Arte-Doku über Hitlers Manifest:Im Gefühlsgrusel von "Mein Kampf"

Arte-Doku über Hitlers "Mein Kampf"

Bis 1945 wurden zwölf Millionen Mein Kampf-Exemplare gedruckt, fremdsprachige Ausgaben können bis heute fast überall in der Welt erworben werden.

(Foto: Thorben Bockelmann/ZDF )

Eine Arte-Doku beschwört die Gefährlichkeit von Hitlers "Mein Kampf". Doch wer das Buch zum "inneren Monolog eines Massenmörders" hochstilisiert, treibt ihm nur voyeuristische Leser zu.

TV-Kritik von Gustav Seibt

Am 1. Januar 2016 läuft der gesetzliche Schutz des Urheberrechts an Hitlers Buch "Mein Kampf" aus. Nun regt sich hier und da großes Gewese, als stehe eine Zeitenwende bevor und ein geheim gehaltenes gefährliches Werk komme nun wieder ans Licht einer offenbar wehrlosen Öffentlichkeit.

Wahr ist: In Deutschland darf "Mein Kampf" bisher nicht gehandelt werden, das bayerische Finanzministerium hat das als Inhaber der Rechte unterbunden. Doch hat dieses Verbot weder den Antiquariatshandel mit etlichen der bis 1945 gedruckten zwölf Millionen Exemplare verhindern können noch die fremdsprachigen Ausgaben, die fast überall in der Welt ungeniert erworben werden können.

Die USA haben das Urheberrecht an "Mein Kampf" schon 1945 einkassiert. In Amerika werden auch jene durchaus seriösen Internetseiten wie archive.org betrieben, auf denen man Scans aller regulären Ausgaben und Übersetzungen, die es seit den Zwanzigerjahren gab, konsultieren und herunterladen kann - die dort angegebenen Downloadzahlen gehen zusammengerechnet in die Hunderttausende.

In den USA vollkommen legal

Die Dokumentation, die Arte am Dienstagabend sendet, braucht 42 Minuten, bevor sie mitteilt, "die Deutschen" (als offenbar immer noch am meisten gefährdete Zielgruppe) könnten "Mein Kampf" längst online lesen, "illegal hochgeladen". Nein, nicht illegal, sondern in den USA eben vollkommen legal. Das politisch-praktische Problem, das sich in dieser Lage stellt, heißt Aufklärung und Forschung. Natürlich hat Deutschland größtes Interesse daran, dass "Mein Kampf" jetzt nicht unkommentiert in die Papierbuchläden und auf die E-Book-Seiten kommt, gar auf Bestsellerlisten mit entsprechenden Gewinnen.

Der Arte-Film von Manfred Oldenburg serviert eine unglückliche Mischung aus drei unterschiedlichen Themen: Er erzählt summarisch, mit konventionellem Histo-Grusel die Geschichte des Buches; er fragt düster nach seinen heutigen Wirkungsmöglichkeiten; und er stellt das Ringen des Staates Bayern mit seinem Urheberrechtsproblem dar. Bayern unterstützte zunächst das wichtigste Projekt, das auf die bestehende und bevorstehende Publikationslage reagieren soll, eine historisch-kritische Ausgabe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, die im Januar 2016 vorliegen wird.

Sie wird Genese und Rezeption darstellen sowie vor allem jede Behauptung des Buches überprüfen und wenn nötig widerlegen. Darüber ist oft berichtet worden. Nun hat sich Bayern Ende 2013 abrupt aus der Finanzierung zurückgezogen, nach heftiger Kritik aus Israel und von jüdischen Opfervertretern. Der Freistaat will nicht als Finanzier und Herausgeber einer Neuausgabe von "Mein Kampf" dastehen. Die Wissenschaftler hat das fassungslos gemacht, doch die Ausgabe wird seither aus Eigenmitteln des Instituts für Zeitgeschichte fertiggestellt. Auf Arte kommt der Projektleiter Christian Hartmann ausführlich zu Wort.

Im Übrigen will Bayern den künftigen Handel mit "Mein Kampf" offenbar den Gerichten überlassen - unkommentiert dürfte das Buch unter den Straftatbestand der Volksverhetzung fallen. Ob die kritische Ausgabe irgendwann dort ankommen kann, wo sie eigentlich hingehört, im Internet, um den unkommentierten Scans Konkurrenz zu machen, wird sich wohl nur auf dem Rechtsweg klären lassen. Eine feige, aber verständliche Lösung.

War es wirklich der "Fahrplan" von Hitlers Vernichtungspolitik?

Für einen Nachdruck "mit Vorwort" plädiert bei Arte im Übrigen für sein Land auch der französische Menschenrechtsanwalt Philippe Coen. Mit Charlotte Knobloch und Margot Friedländer kommen zwei ehrwürdige Holocaust-Überlebende zu Wort. Anders als Knobloch befürwortet Friedländer die kommentierte Neuausgabe, mit Verweis auf ihr eigenes pädagogisches Engagement an deutschen Schulen.

Der Rest ist Raunen. Ja, das Buch ist furchtbar, vor allem voller Hass. Es wurde durchaus gelesen, allein wann und von wie vielen, das weiß niemand genau. War es wirklich der "Fahrplan" von Hitlers Vernichtungspolitik? Konkrete Mordabsichten gegen alle Juden werden nur versteckt angedeutet, wie Wolfgang Benz festhält. Dagegen wird die Politik des "Lebensraums" im Osten mit "atemberaubender" (Hartmann) Offenheit angekündigt. Dass der heutige Rechtsradikalismus eher islamfeindlich als antisemitisch auftritt, kommt erst spät im Film zur Sprache.

Eine klügere Dokumentation hätte Kontinuitäten und Gefahren anderswo gesucht: in einer Zivilisationspanik, die heute als Angst vor Globalisierung und Heimatverlust daherkommt. Wer das Buch zum "inneren Monolog eines Massenmörders" hochstilisiert, treibt ihm nur voyeuristische Leser zu.

Das gefährliche Buch, Arte, 20.15 Uhr.

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