neue Blicke auf den alten Verleger werfen ließ, der ihn als "Nachkriegs-Glücksritter" sah, der sich zum "politischen Verantwortungsethiker" entwickelte und wie eine Kraft erschien, "die stets das Gute will, und manchmal doch das Böse schafft". Die Zuspitzungen während der Studenten-Revolte hätten dem Haus geschadet.

Ein Mann als Corporate Idendity

Ein geplantes neues "Springer-Tribunal" aber, das vielleicht ein Tribunal über selbstgerechte Altlinke hätte werden können oder über Niemals-Kluge aus dem eigenen Haus, entstand danach nicht. Jener Döpfner dozierte vor einigen Wochen - nun deutlich weniger differenziert - in seiner Neujahrsansprache: "Axel Springer wollte die Wiedervereinigung. Auftrag erfüllt. Springer wollte Berlin als deutsche Hauptstadt. Heute ist Berlin Hauptstadt. Und Springer wollte den Sowjetkommunismus loswerden. Heute ist der Kalte Krieg vorbei. Und vom Kommunismus sind nur noch ein paar Endmoränen in Kuba und Nordkorea übrig. Was für eine Erfolgsbilanz."

Es soll die Bilanz eines Verkannten sein, der als Messias zurückkehrt. Eines "Freiheitskämpfers", der als "Plattmacher" (Michael Jürgs) galt. Mal abgesehen davon, dass beispielsweise auch die kommunistischen Endmoränen Vietnam und China noch übrig sind, verhält es sich derzeit doch wohl eher so, dass jedes Erinnern an Axel Springer eine PR-Injektion für Axel Springer (den Verlag) ist - und dass solche Geschichtsschreibung den Clangeist bezahlter Angestellter fördert, die sich schon immer als "Springer-Familie" begriffen haben. Ein Mann, eine Corporate Identity.

Von Freund und Feind überschätzt

Kein deutscher Verlagsgründer der Nachkriegszeit hat solche Fernwirkung: Wer redet schon über Geburt, Leben und Sterben von Richard Gruner und John Jahr, die immerhin einem Großverlag ihren Namen gaben? Wo bleiben Gerd Bucerius (Zeit) und Henri Nannen (Stern), die großen Hamburger Kumpane und Widersacher von einst?

Einzig Rudolf Augstein hat Springer-ähnliche Strahlkraft in der deutschen Gesellschaft - im Herbst wird 50 Jahren Spiegel-Affäre gedacht -, doch dessen Haus heißt eben nicht Rudolf Augstein. Er wird auch vermutlich nie per Schattenriss über die Seinen kommen. Nein, nach dem Tod hat Springer, dank seiner Epigonen, alle anderen Koryphäen der Pressewelt irgendwie noch überrundet. Und das, obwohl zu Lebzeiten die Rivalen mehr Achtung genossen. Vielleicht liegt es ja auch am guten Archiv des Verlags, der schon immer ein wenig dem Personenkult verfallen war.

Aus dem Schreckensbild für liberale Dichter und Denker, die für Springers Objekte Hamburger Abendblatt, Bild und Welt samt angeschlossener Sonntagsausgaben partout nicht mehr schreiben wollten, ist eine fast musicalhafte Erscheinung geworden. Verlags-Folklore. Einer, den man lieben kann und nicht hassen muss.

Verlagshochhaus an Zonengrenze

Von daher stimmt das mit dem ewigen "Feindbild" nicht, das der Autor Tilman Jens in seinem aktuellen Buch Axel Cäsar Springer aufdröselt. Es brechen eben keine alten "Glaubenskriege" mehr auf, wenn es um Springer geht, höchstens neue Diskussionen über journalistisches Handwerk. Springer polarisiert nicht mehr. Und Die verlorene Ehre der Katharina Blum, jenes Anti-Boulevardreporter-Buch des langjährigen Springer-Kontrahenten Heinrich Böll, ist heute wie selbstverständlich Teil der "Bild-Nobelpreis-Bibliothek". Soviel Marketing muss sein.

Das Tilman-Jens-Buch ist der vorerst letzte Versuch in einer Reihe von Versuchen, den Widersprüchlichen zu erklären, den Verlegersohn, der beizeiten verkündet hat: "Altona ist meine Vaterstadt, Hamburg eine schöne Frau, die man erobern muss, und Berlin ein Mädchen mit Sommersprossen, die hat man gern." Es ist eher so, wie Autor Jens auch ausführt, dass der "Heldendarsteller" und "Buhmann" in seinem Einfluss gleichermaßen von Freund und Feind überschätzt wurde und wird, "als volksverhetzender Schreibtischtäter" ebenso wie als "Heilsbringer fürs Vaterland". Ergo: "Alles eine Nummer zu groß!"

Aber die Menschheit liebt es beim Betrachten der großen Bühnen nun einmal lieber groß als klein. Und so hat sich die Republik gebildet, gegruselt, ergötzt an der vergeblichen Reise zu den Kremlführern in Moskau 1958 - sie sollte die deutsche Einheit bringen - oder an den vielen Ehen und Liebschaften, an der Freundschaft mit Max Schmeling, den "Mekki"-Eskapaden der Hörzu, am Bau des Berliner Verlagshochhauses direkt an der Zonengrenze, an der Enteignet-Springer!-Aktion, am kartellrechtlich gebotenen Verkauf eines Zeitschriftenverlags (Kindler & Schiermeyer), an den Plänen für ein Privatfernseh-Imperium und der systematischen Bespitzelung des ZDF, an der ewigen Suche nach einem Nachfolger, dem Selbstmord des Sohns oder an den Attacken auf Willy Brandt oder Helmut Schmidt mit ihrer Ostpolitik.

"Ich bin ein Poet und Träumer"

Hier machte einer oft und gerne Kampagne und haderte doch mit dem eigenen Image, wie er Ben Witter beichtete, jenem Zeit-Reporter, dem viele Jahre lang Spaziergänge mit Prominenten der Wahrheitsfindung dienten. Er leide "wie ein Hund" unter Bild, bekannte Springer über seinen großen Geldbringer mit den schlagenden Zeilen. Er verstehe Rudi Dutschke, den Studentenführer und das Hass-Objekt von Bild. Und offenbarte: "Ich bin ein Poet und Träumer."

Das war der weiche Zeitungsmann, der im Hamburger Abendblatt "Seid nett zueinander" als Parole ausgegeben und weiße Hochzeitskutschen für junge Ja-Sager spendiert hatte, der skandinavische und britische Zeitungen fachmännisch begutachtete und so inspiriert Bild zuhause in der großen Villa zusammenklebte, und der es irgendwann nicht nur mit Astrologie hielt, sondern mit richtigen Heiligen, mit Franz von Assisi und Nikolaus von der Flüe - weshalb sein Biograph Hans-Peter Schwarz anmerkt, Springer sei ja wohl ein "seltsamer Heiliger" gewesen. Ein Faszinosum.

Der Griff zu den Sternen hat den Verleger nicht von seinen irdischen Botschaften abgehalten, der Einigung Deutschlands, der Abwehr der Roten, der Verteidigung Israels. Hier duldete er keine Schwächen. Die Welt der Politik war in seinen Augen, in den Augen eines "Radikalinski der Mitte", wie sich Springer selbst ironisch betitelte, voller grandioser Schwächlinge und Opportunisten. "Der schwergewichtige Herr Kohl ist kein Staatsmann und vor allem hat er nicht die Gabe, mit Erfolg zuzuhören", ärgerte er sich wegen einer Israel-Reise.

Seine Zukunft war die Prophetie

Und Franz Josef Strauß, der alte Kampfesfreund? Der war auch von der Fahne gegangen, nachdem er einen Milliardenkredit mit der verhassten DDR eingefädelt hatte, die Springer doch stets in Gänsefüßchen schreiben ließ. Strauß warnte Springer noch vor Leo Kirch ("ein Haifisch"), dem engen Kohl-Freund, der nach Springers Tod im dann börsennotierten Verlag für einige Jahre viel Einfluss bekommen sollte.

Hier waren keine Poeten und Träumer mehr am Werk, sondern Leute, die den Deal und das Kalkül liebten. In solchen Kategorien dachte Axel Cäsar Springer nicht. Seine Zukunft war die der Prophetie, und da ist bekanntlich alles möglich. Grenzen akzeptierte er ebenso wenig wie das Wort "Realität".

Der gefeierte Verleger hat sich in einer guten Welt (mit Gott) gesehen und in einer bösen (mit Teufel). Ein Mensch in dieser Lage sei teils gerecht, teils sündig, schrieb er einem Chefredakteur einmal. Zum Geburtstag entscheidet man sich gerne für einen, den besseren Teil.

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