Süddeutsche Zeitung

Doku "Wer ist Boris Johnson?":Clown, Korrespondent, Premier

Eine Arte-Dokumentation versucht Boris Johnsons Leben nachzuzeichnen. Sie widmet sich vor allem der Corona-Politik des Politikers. Manche Einschätzungen aber wirken bizarr.

Von Alexander Menden

Vielleicht sei Boris Johnson wie eine dieser russischen Puppen, vermutet Matthew D'Ancona, "vielleicht sitzt im Zentrum ein kleiner Boris, den nur seine Familie zu Gesicht bekommt". D'Ancona, der den jetzigen britischen Premier Johnson 2006 als Chefredakteur des Magazins The Spectator beerbte, ist einer von zahlreichen hochkarätigen, meist britischen Gesprächspartnern, die in der Dokumentation "Wer ist Boris Johnson?" ausführlich zu Wort kommen. Der Titel der knapp einstündigen französischen Produktion von Alice Cohen, die an diesem Samstag bei Arte ausgestrahlt wird, verspricht, möglichst viele der Babuschka-Puppenhüllen zu entfernen.

Cohens Film erklärt Johnson zu einem "Boris Almighty", nachdem dieser mit einer überraschend komfortablen absoluten Mehrheit die Unterhauswahlen 2019 gewonnen hat. Johnson als Premierminister, der derzeitige Status Quo also, ist der Ausgangspunkt der Betrachtung. Der Fokus liegt auf seiner Corona-Politik und den Folgen des Brexit. Seine Stationen als Eton-Schüler, Brüssel-Korrespondent und Londoner Bürgermeister werden ebenfalls angerissen. Es entsteht das Bild eines populistischen Clowns mit "imperatorhaftem" Gehabe, wie es ihm sein früherer Chef beim Daily Telegraph, Max Hastings bescheinigt. Oft planlos agierend, populistisch, frivol, mit einem eher lockeren Verhältnis zur Wahrheit - aber immer wieder erfolgreich. Ein Mann, "der gewinnt, bevor er nachdenkt", lautet das Fazit des Films. Wie viele private Skandale Johnson dabei überlebte, bleibt übrigens ausgeklammert.

"Türkisches Blut" und zunächst kein Mitglied der Elite?

Es hilft, ein wenig über die Befragten zu wissen, um ihre Bemerkungen zu Johnson einordnen zu können. Laura Kuenssberg zum Beispiel, die ehemalige politische Chefkorrespondentin der BBC, stellt Johnsons Corona-Politik als ein typisches Vabanque-Spiel dar, das sich letztlich für den Premier ausgezahlt habe. Johnson habe früh auf Impfstoffentwicklung gesetzt, und dazu klugerweise die Privatwirtschaft ins Boot geholt, sagt Kuenssberg, der immer wieder eine große Nähe zu Johnson nachgesagt wurde. Dass der Verlauf der Pandemie in Großbritannien streckenweise katastrophal war, kommt dabei nicht so recht zur Geltung. Andere Einschätzungen wirken sogar regelrecht bizarr. So ist Matthew D'Anconas Behauptung, Johnson, der unter anderem aufgrund seines Urgroßvater Ali Kemal "türkisches Blut" habe, gehöre nicht zur britischen Elite und habe an diese erst in Eton und Cambridge Anschluss gefunden, schlicht Unsinn. Johnson war von Geburt an reines Establishment.

Dass die derzeitigen Querelen um Lockdown-Partys, die vielleicht tatsächlich das Ende dieses Teflon-Politikers bedeuten könnten, nicht vorkommen, ist bedauerlich, aber angesichts der langen Produktionszeit einer solchen Dokumentation kaum zu beanstanden. Insgesamt stellt diese vor allem für Zuschauer, die sich sonst nie mit Boris Johnson befassen, eine nützliche Zusammenfassung dar.

Doch an den Menschen Johnson kommt man auch hier nie wirklich heran. Eine Anekdote, die seine Schwester Rachel zum Besten gibt, ist dennoch erhellend: In ihrer Kindheit hätten eines Tages alle Johnson-Geschwister gesagt, was sie einmal werden wollten, wenn sie groß seien. Boris habe gesagt: "König der Welt!". Das wirkt dann doch arg so, als sei der kleine Johnson im Innersten der russischen Puppe ziemlich identisch mit deren äußersten Schicht.

"Wer ist Boris Johnson", Arte, 29. Januar um 16.30 Uhr, sowie auf arte.tv

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