Süddeutsche Zeitung

Aus der "Frankfurter Rundschau":Vorläufige Kapitulation

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Seit Jahren schreibt die "Frankfurter Rundschau" Verluste. Die aktuelle Krise auf dem Anzeigenmarkt bringt den Verlag jetzt an seine Grenzen: Er hat einen Insolvenzantrag gestellt. Die Redaktion soll vorerst weiterarbeiten, doch die Aussichten sind alles andere als rosig.

Caspar Busse und Marc Widmann

Gnädig mit Griechenland" titelte die Frankfurter Rundschau (FR) an diesem Dienstag auf der ersten Seite. Dort stand ein Artikel über die massiven wirtschaftlichen Probleme des Euro-Landes, bebildert mit der Akropolis in Athen. Gnade für das eigene Unternehmen, das ebenfalls seit Langem zu kämpfen hat, gab es nicht mehr. Am Dienstagmorgen musste das Druck- und Verlagshaus Frankfurt am Main, das die überregionale Tageszeitung verlegt, beim Amtsgericht Frankfurt Insolvenzantrag stellen.

Als Grund werden "massive Umsatzverluste im Anzeigen- und Druckgeschäft in der ersten Hälfte des laufenden Jahres" angegeben. Die Belegschaft wurde von dem Schritt überrascht und am Nachmittag in Frankfurt bei einer Betriebsversammlung informiert. Für das Schwesterblatt, die Berliner Zeitung, besteht keine Insolvenzgefahr, wie ein Verlagssprecher mitteilt.

Wenn kein Wunder geschieht, ist es das Aus für die FR, die nun in eine Sanierungsphase eintritt und trotz der vorläufigen Kapitulation zunächst weiter erscheint. "Hier rechnet keiner damit, dass die Zeitung in irgendeiner Form weitergeführt wird, die wird einfach komplett eingestellt, mit Stumpf und Stiel", sagt ein Redakteur.

Das soll der vorläufige Insolvenzverwalter verhindern, bestellt wurde der Rechtsanwalt Frank Schmitt von der Kanzlei Schultze & Braun. Er sagte am Dienstagnachmittag auf der Betriebsversammlung, die Löhne und Gehälter der 357 betroffenen Mitarbeiter seien bis Ende Januar 2013 über das Insolvenzgeld gesichert. Bis Ende Januar müsse versucht werden, einen Investor zu finden, im Moment stehe niemand vor der Tür. Falls das so bleibe, sei dies der worst case, dann müssten Anfang Februar 2013 die Mitarbeiter freigestellt werden.

Kein Goldschatz im Keller

Ein Vorstand der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, die das Sagen bei der FR hat, erklärte der Belegschaft, dass auch die "Mittel der Mutter" beschränkt seien. "Ich habe leider keinen Goldschatz im Keller, wo ich einfach die Barren rausholen könnte." Die Gesellschafter hätten einen dreistelligen Millionenbetrag investiert, weil sie geglaubt hätten, die FR wirtschaftlich erfolgreich machen zu können. Das sei leider nicht gelungen. Jetzt könnten die Gesellschafter keine "überzeugende Perspektive" mehr erkennen, teilte die Mediengruppe mit. Die Finanzierung der weiterhin hohen Verluste sei "nicht mehr darstellbar". Allein in diesem Jahr sind es nach Angaben eines Verlagssprechers 16 Millionen Euro.

Die FR war lange ein Blatt von überregionaler Ausstrahlung, lange Pflichtlektüre in linken Kreisen, längst nicht nur in Hessen. Doch in den vergangenen Jahren hat dieser Ruf gelitten. Die Mehrheit hat seit sechs Jahren die Kölner Mediengruppe M. DuMont Schauberg, die 50 Prozent plus eine Aktie der Anteile kontrolliert. Etwa 40 Prozent hält die Beteiligungsgesellschaft DDVG der SPD, mit weiteren etwa zehn Prozent ist die Karl-Gerold-Stiftung beteiligt.

Die Zeitung ist leiderprobt. Die FR mit dem Grün als Erkennungsfarbe arbeitet schon lange mit tiefroten Zahlen. Die Auflage ist seit Jahren rückläufig. Im vorigen Quartal hat sie noch durchschnittlich 118 000 Exemplare täglich verkauft. Ein beispielloser Absturz: Vor gut zehn Jahren waren es noch mehr als 190 000 Stück. Schon einmal musste die FR gerettet werden, das war 2004.

Damals stieg die SPD-Holding DDVG ein und stabilisierte das Zeitungshaus. Als "Ritt über den Bodensee" beschreibt die damalige SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier das Engagement. 2006 kam Verleger Alfred Neven DuMont an Bord. Er übernahm von der DDVG die Mehrheit der FR und damit die Kontrolle, die SPD-Leute waren fortan Juniorpartner. "Die Zeitung war eigentlich damals schon kaputt", sagt ein Beteiligter.

In den vergangenen Jahren versuchte das Kölner Zeitungshaus verzweifelt, die Lage bei der FR in den Griff zu bekommen. Es gab immer neue Sparrunden, doch die Zahlen wurden immer schlechter, nicht besser. Sparen allein ist kein Geschäftsmodell. 2007 wurde auf das kleinere Tabloid-Format umgestellt, die Lage stabilisierte sich nur kurzfristig. Eine als gelungen geltende iPad-Version, die Preise erhielt, wurde zwar früh auf den Markt gebracht, der Durchbruch aber war auch das nicht.

Ein FR-Redakteur sagt, er kommt sich vor wie "auf einer kontinuierlich schmelzenden Eisscholle". So hat die FR bereits drastisch Personal abgebaut. Die überregionalen Inhalte der Zeitung, der sogenannte Mantelteil, werden überwiegend von einer Redaktionsgemeinschaft in Berlin erstellt und sind zu einem Großteil identisch mit denen der Berliner Zeitung, die ebenfalls zu M. DuMont Schauberg gehört. In Frankfurt sind jedoch viele Redakteure tätig, nicht nur des Regional- und Lokalteils.

Die FR ist nicht alleine in Not

Auch für die Berliner Zeitung kann die Insolvenz der FR gravierende Folgen haben, denn gemeinsam wollten beide Blätter Kosten sparen. Die FR, so ist in der Redaktion zu hören, überweist bislang mehrere Millionen pro Jahr nach Berlin für die Produktion des Mantels und gemeinsame Korrespondenten. Der Geschäftsführer des Berliner Verlages, Michael Braun, sagte nun bei der dortigen Betriebsversammlung, man werde erst in zwei Wochen wissen, welche Folgen die Insolvenz der Schwester habe.

Die FR ist nicht alleine in Not. Die insolventen Nachrichtenagentur dapd saniert sich gerade, indem sie 100 von 300 Stellen streicht. Als gefährdet gilt auch das Wirtschaftsblatt Financial Times Deutschland. In der kommenden Woche will der Aufsichtsrat des Mutterverlags Gruner + Jahr über die Zukunft der Wirtschaftsmedien beraten - dazu gehören auch Capital, Impulse und Börse Online. Auch hier werden seit langem Verluste erwirtschaftet, radikale Maßnahmen sind nicht ausgeschlossen.

Der Deutsche Journalisten-Verband hat die Geschäftsführung des Medienkonzerns M. DuMont Schauberg aufgefordert, auf Kündigungen redaktioneller FR-Mitarbeiter weitgehend zu verzichten. "Die Journalistinnen und Journalisten der FR brauchen eine berufliche Perspektive", sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Er erwarte, dass der Verlag den Betroffenen adäquate Stellen bei anderen Medien von M. DuMont Schauberg biete. "Die Insolvenz der Rundschau ist die Folge von jahrzehntelangem Missmanagement", kritisierte Konken. "Das Aus der renommierten Zeitung ist besonders bitter für die Beschäftigten, die über Jahre hinweg mit Einkommensverzicht für den Erhalt ihrer Zeitung gekämpft haben."

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Quelle:
SZ vom 14.11.2012
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