Arte-Doku:Eine Symphonie gegen den Faschismus

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Die Partituren zu Schostakowitschs "Leningrader" wurden 1942 ins belagerte St. Petersburg geschmuggelt und von einem halbverhungerten Orchester aufgeführt. Irrsinn! Und ein musikalischer Widerstand gegen Nazi-Deutschland.

Von Harald Eggebrecht

Schon die blanken Opferzahlen dieses monströsen verbrecherischen Unternehmens der Wehrmacht sprechen für sich: Während der Blockade von Leningrad durch die Deutschen vom 8. September 1941, als der Belagerungsring geschlossen wurde, bis zur endgültigen Durchbrechung des Rings durch die Rote Armee 1944, sind mehr als eine Million Menschen direkt verhungert oder an den Folgen ständiger Bombardierungen und des Artilleriebeschusses der Stadt umgekommen. Dass die Not der Leningrader am Ende nicht einmal vor Kannibalismus halt machte, lässt sich verstehen. Hunde und Katzen, Ratten und Krähen gab es auch nicht mehr. Doch zur angeordneten Auslöschung Leningrads kam es trotz allem nicht. Dabei hatte Reinhard Heydrich, Chef des SS-Sicherheitsdienstes, deshalb schon 1941 in einem Brief an Heinrich Himmler angemahnt: "Ich bitte gehorsamst darauf hinweisen zu dürfen, dass die ergangenen strikten Weisungen hinsichtlich der Städte Petersburg und Moskau dann wieder nicht in die Tat umgesetzt werden können, wenn nicht von vorneherein brutal durchgegriffen wird."

Nicht nur Stalin, auch Komponist Schostakowitsch wollte, dass das Stück in Leningrad erklänge

Den Ansatz für den Film Leningrad Symphon ie, den Arte an diesem Dienstag zeigt, liefert eine Geschichte innerhalb der Geschichte der Blockade: Im Oktober 1941 flog man einen der prominentesten Leningrader ins damalige Kuibyschew, heute Samara aus, den Komponisten Dmitri Schostakowitsch. Er arbeitete damals an seiner 7. Symphonie, die heute als "Leningrader" bekannt ist. Während die Lage in der Stadt immer schlimmer wurde, vollendete der Komponist sein Werk. Am 5. März 1942 wurde es vom ausgelagerten Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters in Kuibyschew uraufgeführt unter dem Dirigenten Samuil Samossud. Am 27. März folgte trotz Luftalarms eine Aufführung in Moskau. Stalin veranlasste, dass man die Partitur auf Mikrofilm ins Ausland verbrachte. Sie sollte als Dokument des kulturellen Überlebenswillens dienen, und sie ging um die Welt: Am 22. Juni führte Sir Henry Wood die Symphonie in London auf, am 19. Juli dirigierte Arturo Toscanini die New Yorker Premiere.

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Nicht nur Stalin, auch Schostakowitsch wollte, dass das Stück auch im gepeinigten Leningrad erklänge, als Zeichen der Unbeugsamkeit. Tatsächlich gelang es einem Flieger, den Belagerungsring zu überqueren und die Partitur abzuliefern. Der Dirigent des Radio-Symphonieorchesters der Stadt, Karl Eliasberg, bekam den Auftrag, das Unmögliche gegen alle Umstände zu ermöglichen, obwohl es kaum mehr professionelle Musiker gab, die überhaupt noch Kraft zum Spielen hatten. Vom eigenen Orchester waren nur 15 Musiker übrig, die anderen wurden aus Militärkapellen und auch als Amateure rekrutiert. Eliasberg machte sich an die schier aussichtslose Arbeit, eine schwierige, anspruchsvolle Partitur unter absurd ungenügenden Bedingungen in Musik zu verwandeln. Und er schaffte es, am 9. August 1942 spielte dieses Notorchester die 7. Symphonie im großen Saal des Konservatoriums. Die Aufführung wurde live übertragen, wahrscheinlich hörten so auch die Belagerer zu. Dass Karl Eliasberg nach dem Krieg nicht die Karriere machte, die ihm wohl zugestanden hätte, ist eine andere traurige Geschichte. 1964 dirigierte er in Leningrad eine Aufführung mit Veteranen jener denkwürdigen Premiere damals in der belagerten Stadt. Dieses Mal war auch Dmitri Schostakowitsch anwesend.

Dem Film gelingt vieles. Doch ausgerechnet die Musik von Schostakowitsch kommt kaum vor

Einen Film über diese Leistung inmitten der Leiden und Qualen der Bevölkerung zu machen, verlangt Fingerspitzengefühl, Empathie und Sorgfalt. Der Film Leningrad Symphon ie gelingt das in vieler Hinsicht. Die Dokumentaraufnahmen zeigen das ganze Entsetzen dieser Blockade. Auch die sonst häufig eher peinlichen Augenzeugen sind hier überzeugend: etwa das junge Mädchen Olga, das damals von Sommerträumen unmittelbar in die Katastrophe stürzte, wovon sie nun als alte Dame erzählt. Die diese Erzählung illustrierenden Spielszenen in ihrer Familie fügen sich da relativ passabel ein.

Ebenso glaubhaft spricht der Bruder des Wehrmachtssoldaten Wolfgang Buff, der als braver deutscher Soldat erleben musste, was Krieg in seiner unverhohlenen Brutalität bedeutet. Buff hatte Tagebücher geschrieben, auf welche die Autoren für den Film zurückgreifen konnten, dazu die Kommentare des Bruders, der aber nicht vor Leningrad war. Die Spielszenen mit Buff zeigen etwas vom Schützengraben, auch seinen Tod, als er einem verwundeten Rotarmisten helfen will. Doch wird nicht zwischen Blockierten und Blockierern relativiert. Matthias Bundschuh spielt Karl Eliasberg mit jener verzweifelten Hartnäckigkeit, die schließlich zur eigentlich unmöglichen Aufführung führt, es sind die dichtesten Spielsequenzen des ganzen Films. Insgesamt schafft der Film unter Regie von Christian Frey (Dokuteile) und Carsten Gutschmidt (Spielteile) durchaus einen Eindruck jener unvorstellbaren Situation.

Aber die Musik von Schostakowitsch kommt nur rudimentär darin vor. Dabei war der selbst ein brillanter Filmkomponist. Man hätte also nicht nur die Leningrader Symphonie hernehmen können. Stattdessen hat man sich entschlossen, konturlosen Illustrierungssirup unter die Bilder zu kippen, der nichts tut, als penetrant zu sentimentalisieren. Immerhin steht neben den historischen Gräueln doch das Werk eines großen Komponisten im Zentrum - dessen Musik im Film mit wohlfeiler Molluskenmusik konterkariert wird.

Schostakowitsch hatte für Trauer und Leid unvergleichliche musikalische Mittel, aber auch für Groteske, Hohn und Satire. Solchen Einwänden entgegnet Regisseur Frey mit Hinweisen auf die Primetime-Ausstrahlung und sogar auf die eingefleischten Hörerwartungen des Publikums. Dabei scheint es schlicht und einfach an Einfallskraft gefehlt zu haben, wie man jenseits der Routine diese ungeheure Geschichte auch musikalisch einzigartig ins Bild setzten könnte.

Leningrad Symphon ie , Arte, 21.45 Uhr.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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