Süddeutsche Zeitung

Öffentlich-rechtliche Mediatheken:Persönliche Empfehlung

ARD und ZDF planen ein personalisiertes Streaming-Netzwerk. Das klingt groß - und wirft vor allem Fragen auf.

Von Claudia Tieschky

Es lässt sich nicht behaupten, dass ARD und ZDF die Neuigkeit heruntergespielt hätten. In der Videokonferenz an diesem Montag standen in Mainz die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Männer in dunklen Anzügen an hellen Pulten: der ZDF-Intendant Thomas Bellut, der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow und der SWR-Intendant Kai Gniffke. Die für die technische Feinarbeit Verantwortlichen, Benjamin Fischer von der ARD und Eckart Gaddum vom ZDF, hatte man an Katzentischchen mit Namenskarten platziert, vielleicht, damit die Stehrunde nicht so voll wirkte und die FDP, falls sie zuschaut, gleich wieder verlangt, dass eines der beiden bundesweiten Programme eingespart wird. Immer wenn die Kamera zu den sitzenden Experten schwenkte, erinnerte das an Aktenzeichen XY... ungelöst.

Die Neuigkeit lautet, dass die Inhalte ARD und ZDF künftig in der Mediathek des jeweils anderen zu finden sein sollen. Der Tatort in der ZDF-Mediathek zum Beispiel. Die Öffentlich-Rechtlichen nennen das ein "Streaming-Netzwerk", um nach Ansicht von Kai Gniffke auf dem Markt der Streaming-Anbieter aus Übersee "nicht nur mitspielen zu können, sondern à la longue auch möglicherweise eine führende Rolle übernehmen zu können. ". Interessanterweise bleibt bei diesem deutschen Großangriff auf Netflix und Amazon ansonsten alles markenmäßig so, wie es ist: ARD und ZDF betreiben weiter getrennte Mediatheken und getrennte Apps. Das dürfte, damit wäre das Hierarchen-Aufgebot zu erklären, als Signal gegen politische Wünsche nach Fusion zu verstehen sein. Auf die Frage, was denn noch gegen eine Zusammenlegung spreche, wenn eine Viertelmillion Filme, Dokus, Satire- und Serienstoffe in den Mediatheken gemeinsam vertrieben werden, fragte Bellut: "Warum sollten die Öffentlich-Rechtlichen einen Prozess fortführen, der leider die Presselandschaft erwischt hat, nämlich immer weniger Vielfalt?"

Wer wählt aus - der Algorithmus oder die Redaktion?

Komplexer wird es bei dem Versuch, sich unter der Neuheit, die in den kommenden zwei Jahren entwickelt wird, etwas Konkretes vorzustellen. In einer Mediathek oder auf einer Plattform wie Netflix gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten von "finden". Entweder die Zuschauerin sucht gezielt, oder sie folgt einer Empfehlung, wie sie etwa bei Netflix Algorithmen aufgrund der Nutzerdaten errechnen. Entsprechend ist auch bei den Öffentlich-Rechtlichen nun von "Datenzusammenarbeit" ("auch ein rechtliches Thema"), einem "gemeinsamen Empfehlungs-Kosmos" und Nutzerkonten die Rede. Laut Gniffke soll dieses öffentlich-rechtliche System in Abgrenzung zu kommerziellen Anbietern "wertegetrieben" sein.

Was das bedeutet und wie es funktionieren soll, blieb bei der Stehkonferenz eher ungelöst: Ob solche wertegetriebenen Empfehlungen demnach ein öffentlich-rechtlich auf "Werte" programmierter Algorithmus liefert oder ob eine redaktionelle Auswahl getroffen wird? Wie das alles auch ohne die neuerdings forcierten Nutzerkonten funktioniert?

Wie bei Aktenzeichen kamen wichtige Hinweise nach Sendeschluss. Auf Nachfrage hieß es schriftlich, man müsse unterscheiden zwischen redaktionellen Empfehlungen, die es für alle Nutzer gebe, und die sich "wie bisher auf Inhalte des jeweiligen eigenen Angebots" konzentrieren sollen. Durch Personalisierung - demnach also bei Anmeldung mit Nutzerkonto - seien künftig auch individuelle Empfehlungen geplant. Sie entstünden "durch Interaktion oder persönliche Auswahl" der Nutzer. Entwickelt werde nun der "gemeinsame Algorithmus für dieses Zusammenspiel".

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