Arte-Doku über Khaled al-Masri:Den Falschen gekidnappt

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Nordmazedonien hat sich bei Khaled al-Masri entschuldigt, die USA haben sich nie bei ihm gemeldet. Und Deutschland hat sie als Land nie geäußert. (Foto: Thomas Bresinsky/Arte)

Bohrende Fragen, berührende Bekenntnisse: Ein starker Dokumentarfilm über Khaled al-Masri, der 2004 versehentlich von der CIA entführt wurde.

Von Alex Rühle

Die Geschichte klingt so verrückt, dass der Ulmer Anwalt Manfred Gnjidic sie anfangs nicht glauben kann. Die Amerikaner entführen doch nicht einen aus dem Libanon stammenden deutschen Staatsbürger nach Afghanistan und foltern ihn dort in einem Geheimgefängnis. Einige der Agenten merken recht früh, dass sie anscheinend den Falschen gekidnappt haben, andere aber beharren darauf, doch, der Mann sei böse. Nach vier Monaten stellen sie endlich fest: Alles eine Namensverwechslung, fliegen ihn nach Albanien und setzen ihn nachts auf einem Fußweg im Wald aus. Gnjidic lacht in der Arte-Doku Der Fall el-Masri kurz. "Man kommt als junger Jurist von der Uni, hat da viel gehört über das hohe Recht und wie das unter den Nationen alles super rechtsstaatlich abläuft. Eine staatlich koordinierte Entführungsgeschichte - ich hab mir bis dahin nicht ausmalen können, dass es so was gibt."

Aber da saß dieser Mann in seiner Kanzlei, im Frühsommer 2004, mit wuchernden Locken und wildem Bart, weinend, aufgewühlt, zitternd und erzählte, er sei erst 23 Tage von amerikanischen Geheimagenten in einem Hotel in Mazedonien festgehalten worden. Dann kam das mittlerweile leider gut bekannte amerikanische Foltersetting zum Einsatz, Windel, Sportanzug, Augenbinde, Kapuze, Fesselung und Abflug nach Kabul. Eine erdlochartige Zelle, fauliges Wasser zu trinken, Hungerstreik und die Ansage, er werde hier in 20 Jahren nicht rauskommen. Am Ende seiner haarsträubenden Geschichte zeigte der Mann Gnjidic seinen deutschen Pass, in dem es keinen Ausreisestempel aus Mazedonien gab. Aber fünf Monate später einen aus Albanien. "Da wusste ich, da stimmt was nicht", sagt Gnjidic.

Stefan Eberlein musste die Filmarbeiten abbrechen, als al-Masri straffällig wurde

Khaled al-Masri. Der Fall schlug seinerzeit hohe Wellen. Titelseite der New York Times, Untersuchungsausschüsse in Deutschland und den USA. Ein Super-GAU für Bushs Falken genauso wie für die deutsche Regierung, die eisern schweigt und al-Masri hängenlässt. Dann gibt es erste misstrauische Sendungen und Zeitungsbeiträge. "Dieser Mann ist nicht zufällig ins Fadenkreuz der amerikanischen Behörden gekommen", sagt 2006 der Kriminalbeamte Klaus Jansen in einem infamen Report-Mainz-Beitrag. Die Bild hetzt ohnehin gegen ihn. 2007 dreht al-Masri durch und legt in einem Neu-Ulmer Großmarkt Feuer. Endlich kann man ihn als Straftäter durch die Boulevard-Manege ziehen. 2009 verprügelt er den Neu-Ulmer Oberbürgermeister, glaubend, der sei Stellvertreter des Staates, der ihn so lange alleingelassen hatte. "Also doch durchgeknallt", höhnte die Bild. Er musste fünf Jahre ins Gefängnis.

Der Dokumentarfilmer Stefan Eberlein hatte damals gerade begonnen, gemeinsam mit al-Masri einen Film über dessen Geschichte zu drehen. Das Ganze musste abgebrochen werden, als al-Masri straffällig wurde. Seinerzeit eine ziemliche Katastrophe für Eberlein, der viel Recherche und Geld in das Projekt gesteckt hatte. Für uns Zuschauer aber ist es ein großes Glück, denn der Film, der jetzt, so viele Jahre später ausgestrahlt wird, gewinnt eine Tiefenschärfe, die er seinerzeit gar nicht hätte haben können: 2016 fand Eberlein beim Googeln ein kurz zuvor online veröffentlichtes CIA-Dokument, einen internen Untersuchungsbericht von 2007, in dem der Geheimdienst schrieb, Khaled al-Masri sei seinerzeit zu Unrecht entführt worden, es gebe keinerlei Verdachtsgründe gegen ihn. Eberlein war konsterniert. "Das war die offizielle Rehabilitierung, aber keine einzige Zeitung hat darüber berichtet." So haben sich die beiden 2017 wiedergetroffen, al-Masri hatte Deutschland mittlerweile verlassen und betrieb einen kleinen Supermarkt in Graz.

"Er war sehr alt geworden", erzählt einer seiner Söhne im Grazer Supermarkt

Der Film hat zwei große Stärken. Zum einen breitet er das Material hervorragend auf und stellt dadurch bohrende Fragen: Was wusste die deutsche Regierung? Warum zum Teufel überstellte sie den Haftbefehl gegen die amerikanischen Kidnapper, deren Namen die Panorama-Redaktion enttarnt hatte, nicht an die US-Regierung? Warum hörte die Staatsanwaltschaft al-Masris Anwalt Gnjidic ab? Eberlein führt Gespräche mit Gnjidic, aber auch mit dem damaligen ermittelnden Kriminalbeamten, dem Münchner Staatsanwalt, der eine gelinde gesagt seltsame Rolle einnimmt, und mit Dick Marty, dem Schweizer Staatsanwalt und Sonderberichterstatter des Europarates, der im Zuge seiner Untersuchungen zum Fall al-Masri herausfand, dass die CIA in Polen und Rumänien jahrelang Geheimgefängnisse für Terrorverdächtige unterhielt. "Da ist etwas in mir zerbrochen", sagt Marty im Film. "Wie können EU-Chefs schöne Reden über Menschenrechte halten, und dann wirft man auf Wunsch der USA all diese Prinzipien über Bord?"

Zum anderen zeigt Eberlein, welche Verwüstungen al-Masris Entführung in dessen gesamter Familie angerichtet hat. Die Trauer scheint wie schwere nasse Wäsche an den Körpern aller Familienangehöriger zu hängen, wenn al-Masris Frau in der kleinen Grazer Küche davon erzählt, wie sie nach dem spurlosen Verschwinden ihres Mannes mit den Kindern zurück nach Libanon zog, monatelang nicht wissend, wo er war und ob er überhaupt noch lebte. Al-Masri sitzt neben ihr und wird immer wieder vom Weinen geschüttelt. Einer der Söhne erzählt im Grazer Supermarkt, wie sie 2016 den Vater erstmals wiedersahen, nach seiner Haftzeit, nach ihrer Zeit in Libanon, und sie einander erst mal nicht mehr erkannten. "Er war sehr alt geworden." Der Junge schaut in die Regale, als ob da die Antwort darauf stünde, wie es sein kann, dass die US-Geheimdienste zusammen mit der Bundesregierung aus ihm und seinen Geschwistern über Jahre Halbwaisen gemacht haben.

Seit der Entführung sind fast zwei Jahrzehnte vergangen. Nordmazedonien hat sich in aller Form bei Khaled al-Masri entschuldigt und ihm 60 000 Euro gezahlt. Die USA haben sich nie bei ihm gemeldet. Am beschämendsten aber hat sich Deutschland verhalten, einfach indem es als Land nie zu dem Fall Stellung genommen hat, obwohl diese Geschichte einem ihrer Staatsbürger widerfahren ist. Kein Politiker hat sich je entschuldigt. Obwohl sie durch die Bank gemauschelt oder glatt gelogen haben, allen voran der angeblich so korrekte Innenminister Otto Schily, der schon am Pfingstmontag 2004, direkt nach al-Masris Freilassung, vom damaligen US-Botschafter Dan Coats über den Fall informiert worden war. Der Untersuchungsausschuss kam nach drei Jahren Arbeit zu dem Ergebnis, dass al-Masri seinerzeit "auf allen Ebenen unverzüglich Hilfe geleistet" worden sei. "Das Verhalten des Innenministers war korrekt (...) Al-Masri sind dadurch keinerlei Nachteile entstanden."

Der Fall el-Masri , Arte, am 31.08. 22.20 Uhr, oder in der Arte-Mediathek .

Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes hieß es, al-Masri habe den Ulmer Oberbürgermeister verprügelt. Es handelte sich aber um den Neu-Ulmer Oberbürgermeister. Auch die Brandstiftung in einem Großmarkt bezieht sich auf das bayerische Neu-Ulm und nicht das baden-württembergische Ulm. Wir bitten dies zu entschuldigen.

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