Süddeutsche Zeitung

Aufruf zum Medienboykott:FDP-Politiker warnt vor "linksgrüner Hysterie-Berichterstattung"

Der FDP geht es schlecht, eine Krise folgt der anderen. Geht es nach dem Bundestagsabgeordneten Joachim Günther, sind die Medien daran Schuld. In einem Brief ruft er zum Boykott der "Pressehetze" auf. Und bekommt Protest zu spüren - auch von der eigenen Partei.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Joachim Günther ruft seine Fraktionskollegen zum Medienboykott auf. Laut einem Bericht in der Sächsischen Zeitung wirft er in einem Rundbrief an alle FDP-Bundestagsabgeordneten den Medien vor, mit tendenziöser Berichterstattung die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.

Er sieht seine Partei als Opfer einer Medienkampagne: Presse und Rundfunk stellten FDP-Positionen zu Themen wie der Vorratsdatenspeicherung und der Finanztransaktionssteuer bewusst irreführend dar. Nun sei es an der Zeit, "dass wir als Liberale das Spiel beenden, das uns die Presse deutschlandweit seit Monaten aufzwingt", zitiert das Dresdner Blatt aus Günthers Brief.

Nicht nur Inhalte, sondern auch das Personal der FDP sieht Günther in den Medien falsch dargestellt. Die Partei habe sich "ihren nachweislich erfolgreichen Vorsitzenden auf Grund einer ungehörigen Medienkampagne abtreiben lassen", schreibt er in Bezug auf den Rückzug Guido Westerwelles vom Parteivorsitz im vergangenen Frühjahr. Seitdem verhalte sich die Presse "wie ein vierjähriges Kind, das austestet, wie weit es noch gehen kann, ehe ihm einer auf die Finger klopft."

Günther kritisiert auch die Berichte über Bundespräsident Christian Wulff. Der werde derzeit von einer "Journalistenmeute wie ein räudiger Fuchs über sämtliche Titelblätter und durch alle Fernsehsendungen gehetzt". Medien mit "linksgrüner Hysterie-Berichterstattung" würden "immer mehr zur 1. Gewalt im Staat."

Auf seiner Internetseite hat Günther einen Text veröffentlicht, der dem von der Sächsischen Zeitung zitierten ähnlich ist. Darin beklagt er, dass die positiven Errungenschaften der Regierung zu wenig beachtet würden. Stattdessen konzentrierten die Medien sich auf die schlechten Nachrichten.

Nun könne man "unmoralische und unfähige Journalisten nicht einfach zum Rücktritt auffordern", schreibt der frühere sächsische Landesvorsitzende. "Wohl aber kann man Zeitungen abbestellen, Radio- und Fernsehsender nicht mehr einschalten. Ich bin sicher, dann würde sich einiges ändern im medialen Bereich."

Das Schreiben soll auch an einige Abgeordnete der CDU gegangen sein. Günther empfiehlt den Adressaten, den Brief und den Boykottaufruf weiterzuverbreiten.

Die Reaktionen auf Günthers Appell bleiben nicht aus: Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat Günthers Kritik an der Medienberichterstattung über eine Partei zurückgewiesen. Günthers Äußerungen seien ein Beweis für dessen Realitätsferne, sagte der DJV-Vorsitzende Michael Konken in Berlin. "Die Medien haben ihre Kernaufgaben in der Information und der Interpretation des gesellschaftlichen Geschehens." Wer ihnen dieses Recht streitig machen will, gefährde die freie Meinungsbildung, so Konken.

Auch die FDP-Spitze distanziert sich von Günthers Aufruf. Parteichef Philipp Rösler versicherte, dass die FDP-Mitglieder "treue Abonnenten" blieben. Er könne zwar nicht sagen, "dass ich immer und umfassend zufrieden mit der Medienberichterstattung gewesen bin", doch zunächst gelte es zu schauen, "wie ist die eigene Performance, was muss man besser machen". Wolfgang Kubicki, der Vorsitzende der FDP in Schleswig-Holstein, empfahl Günther, "nochmal in sich zu gehen und darüber nachzudenken, was er da verbreitet hat".

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