Augsburger Puppenkiste wird 70:Aus der Zeit gefallen

Sonderausstellung Augsburger Puppenkiste

Auch die Augsburger Inszenierung von Michael Endes "Jim Knopf" ist ein Klassiker.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Die Augsburger Puppenkiste wird 70. TV-Sender haben das Interesse am Marionettentheater für Kinder verloren. Doch die Puppenkiste braucht das Fernsehen nicht mehr.

Von Christian Rost

Elf Buben und Mädchen vom Kindergarten St. Ulrich und Afra in Augsburg jubelten, als vorigen Sommer in der Altstadt eine Fußgängerampel in eine Kasperlampel umgewandelt wurde. Statt der Normfigur leuchtet bei Grün seither der Schattenriss eines Kasperls an der Ampel, nur einen Steinwurf entfernt vom wohl berühmtesten Marionettentheater Deutschlands: der Augsburger Puppenkiste. Und als dann noch Theaterchef Klaus Marschall mit dem echten Kasperl zur Ampeleinweihung kam und ihn an seinen Fäden über die Straße tanzen ließ, gab es kein Halten mehr bei den Kindern. Alle wollten den Kasperl aus der Nähe sehen.

Eine Szene, die zeigt, dass die Puppenkiste, die an diesem Montag 70 Jahre alt wird, auch heute noch Kinder begeistert. Weshalb das Theater nach seinen großen TV-Erfolgen mit Urmel, Jim Knopf und Kater Mikesch kaum mehr im Fernsehen zu sehen ist, erscheint daher als Rätsel. Ein Puppenkisten-Fan aus Geislingen in Baden-Württemberg, der 18-jährige Maximilian Baumgartner, will sich damit nicht abfinden und hat eine Online-Petition gestartet, die sich an alle deutschen Fernsehsender richtet: "Bringt die Augsburger Puppenkiste zurück ins TV!" Baumgartner sagt, auch die Puppenkiste habe ihre Berechtigung im Fernsehen. "Ich bin seit meiner Kindheit ein Fan der Marionetten."

Die Zahl seiner Unterstützer ist noch überschaubar, lag Sonntagnachmittag bei 94. Allerdings war bislang auch kaum bekannt, dass es diese Initiative überhaupt gibt. Ihre Erfolgsaussichten sind leider gering. Für die Sender ist die Puppenkiste nicht mehr zeitgemäß, und die Sender sind für die Puppenkiste als Bühne nicht mehr attraktiv.

Stefan Aufenanger, Professor für Medienpädagogik und Erziehungswissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, bezeichnet das Puppenspiel als eine "analoge Sache", für die sich mehr die Erwachsenen begeisterten als ihre Kinder. Natürlich sei ein Stück der Puppenkiste "mal eine tolle Alternative" zum übrigen schreiend bunten Kinderprogramm. Gerade weil Kinder durch das langsame Spiel der Marionetten für die jeweiligen Geschichten besonders gut ein Verständnis entwickeln könnten. Letztlich, so Aufenanger, seien aber vor allem die Eltern Fans der Puppenkiste. "Sie erinnern sich an die schöne Zeit, als die Figuren in ihrer Kindheit im Fernsehen zu sehen waren, und animieren ihre Kinder, sich auch damit zu beschäftigen." Ganz ähnlich sei die Entwicklung mit dem DDR-Sandmännchen verlaufen. Von ihrer Anmutung her seien all diese Figuren etwas zu altmodisch für die heutige junge Generation.

Die Puppenkiste hat schon seit Jahren keine Anfrage mehr für eine neue TV-Produktion erhalten

Dem widerspricht Klaus Marschall heftig. Seit 1992 leitet er die Puppenkiste und kann eine Erfolgsbilanz vorweisen. Das Theater mit 220 Plätzen ist zu 95 Prozent ausgelastet - bei 420 Vorstellungen im Jahr. Karten gibt es teils nur auf Vorbestellung mit einer Wartezeit von einem halben Jahr. Auch die fürs Kino produzieren Weihnachtsgeschichten liefen 2016 und 2017 hervorragend. Obwohl sie nur an den Adventssonntagen aufgeführt wurden, sahen jeweils etwa 100 000 Zuschauer die Filme. Mit den Verkaufszahlen der Puppenkisten-Stücke auf DVD ist Marschall ebenfalls hochzufrieden. Die Fernsehmacher kann er aber dennoch nicht mehr mit seinem Angebot überzeugen.

"Wenn es nach mir ginge, könnte die Puppenkiste sofort wieder ins Programm", sagt Holger-Ralf Erhardt, zuständig für die Programminformation beim Kinderkanal Kika. Regelmäßig erhalte er Schreiben von Zuschauern, die sich die Puppenkiste zurück ins Fernsehen wünschten. Doch die Programmkommission von ARD und ZDF, die auch die Inhalte des Kika bestimmt, habe entschieden, dass die Puppenkiste aus der Zeit gefallen sei. Organisatorisch wäre es kein Problem, sie wieder öfter zu zeigen. Die Senderechte für die Puppenkiste liegen beim Hessischen Rundfunk, somit also bei der ARD. Es gibt aber kein Indiz dafür, dass die Verfilmungen von "Bill Bo", dem "Räuber Hotzenplotz" oder "Kleiner König Kalle Wirsch" so bald wieder aus den Archiven geholt werden.

Marionettentheater Augsburger Puppenkiste

Star aus der Kiste: Zu den bekanntesten Figuren der 1948 gegründeten Puppenbühne zählt der Kasperl.

(Foto: dpa)

Die Wiederholungen all der bekannten Puppenkisten-Stücke liefen bis in die Neunzigerjahre im TV, sie waren fester Bestandteil in den Programmen der ARD und später im Kinderkanal. Als die Programmkommission zum Start des Kika Ziele und Philosophie für den Sender formulierte, hieß es noch: "Selbstverständlich werden im Kinderkanal alle Galionsfiguren aus ARD und ZDF auftauchen", neben Pumuckl und Pippi Langstrumpf wurde auch die Augsburger Puppenkiste explizit genannt. "Programme wie diese haben in den vergangenen 40 Jahren den Standard für das Kinderprogramm in Deutschland gesetzt, an ihnen wird noch heute Kinderprogramm gemessen." Das Papier hatte die Kommission 1997 veröffentlicht. Mittlerweile sind viele Galionsfiguren entgegen dem Treueschwur aus dem Programm verschwunden.

Die Puppenkiste hat schon seit Jahren keine Anfrage für eine neue Produktion von den Sendern mehr erhalten. In den Fünfzigerjahren hingegen hatten die damaligen Verantwortlichen beim NWDR, dem Vorgängersender von NDR und WDR, noch händeringend nach Inhalten für ein Kinderprogramm gesucht. Da machte gerade der Schauspieler Walter Oehmichen mit einem Puppentheater auf sich aufmerksam, das er als Soldat im Zweiten Weltkrieg in Calais gefunden hatte und mit dem er zunächst seine Kameraden unterhielt. Der NWDR engagierte ihn, nur wenige Wochen nach dem Start der Tagesschau ging die Puppenkiste auf Sendung.

Oehmichens Enkel, Klaus Marschall, geht mit dem Theater nun abseits des Kinderfernsehens seinen Weg und plant sein nächstes Projekt fürs Kino: die "Weihnachtsgeschichte" nach Charles Dickens. "Wir wollen gute Geschichten erzählen, die moralisch wertvoll sind", sagt Marschall und trauert dem Fernsehen nicht hinterher. Die Puppenkisten-Stücke passten ohnehin nicht mehr ins Programm mit seinen "schnellen und krachenden Bildern". Wer heute beim Fernsehen 15 Minuten verpasse, habe nichts versäumt. "Das TV hat seinen Eventcharakter verloren, es wird nur noch gezappt." Den Glauben an die Kinder selbst hat Marschall indes nicht verloren: "Die sind nach wie vor sensibel genug für die Stücke der Puppenkiste."

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