Arte-Doku über sexuellen Missbrauch:Stumme Schreie

Mea Maxima Culpa Arte-Dokumentation katholische Kirche sexueller Missbrauch

Institutionalisiertes Schweigen der Kirche: Die Filmrecherchen führen bis in den Vatikan.

(Foto: Arte)

Die Opfer sind gehörlos und zum Schweigen gezwungen, der Täter ist ein Priester und als Autorität anerkannt: In einem von der katholischen Kirche geführten US-Internat kam es jahrzehntelang zu sexuellem Missbrauch. Alex Gibney schildert die Qual der Kinder in einem parteiischen, aber aufwühlenden Dokumentarfilm.

Von Martina Knoben

Pater Lawrence Murphy umarmte seine Schützlinge gern. Und er beherrschte perfekt die Gebärdensprache, was zu seiner Zeit außergewöhnlich war. Er unterrichtete an einem Internat für Gehörlose in Milwaukee von den frühen Fünfzigern bis in die Siebzigerjahre. Auf zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos und Super-Acht-Aufnahmen ist der Geistliche mit dem freundlichen, runden Gesicht zu sehen, oft umgeben von lächelnden Kindern.

"Rattenfänger" wird er von einem seiner früheren Schüler genannt, ein anderer beschreibt ihn als "gefräßigen Wolf". Denn nachts schlich der Geistliche in den Schlafsaal der Kinder und missbrauchte sie. Oder er fummelte in seinem Büro an ihnen herum oder drängte sie vom Beichtstuhl aus, vor ihm zu masturbieren.

Die Männer, die in Mea Maxima Culpa von diesem Missbrauch erzählen, sind alle gehörlos. Dass sie sich in Gebärdensprache mitteilen, verleiht den Interviews eine besondere Qualität: Stumm sind ihre Äußerungen und gleichzeitig expressiv.

Der amerikanische Regisseur Alex Gibney, von dem unter anderem der Oscar-prämierte Dokumentarfilm Taxi zur Hölle stammt über die Folterpraktiken der Amerikaner in Afghanistan, Irak und Guantanamo, hat die Männer vor einem dunklen Hintergrund sprechen lassen und ihnen ein warmes, sanftes Licht gegeben. Das hebt die Schönheit und Ausdrucksstärke der Gebärdensprache hervor und wahrt gleichzeitig das nötige Maß an Diskretion.

Mittlerweile sind Berichte über pädophile Geistliche ja leider nichts Ungewöhnliches. Gibney, der immer wieder Machtmissbrauch thematisiert hat in seinen Filmen, untersucht hier einen frühen Fall, der besonders widerlich ist. Die Lämmer, auf die es dieser Seelenhirte und Wolf abgesehen hatte, waren nämlich besonders wehrlos. Der Pater wählte Kinder aus, die sich niemandem mitteilen konnten, weil ihre Eltern kein Gehörlosentelefon hatten und deshalb unerreichbar waren oder die Gebärdensprache nicht beherrschten, weshalb die Kinder nicht erzählen konnten, was man ihnen antat.

Nimmt man zu diesem erzwungenen Schweigen den Gewissenskonflikt einer geistlichen Autorität gegenüber ("Er ist Priester, und ich muss ihm gehorchen"), kann man sich die ausweglose Qual der Kinder vorstellen.

Mit dem Titel seines Dokumentarfilms Mea Maxima Culpa - Stille im Haus des Herrn spielt Gibney aber nicht nur auf die Gehörlosigkeit der Opfer an, sondern auf das institutionalisierte Schweigen der katholischen Kirche. Dazu hat der Filmemacher eine eindrucksvolle Zeugenschaft versammelt, die belegt, dass es nicht nur "ein paar faule Äpfel" im Schoß der Kirche waren, die sich an Kindern vergingen, sondern dass es viele waren - und dass sie systematisch geschützt wurden.

Ein ehemaliger Benediktinermönch erzählt von einer Studie über Sex und Zölibat: Demnach sei es für die Kirche "okay", dass der Zölibat von vielen Geistlichen nicht befolgt werde, "solange es geheim bleibt". Ein anderer, ebenfalls Geistlicher, erzählt von hohen Summen, 250.000 Dollar pro Fall, die für die Geheimhaltung von Missbrauchsfällen ausgegeben wurden.

Als einige Jungen Jahre nach dem Missbrauch Pater Murphy anklagen, passiert daher lange nichts. Minutiös zeichnet Gibney die Beschwichtigungsversuche der Kirche nach. So hatte bereits 1963 ein Geistlicher, der Murphy während einer Abwesenheit im Internat vertreten hatte, seinem Erzbischof von dem Missbrauch dort berichtet. Murphy aber blieb bis Anfang der Siebzigerjahre an der Schule, missbrauchte geschätzt bis zu 200 Kinder. Danach wurde er versetzt, er starb unbestraft.

Gibney greift immer wieder in die dramaturgische Trickkiste - dabei hätte er das gar nicht nötig. Kern seines Films ist eine gnadenlose, wenn auch parteiische Recherche, die bis in den Vatikan führt. Dass der Film darüberhinaus ein Dokument des Kampfes um Behindertenrechte darstellt, ist ein schöner Bonus. Die gehörlosen Männer, die hier vor der Kamera stehen, sind keine Lämmer geblieben.

Mea Maxima Culpa, Arte, 20.15 Uhr.

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