Süddeutsche Zeitung

Autosendung der BBC:"Top Gear": Es quietscht und qualmt wie eh und je

Die Kult-Autosendung startet in die Ära nach Jeremy Clarkson. Die neuen Moderatoren agieren holprig - sind aber sehr um Völkerverständigung bemüht.

TV-Kritik von Thomas Harloff

Wie groß "Top Gear" wirklich ist, zeigte sich in den fast 40 Jahren, in denen das britische TV-Format schon existiert, nie in so extremer Form wie in den vergangenen 14 Monaten. Seit dem Rausschmiss des streitbaren Ex-Moderators Jeremy Clarkson im März vergangenen Jahres - und der kurz darauf verkündeten freiwilligen Abdankung der Co-Moderatoren Richard Hammond und James May - schaffte es die Show, sich kontinuierlich in der Berichterstattung zu halten. Das ist verwunderlich, schließlich war das Format in diesem Zeitraum überhaupt nicht auf Sendung. Doch die britische Presse griff gierig jede Meldung, jede Halbwahrheit, jedes Gerücht über "Top Gear" auf.

Wer all das las und womöglich glaubte, konnte nur zu einem Schluss kommen: Das neue "Top Gear" muss scheitern, und zwar mit großem Knall. Der neue Gastgeber, Radiomoderator Chris Evans? Der hat ein paar Ferraris und kann womöglich sogar ganz anständig Auto fahren. Er ist mindestens so unverfroren und unhöflich wie Clarkson, hat dabei aber sein Publikum nicht im Griff.

Sein Sidekick Matt LeBlanc? War damals in der Sitcom "Friends" ganz lustig, aber er nuschelt und stellt sich wirklich dilettantisch an beim Versuch, vom Schauspieler zu Moderator umzuschulen. Außerdem ist er Amerikaner. Sabine Schmitz, eines von vier weiteren Mitgliedern des Moderations-Teams, ist sogar Deutsche. Eine ordentlich dekorierte Rennfahrerin, eine durchaus sympathische noch dazu. Aber muss dieser Akzent wirklich sein? Und warum müssen sich ihre Beifahrer ständig übergeben?

Look and Feel von früher

Natürlich wird der Nachfolger von etwas, dass den Stempel "Kult" auf sich trug, immer besonders kritisch betrachtet. Doch die erste Folge der neuen "Top Gear"-Staffel, die am Sonntagabend in Großbritannien ausgestrahlt wurde, zeigte recht schnell, dass die Skepsis übertrieben war. In Wahrheit macht die Sendung vieles genauso oder zumindest sehr ähnlich wie zuvor. Die Titelmelodie ist bekannt, auch das Logo der Sendung hat sich ins Jahr eins nach Clarkson/May/Hammond gerettet. Ebenso das Studio. Selbst der Teaser, der die Themen der Sendung zusammenfasst, entstand nach der gleichen Machart wie früher.

Alles ist so gewohnt, dass man tatsächlich kurz überrascht ist, eben nicht den schnodderig-nonchalanten Clarkson die Begrüßungsworte sprechen zu hören, sondern den blonden Brillenträger Evans. Der kann seine Nervosität kaum verbergen, und es ist ihm anzumerken, dass er zum Zeitpunkt der Aufzeichnung wusste oder zumindest ahnte, wie viele Menschen diesen Moment kritisch beäugen würden und wie viel für die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt BBC davon abhängen würde. Der kurz danach auftretende LeBlanc hat es einfacher: Von ihm erwartet die Welt einen holprigen Auftritt - und sie bekommt ihn auch.

PS- und Geschwindigkeits-Völlerei

Doch "Top Gear" hat sich nie mit einer ausgedehnten Anfangsmoderation aufgehalten. Mit einem Beitrag über die Dodge Viper ACR startet eine erstaunlich US-lastige Sendung. Gedreht wurde in Nevada - dort, wo die amerikanischen Navy-Kampfpiloten ausgebildet werden. Über die wurde in den Achtzigern ein nicht ganz unbedeutender Film gedreht: "Top Gun". Kein Wunder, dass der Film mit ein paar Filmzitaten garniert wird. Das hätte das alte Moderatoren-Trio wohl genauso gemacht. Auch sonst fühlen sich "Top Gear"-Fans heimisch in diesem Beitrag: Chris Evans startet mit kindlicher Vorfreude auf seinen Trip, betet ein paar technische Daten herunter und bekommt das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Der Look der Bilder ist wie früher (mit der Farbkorrektur sind die "Top Gear"-Macher noch nie sparsam umgegangen), der Bildschnitt ist genauso schnell, das getestete Auto wird in den Standaufnahmen aus vorteilhaften Perspektiven gezeigt.

Wenn sie fährt, dann beschleunigt oder bremst die Viper besonders heftig. Natürlich fährt sie nicht normal um Kurven, sondern vornehmlich im Drift. Es ist genau jene PS- und Geschwindigkeits-Völlerei, die "Top Gear" in der Clarkson-Ära bot und die die Zuschauer dieser Sendung sehen wollen.Nur scheint Evans nicht so absolut und unerbittlich in seinem Urteil über das Auto zu sein. Eigentlich fällt er gar keins. Bei Clarkson wurde ein Auto entweder gefeiert oder vernichtet, was sicher eines der Erfolgsgeheimnisse der Sendung war. Man darf gespannt sein, ob die Macher weiterhin auf dieses Stilmittel verzichten.

In einem Rennen, an dem auch eine Corvette Z06 sowie "Top Gun"-Kampfpiloten teilnehmen und virtuelle Raketen zum Einsatz kommen, soll geklärt werden, welcher amerikanische Sportwagen denn nun der bessere ist. Dass diese Frage unabhängig vom Ausgang des per Skript dramaturgisch durchgestylten Wettstreits unbeantwortet bleibt, gehört bei "Top Gear" genauso zur Tradition wie ständiges Reifenquietschen im Ton und ständiger Qualm im Bild.

Stichwort Tradition: Auf der hauseigenen Testrecke muss die Viper schließlich beweisen, dass sie für eine schnelle Rundenzeit gut ist. Durch die Kurven geprügelt von "The Stig", dem stets schweigenden Rennfahrer, der diesen Job auch in der Clarkson-Ära ausgeübt hat. "Wir haben Konstanz im Team", jubelt Evans, als er ihn vorstellt. Selbstironie konnten sie schon immer bei "Top Gear", genau wie stimmige Spannungsbogen in den Wettbewerben und wunderbar bildhafte Vergleiche. Die 8,4 Liter Hubraum der Viper sind doch viel greifbarer, wenn man sie sich als 15 Pints Bier vorstellt.

Menschen und Maschinen müssen leiden

Eine der wenigen echten Neuerungen findet sich in der Rubrik "Ein Star in einem preiswerten Auto". Früher fuhren die Prominenten ausschließlich auf den Asphaltbahnen des ehemaligen Flughafens, der dem "Top Gear"-Team als Teststrecke dient. inzwischen haben die Macher auch Querfeldein-Passagen eingebaut. Dass Gordon Ramsay und Jesse Eisenberg die neue Strecke einweihen und nicht Brad Pitt, der als Stargast in der ersten Episode angeblich angefragt war, ist nicht mehr als ein Randaspekt. Die Runden des Starkochs und des Schauspielers reichten für spektakuläre Aufnahmen.

Die gab es auch in den beiden anderen Beiträgen der Sendung. Die technischen Daten oder das Fahrverhalten des Ariel Nomad, einer Art Strandbuggy ohne Karosserie, sind weitgehend egal, solange man ein Rennen inszenieren kann, bei dem ein Geländemotorrad über das Auto springt oder ständig Sand und Kieselsteine in Zeitlupe durch das Bild fliegen. Später sollen LeBlanc und Evans herausfinden, ob der ursprüngliche Willys Jeep oder der Land Rover der ersten Serie der bessere Geländewagen ist. Zumindest wird das anfangs suggeriert. Letztlich geht es allein darum, dass der Schlamm spritzt, skurrile Situationen zu Wendungen in der Dramaturgie führen und sowohl Menschen als auch Maschinen leiden müssen.

Noch fehlt das Kultpotenzial

Dieses Duell der Geländewagen, bei dem es für Evans und LeBlanc darum geht, mit ihrem Auto als Erste den Gipfel eines Berges zu erreichen, veranschaulicht das elementar andere am neuen "Top Gear". Früher hätte der Sieger mit Daumen und Zeigefinger ein "L" vor seiner Stirn geformt, den Unterlegenen ein lautstarkes "Loser!" entgegengerufen und auch sonst nicht mit Häme gespart. Wäre jemand liegengeblieben, er wäre zurückgelassen worden. Diesmal hilft der eine dem anderen, es überhaupt nach ganz oben zu schaffen.

Das mag erzwungen wirken und die Zuschauer vergraulen, die "Top Gear" wegen seiner Unerbittlichkeit und des völligen Verzichts auf Political Correctness geliebt haben. Es ist aber wohl die einzige Chance, sich von dem abzuheben, was das Clarkson/May/Hammond-Etikett trägt. Und etwas nicht nur ähnlich oder gar genauso, sondern sogar besser zu machen wie das frühere "Top Gear". Denn eines hat diese Folge auch gezeigt: Die "Dynamik zwischen diesen drei Typen", wie es LeBlanc kürzlich in einem Interview nannte, existiert zwischen dem neuen Moderatoren-Duo noch nicht. Diese Episode war eine durchweg unterhaltsame und zeitweise spektakuläre Autosendung. Ein ausgeprägtes Kultpotenzial ließ sich in ihr noch nicht erkennen.

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