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Interview am Morgen: Arte:Der Kern allen Übels: Die Quote

Um gutes Fernsehen zu machen, muss man dem nachgehen, was einen selber packt: Artes langjähriger Filmchef Andreas Schreitmüller über die Frage, warum das in Deutschland so selten klappt.

Interview von Kathleen Hildebrand

Andreas Schreitmüller räumt auf. Nach 29 Jahren bei Arte, zunächst als Leiter der Redaktion für Fernseh-, später auch der für Spielfilm, geht er im neuen Jahr in Rente. Am Ende des Interviews, das er per Webcam aus seinem Büro im großen Arte-Glasbau im Straßburger Norden gibt, zeigt er lachend die Filmplakate an den Wänden, die er bald alle mit nach Hause nimmt: "Lola rennt", "Jenseits der Stille", "Das Leben der Anderen". Schreitmüller hat fast alle der deutschen Filme und Serien mitproduziert, an die man sich aus den vergangenen Jahrzehnten gern erinnert. Seinen Emmy hält er auch in die Kamera: Den gab es für "Die Manns".

SZ: Herr Schreitmüller, am 31.12. ist Ihr letzter Tag als Filmchef von Arte. Sind Sie wehmütig?

Andreas Schreitmüller: Ja, klar. Arte ist ein ganz wichtiger Teil meines Lebens gewesen. Als ich 1991 zu Arte kam, kurz nach der Sendergründung, waren wir erst 15 Leute und noch weit vom Sendestart entfernt. Ich bin dem Sender emotional sehr verbunden.

Die Organisationsstruktur von Arte ist berühmt für ihre Komplexität. Sie arbeiten mit allen neun Sendern der ARD zusammen und mit dem ZDF. Hat das Ihre Aufgabe, Filme und Serien zu produzieren, erschwert?

Erschwert und erleichtert. Man hat nicht den einen großen Geldsack und kann sagen: Okay, das machen wir. Man muss immer Verbündete finden und Allianzen schmieden. Das macht es schwieriger. Auf der anderen Seite ist das ganze Konstrukt so kompliziert, dass es nicht von allen durchschaut wird. Dadurch hat man gewisse Freiheiten.

Sie haben bei Arte die erste konkurrenzfähige Serie aus Deutschland mitproduziert - Im Angesicht des Verbrechens lief 2010 im Fernsehen. Wann war Ihnen klar, dass Serien eine große Zukunft haben?

Darauf kamen wir über Diskussionen auf der französischen Seite von Arte. Die haben Mitte der Nullerjahre den Weltmarkt beobachtet und gesehen, dass sich da international etwas bewegt. Nicht nur in den USA, sondern auch in Lateinamerika, in Australien, in Israel. Dann gab es den Vorschlag von Dominik Graf, eine Serie über die Russenmafia zu machen. Graf ist einer, dessen Arbeit ich persönlich sehr bewundere. Das war ein Glücksfall.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Wie kommt man an gute Serien? Sind die einfach auf Ihrem Tisch gelandet oder haben Sie auch selbst Produktionen angeregt?

Im Angesicht des Verbrechens wurde uns von der Produktionsfirma vorgeschlagen. Wir haben aber auch Serien in Auftrag gegeben auf deutscher Seite, zum Beispiel Zeit der Helden von Kai Wessel. Auf der französischen Seite hatten wir schon eine ganze Reihe von Serien. Deutschland war da einige Jahre später dran als der Rest der Welt.

Wie identifizieren Sie ein gutes Manuskript?

Ein wichtiges Kriterium ist, ob es einen selber interessiert und packt. Der RTL-Chef Helmut Thoma hat mal gesagt: Der Köder muss ja nicht dem Angler schmecken, sondern dem Fisch. Das ist zwar ein lustiges Bonmot, aber eigentlich eine ganz schreckliche Haltung. Ich habe den Anspruch: Das, was ich gut finde, muss man dann so gut machen, dass es funktioniert.

Wie waren Sie als Redakteur an der Entwicklung beteiligt?

Beim Schreiben kann man nicht dabei sein, das müssen die Autoren alleine machen. Aber dann gibt es immer wieder Fassungen, die man diskutiert. Das Feedback braucht jeder. Kein Mensch kann allein ein Drehbuch entwickeln, das ist viel zu komplex.

Finden Autoren das gut, wenn ein Redakteur ihnen reinredet?

Außenstehende meinen immer, dass das kreative Genie am besten in Ruhe gelassen werden sollte. Dass alle, die da mitreden, nur eins im Kopf haben: Den Film so schlecht wie möglich zu machen. Das ist Quatsch. Zu fünft, zu sechst kann man logische Probleme lösen, Dinge zusammenführen, die redundant sind. Sachen, die man nicht versteht, expliziter machen.

Wieso hat es in Deutschland so lange gedauert, bis kreative, anspruchsvolle Serien gemacht wurden?

Ich habe darüber sehr viel nachgedacht und bin nicht auf eine einzelne Erklärung gekommen. Ein Punkt ist wahrscheinlich, dass andere Programmformate in Deutschland einfach sehr gut funktioniert haben. Es gab keinen echten Bedarf nach neuen fiktionalen Formaten. Weder auf Produktionsseite noch beim Publikum.

Weil es Tatort und Traumschiff gab?

Ja, aber nicht nur. Meine Haltung war immer: Mich stört nicht, dass etwas im Fernsehen läuft. Wenn einem etwas nicht gefällt, kann man ja abschalten. Viel schlimmer ist es, wenn etwas nicht mehr läuft. Wenn wichtige Programmformen und Inhalte abgeschafft werden.

Was fehlt Ihnen?

Internationalität. Als ich noch Kind war und Jugendlicher, kamen viel mehr Spielfilme aus anderen Ländern, von anderen Kontinenten. Das ist total zurückgegangen. Die Programme sind sehr, sehr national geworden. Das gilt aber nicht nur für Deutschland. Dokumentarische Programme betrachten natürlich die ganze Welt - aber immer aus einer eurozentrischen oder angelsächsischen Perspektive. Das Flair, die Farben, die Erzählweisen aus anderen Ländern - das kommt kaum mehr vor oder zu ganz später Stunde. Das finde ich sehr schade.

Was glauben Sie, woran das liegt?

Ich glaube, es gab eine Entwöhnung. Ein Beispiel: Wenn man vor 20 Jahren gesagt hätte: Diese skandinavischen Länder haben ganz tolle Krimis, dann hätten alle gesagt: Das ist ja ziemlich exotisch. Und auf einmal ist es eine Marke geworden. Das könnte man natürlich mit anderen Weltgegenden genauso machen. Ein gewisses Risiko wird gescheut durch die Verabsolutierung der Einschaltquote. Das ist der Kern allen Übels.

Inwiefern?

Das Problem beim Marktanteil und der Einschaltquote ist, dass jedes einzelne Programm daraufhin abgeklopft wird, ob es nicht den Durchschnitt senken könnte. Dass man so einen abstrakten Wert wie den Gesamtmarktanteil vom Sender von einer Programmwoche verabsolutiert, führt zu einem Qualitätsverlust.

Wie wird denn Ihr Ruhestand aussehen?

Ich werde nicht Produzent, das schon mal zur Beruhigung der Branche. Ich bin Stiftungsrat des Kuratoriums junger deutscher Film, ein Ehrenamt, das werde ich noch eine Weile weitermachen, ich arbeite beim österreichischen Filminstitut im Ausschuss. Ansonsten will ich jetzt nicht mehr groß mitmischen. Junge Leute denken anders, die arbeiten auch anders mit Social Media und anderen Formen, und die machen das gut. Die sind jetzt am Ruder, so wie wir mal ans Ruder gekommen sind.

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