Süddeutsche Zeitung

ARD-Vierteiler "Pregau - Mörderisches Tal":Eine Miniserie, die auf gute Art weh tut

Die deutschen Antworten auf den Serien-Boom fielen bislang unbefriedigend aus. Der ARD-Vierteiler "Pregau" traut sich, dick aufzutragen.

TV-Kritik von David Denk

An den aktuellen Rollen des Schauspielers Maximilian Brückner kann man gut ablesen, dass sich im deutschen Fernsehen vielleicht doch etwas bewegt, sogar in die richtige Richtung. Im März startet im BR die Serie Hindafing, in der Brückner einen opportunistischen bayerischen Provinzbürgermeister auf Crystal Meth spielt, mehr Breaking Bad als Um Himmels Willen. Brückner sagt, die Serie sei "so böse, so schmerzhaft, so eigen im Ton, dass sie fast österreichisch ist. Auch Pregau ist eine Serie, die weh tut. Und genau diese Farbe hat mich gereizt."

Pregau ist nicht nur fast österreichisch, sondern spielt in einer Kleinstadt in der Steiermark, zudem wurden die vier 90-minütigen Episoden produziert von der Wiener Firma Mona Film, die mit dem Demenzdrama Die Auslöschung ihr Faible für ambitionierte Produktionen bewiesen hat. "Wir sind offen für Filme mit Tiefgang", heißt es auf der Webseite. Das würde da nicht stehen, wenn Tiefgang im öffentlich-rechtlichen Fernsehbetrieb der Normalfall wäre.

Pregau von Regisseur und Autor Nils Willbrandt handelt von Hannes Bucher, einem "ganz normalen Polizisten im Range eines Inspektors", wie er sich selbst im Vorspann vorstellt, der seiner Frau Maria (Ursula Strauss) zuliebe in deren Heimatort gezogen ist und dort nicht glücklich wird. Die Ehe bröckelt. Bucher ist Deutscher - und auch ansonsten ein Fremdkörper. Die einflussreiche Familie Hartmann, die ihren Schwiegersohn nie akzeptiert hat, hält ihn auf Abstand - auch um ihre korrupten Machenschaften zu decken.

Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel

Sein Leben verändert sich radikal, als er sich von seiner Nichte Rosa verführen lässt, die er bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle betrunken und ohne Führerschein anhält. Kurz darauf stirbt Rosa bei einem Verkehrsunfall, ihr Beifahrer liegt im Koma - und wird als Augenzeuge für Bucher zur Bedrohung. Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Bucher und seinen Verfolgern. Plötzlich hat er nicht mehr nur die Hartmanns gegen sich, sondern auch seine Kollegen.

Die meisten deutschen Antworten auf den angelsächsischen und skandinavischen Serien-Boom fielen bislang ja eher unbefriedigend aus, Die Stadt und die Macht war ein peinliches Berliner Polit-Drama, Morgen hör ich auf mit Bastian Pastewka, ein ziemlich müder Breaking Bad-Abklatsch. In vielen Sendern ist offenbar immer noch der Irrglaube verbreitet, mit der Handlung auch den Erfolg der Vorbilder kopieren zu können.

Pregau aber gehört zu den Produktionen, die genau das vermeiden möchten. Maximilian Brückner lobt, dass "mal nicht zwanghaft versucht worden" sei, "amerikanische oder britische Serien einzudeutschen, was ja leider häufig versucht wird und selten gelingt". Düster ist in Pregau, einer Mischung aus Krimi, Komödie und großer Oper, nicht nur die Vorspannmusik, eine Art Sirenengesang ("Kommst du mit mir in dieses Tal, für alle Zeit, es ist soweit"), auch die Kamera von Peter Nix beklemmt, setzt sie Totalen doch nur sehr dosiert ein und klebt ansonsten am Geschehen. Die Enge Pregaus wird so beinahe körperlich spürbar.

"Es wäre mit Sicherheit alles anders gekommen, wenn ich diesen einen Fehler nicht gemacht hätte", sagt Hannes Bucher im Vorspann. "Dann wären niemals so viele Menschen gestorben." Mit anderen Worten: Pregau traut sich, dick aufzutragen, erzählt die Geschichte einer Eskalation. Ein Fehler zieht immer weitere nach sich.

"Sie müssen weitermachen. Ist immer noch einfacher als aufzuhören", sagt der Sonderling Max Dirrmeyer (Armin Rohde) irgendwann, der ungewollt zu Buchers Komplizen wird. Als Zuschauer genießt man es, Brückners Bucher beim Zappeln im selbstgesponnenen Netz zu beobachten - und hofft doch, dass er sich daraus befreien kann. Das sei für ihn die zentrale Herausforderung gewesen, sagt Brückner: "dass er unterm Strich, trotz seiner Verbrechen, ein Sympathieträger bleibt".

Brückner hat lange das Landei vom Dienst gegeben

Wenige Schauspieler wären als Identifikationsfigur besser geeignet als der 37-Jährige, den alle nur "Maxi" nennen. Brückner, wohnhaft in einem Dorf bei Rosenheim, hat im deutschen Fernsehen lange das Landei vom Dienst gegeben, zwischenzeitlich auch im Tatort aus Saarbrücken, aus dem er und sein Kollege recht unsanft entfernt wurden. Nur diese eine Welle zu reiten, sagt er, "birgt die Gefahr, auf die Schnauze zu fallen, wenn der Bayern-Hype abebbt". Also habe er "die Tür weit aufgemacht" und bemühe sich bei der Rollenauswahl um Vielseitigkeit. Derzeit steht er als Martin Luther vor der Kamera.

Wie das Ergebnis ist auch die Entstehungsgeschichte von Pregau bemerkenswert. Die Produzenten Thomas Hroch und Gerald Podgornig haben nicht, wie sonst in der Branche üblich, auf den Auftrag eines Senders gewartet, sondern Autor Willbrandt erst in Ruhe schreiben lassen, die Arbeit am Drehbuch vorfinanziert - mit dem Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, wenn niemand zugreift. "Für mich war das neu, dass der Produzent die Entwicklung eines Stoffes so geschützt hat", sagt Willbrandt. "Das waren schon ungewohnt coole Arbeitsbedingungen."

Doch der ORF und die ARD Degeto haben zugegriffen, schnell sogar - was umso überraschender ist, als der Tatort-erfahrene 50-Jährige zwar kein Unbekannter ist, aber eben auch kein Dominik Graf. In Österreich lief Pregau vor drei Monaten, der Marktanteil lag im Schnitt bei 24 Prozent. Den Erfolg wollen die Macher in Deutschland wiederholen, wissen aber um die Gefahr, das Publikum zu überfordern. Als Filmemacher werde man hierzulande "auf Empathie gebrieft", sagt Willbrandt. "Ambivalenzen und Antihelden haben es da eher schwer." Den Österreichern spricht er "mehr Erfahrung in der filmischen Verarbeitung menschlicher Abgründe" zu. Und er sagt: "Um solche Stoffe weitermachen zu können, muss man natürlich Erfolg haben, sonst wird es sicher nicht leichter."

Nebenrollen sind hier kein schmückendes Beiwerk

Pregau, der unweihnachtliche Weihnachtsvierteiler, dem die ARD den sehr öffentlich-rechtlichen Krimi-Beinamen "Mörderisches Tal" verpasste, ist keine reine Brückner-Show, sondern ein Ensemblestück: Armin Rohde, Ursula Strauss, Robert Palfrader, Patricia Aulitzky, Wolfgang Böck, Antoine Monot, Jr., Helmut Berger und andere geben der Erzählung eine im deutschen Fernsehen seltene Tiefe. Nebenrollen sind hier kein schmückendes Beiwerk, sind mehr als nur Stichwortgeber.

Pregau hat Nils Willbrandt auf den Geschmack gebracht. Noch im Schnitt begann er an einer weiteren Miniserie zu schreiben - Arbeitstitel "Die Siedlung". Damit möchte er sich seiner eigenen norddeutschen Reihenhaus-Herkunft stellen - sofern sich ein Sender dafür findet. Man darf davon ausgehen, dass auch hinter diesen Türen diverse Abgründe lauern und nicht auf jede Figur ein Happy End wartet.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2016
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